Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1

»On-off-Dauerfreundin Melancholie«.
Trost sieht er im »Schlafen zu zweit auf
der Couch in Schweden im Bootshaus«,
beim »Backen an Weihnacht« und wohl
kaum im »Wodka-E, um die Sorgen zu
ersaufen«, wie es in einem Hit der sehr
erfolgreichen Rapper Capital Bra und Sam-
ra heißt.
»Mit Abstand« heißt das neue Album
von Prinz Porno. Und der ist, wie damals,
als Kautz zur Schule ging, weiterhin wü-
tend. »Ihr nennt alle Frauen Huren in den
Songs«, rappt er anderen Rappern entge-
gen, »und genau deswegen habt ihr auch
Huren bekommen.«
Prangert Prinz Pi auf »Wahre Legen-
den« den Konsum an, ernennt Prinz Porno
sich auf »Mit Abstand« zwar mal zum
»König vom KaDeWe«, aber auch dann
tauchen bei ihm Luxusmarken nicht als
Statussymbole auf, im Gegenteil: »Im
Mittelmeer ertrinken viele Menschen am
Tag / Wieso hängt man sich dann noch ’ne
neue Fendi an ’n Arm / Als es gespendet
zu haben.«
Woanders rappt er, in ihm ruhe ein
Vesuv, der seine Zeit nur so suche wie
Swann bei Proust. Battlerap von einem,
der Ovid und Marcel Proust im Bücher -
regal stehen hat.
Kautz schafft mit seinem Mix aus Prinz
Porno und Prinz Pi eine Art Werkschau,
die klarmacht, dass in jedem Menschen
mehrere Ichs stecken, die, in der Summe,
auch widersprüchlich wirken können.
Außerdem würdigt er, mit der Veröf -
fentlichung zweier Alben im selben Mo-
ment, die Langstrecke in kurzatmigen
Zeiten.
Das zeigt, wie vielschichtig Deutschrap
inzwischen ist; dass diese Musik viele Zwi-
schentöne kennt; dass es eine Form ist, in
die viele Inhalte passen. Rap kann, aber
muss nicht von der »Straße« berichten,
Frauen müssen darin nicht als »Bitches«
vorkommen und Männer nicht nur wirken,
als sammelten sie Einträge in der Polizei-
akte wie andere Bonuspunkte an der
Supermarktkasse.
Was guter Rap schon viel eher muss:
Authentizität verkörpern. Und das tut er
bei Kautz, der zwar auch bildungsbürger-
liche Fußnoten setzt, vor allem aber die
klassischen Codes des Hip-Hops beherrscht
und bedient.
Und doch ändert das nichts daran, dass
er am Ende eine Art Außenseiter bleibt.
Zum Beispiel wenn er über die Eintönig-
keit von Kolleginnen und Kollegen spricht,
die alle in dieselbe Gucci-Boutique gingen,
die gleichen Uhren trügen und das gleiche
Auto führen, Mercedes-AMG.
Was fährt er denn?
»Ein paar Ferraris«, sagt Kautz. »Aber
ebenso gern Fahrrad.« Jurek Skrobala
Twitter: @skrobala


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