Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1

P


rinz Pi und Prinz Porno teilen
sich eine Altbauwohnung mit
hohen Decken, drei Balkonen
und drei Parkplätzen. Vor der
Wohnung, tiefer Berliner Westen, sind
die Passanten auf den Bürgersteigen rar
gesät, im Treppenhaus knarzen die Die-
len, als machten sie Werbung für Heime-
ligkeit, und in der Wohnung hängen die
Fotos an den sauber gestriche-
nen Wänden gerade.
Prinz Pi und Prinz Porno
sind Rapper.
Sie sind ein und dieselbe
Person.
Friedrich Kautz, 40, der
Mann hinter den Pseudo -
nymen, empfängt an der Tür,
hinter ihm her tapst Sgt. Pep-
per, Kautz’ Hund. Der Hund
davor hieß Penny Lane.
Kautz, der die Beatles, den
Schriftsteller Bret Easton Ellis,
aber auch den Rapper Biggie
Smalls mag, ist einer der er-
folgreichsten Hip-Hop-Künst-
ler Deutschlands. Seit Jahren
landen seine Alben in den Top
Ten, drei davon standen auf
Platz eins.
Jüngst hat er zeitgleich zwei
neue Alben veröffentlicht, ei-
nes als Prinz Pi, eines als Prinz
Porno: zusammen 91 Minuten
Musik, Spielfilmlänge, ein küh-
nes Unterfangen in einer Zeit,
in der die ersten Sekunden
eines Songs darüber entschei-
den können, ob man ihn in
die Playlist packt oder über-
springt.
Kautz hat sich selbst mal
als »Quereinsteiger« im
Deutschrap verortet. »Ich bin
nicht der Typ«, sagt er jetzt,
»der keine andere Option ge-
habt hätte, als Kokaindealer zu werden
oder Rapper, der übers Kokaindealen
rappt.« Er hat sich auf ein waldgrünes
Sofa im Wohnzimmer gesetzt, auf einer
Fensterbank liegt ein »Familien-Freizeit-
Guide«, auf dem Tisch vor ihm liegt
»Sprache und Sein«, ein aktuelles Sach-
buch darüber, wie Sprache das Denken
formt. Kautz trinkt Cappuccino, und das
Koks könnte kaum weiter weg wirken.
Wenn er heute nicht im Musikbusiness
wäre, sagt er, dann wohl in einer Arztpra-


xis, einer Anwaltskanzlei oder bei Gold-
man Sachs. Ein Rapper, der eher Banker
geworden wäre, als Banken auszurauben,
warum kommt der so gut an?
Kautz ist Sohn einer Buchhalterin und
eines Zollbeamten, zu dessen Beruf es
gehört habe, sichergestellte Drogen zu
untersuchen, erzählt Kautz. Er wurde in
Charlottenburg geboren und besuchte

ein Gymnasium in Steglitz, über das er
später sagte, das Einzige, was ihm dort
geholfen habe, sei »das Gedanken -
gebäude des Humanismus und das Stu -
dium der griechischen und lateinischen
Schriften im Original« gewesen. Ovids
»Metamorphosen« stehen, gut zerlesen,
im vollen Bücherregal seines Arbeits -
zimmers, das fast eine ganze Wand ein-
nimmt.
Irgendwann gesellte sich Tupac zu
Ovid. Kautz begann in der Abiphase,

Songs zu schreiben, und nahm mit 19 Jah-
ren sein erstes Rap-Album auf (Auflage:
zwölf Stück), als Prinz Porno. Damals
sei es ihm darum gegangen, durchs Schrei-
ben Wut abzulassen: »Auf dem Blatt, da
konnte ich als Sieger vom Platz gehen und
zeigen, was ich kann.«
Doch erst mit der Zahl Pi im Namen,
als Prinz Pi, wurde Kautz berühmt: mit
gerappten Coming-of-Age-Sto-
rys, irgendwo zwischen Pa-
thos, Tristesse und Sozialkri-
tik. »Die Generation, für die
ein Roman wie J. D. Salingers
›Fänger im Roggen‹ alles war,
stirbt jetzt aus«, sagt Kautz.
»Dafür gibt es heute viele Leu-
te, die sagen: ›Dieser Song, der
beschreibt mein Leben in drei
Minuten.‹«
Ein Antrieb für Kautz, als
Prinz Pi aufzutreten, sei es
gewesen, an Jugendliche ran-
zukommen, die ein Schrift -
steller mit seinen Büchern
nicht erreiche. Zudem habe
er in der deutschen Literatur
Bücher wie »American Psy-
cho« von Bret Easton Ellis
vermisst und sich die Aufgabe
gestellt, diese Lücke zu füllen.
Mit Rap.
»Wahre Legenden« heißt
das neue Album von Prinz Pi.
Fürs Cover hat er sich im
Wohnzimmer fotografieren
lassen, ein paar Meter von
dem waldgrünen Sofa entfernt:
mit Sgt. Pepper im Arm, in ei-
ner Ästhetik, die an einen pri-
vaten Schnappschuss erinnert,
vor einem Plakat, das Jean
Cocteau gestaltet hat.
Zur Schnappschussästhetik
passt irgendwie, dass Kautz
auf dem Album einen Blick
zurück wirft, um das Hier und Jetzt ein-
zuordnen. Er rappt darüber, wie er früher
verletzt worden sei und wie er heute lie-
be. Darüber, wie er und die Gesellschaft
sich gewandelt hätten: »Die Götter, die
nennen wir jetzt Marken / Wir beten, in-
dem wir bezahlen.«
Zum Hündchen im Arm passt irgend-
wie, dass Kautz auf »Wahre Legenden«
der hypermaskulinen Art einiger seiner
gerade so populären Kollegen entsagt:
Er rappt über seine Schwächen, über die

114 DER SPIEGEL Nr. 10 / 29. 2. 2020

Kultur

Battle-Rap mit Marcel Proust


PopDer Berliner Friedrich Kautz ist der erfolgreichste Außenseiter im deutschen Hip-Hop.
Er beherrscht die Codes dieser Musik – setzt aber eigene Fußnoten.

MUSTAFAH ABDULAZIZ / DER SPIEGEL
Deutschrapper Kautz
»Dieser Song beschreibt mein Leben in drei Minuten«
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