Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1
Gegen das Virus
Wie sich Gesunde vor dem neuartigen
Coronavirus schützen können

Wie Infizierte ihr Umfeld schützen können

Verdeckt husten und niesen
Beim Niesen und Husten Taschentuch
benutzen oder Mund und Nase mit
Ellenbeuge bedecken

Abstand halten
Engen Kontakt zu Personen, die
Grippesymptome zeigen, vermeiden

Schleimhäute schützen
Mund, Nase und Augen
nicht mit den Händen berühren

Körperkontakte vermeiden
Auf unnötigen Körperkontakt wie
Handschläge und Umarmungen
verzichten

Hände waschen
Die Hände regelmäßig und gründlich
mit Wasser sowie Seife oder
Desinfektionsmittel reinigen

Zu Hause bleiben
Nicht zur Arbeit, Schule oder auf
Veranstaltungen gehen, keine
öffentlichen Verkehrsmittel benutzen

Separate Räume nutzen
Kontakt zu Haushaltsmitgliedern
meiden, sich nicht im selben
Raum aufhalten

Mundschutz tragen
Bei allen unvermeidlichen Kontakten
wie Arztbesuchen Mund-Nasen-
Schutz tragen

Gegenstände reinigen
Häufig berührte Gegenstände wie
Tastaturen und Türklinken reinigen,
Küchen und Bad sauber halten

kleidung und Atemmasken, ihre 21 Mitar-
beiter können die Bestellungen kaum noch
bewältigen. Ende Januar standen sogar ein
paar Glücksritter mit Kleintransportern
auf dem Firmenparkplatz und wollten ihr
die Bestände en gros abnehmen. Gutsche
drohte mit der Polizei, sie wolle keine »Kri-
senkäufer«, sagt sie.
Das, was sie noch auf Lager hat, geht
nun über ein Quotensystem an Stamm -
kunden wie Krankenhäuser, Feuerwehren
oder Pharmakonzerne. Doch auch Gut-
sches Bestände schrumpfen.
Der Lieferengpass ist im Bundesgesund-
heitsministerium bekannt. Die wenigen
Fertigungsstätten in Europa, so hält es das
Protokoll einer Videokonferenz von Mi-
nisteriellen mit Branchenvertretern fest,
könnten die chinesische Produktion »nicht
annährend kompensieren«.
Ein langjähriger Lieferant Gutsches sitzt
bei Wuhan und produziert in Sonder-
schichten durchgehend von 7 bis 22 Uhr.
»Aber seit dem Neujahrsfest dort dürfen
die Fabriken uns nicht mehr beliefern«,
sagt Gutsche. »Die Produkte sind alle be-
schlagnahmt.«
Auch Länder wie Taiwan oder Korea
hätten wohl bereits Exportverbote für
Schutzkleidung verhängt, hält das Proto-
koll aus dem Gesundheitsministerium fest.
Und beim verfügbaren Rest steigen die
Preise: Bei Amazon, sagt ein Sprecher
der Deutschen Krankenhausgesellschaft,
verlange manch Händler für ein Paket mit
50 einfachen Schutzmasken, das vorher
für 3,95 Euro zu haben war, inzwischen
150 Euro.
Michael Koch hat noch ein paar Atem-
schutzmasken bei sich zu Hause im Keller
liegen. Er sitzt an der Quelle, ist Produkt-
manager bei Medika Medizintechnik, ei-
nem Großhändler für Medizinprodukte.
Doch seine Quelle werde schon bald ver-
siegen, sagt Koch. »90 Prozent aller Artikel
wie Masken, Schutzkleidung, Tupfer oder
Verbände kommen aus China. Viele davon
sogar direkt aus der Provinz Hubei.«
Der fehlende Nachschub könnte sich zu
einem gefährlichen Problem auswachsen.
Denn ohne ausreichende Schutzkleidung
werden sich Ärzte und Pflegekräfte mit
dem Coronavirus anstecken. Wer soll sich
dann um die Patienten kümmern? In Kran-
kenhäusern, die ohnehin schon unter Per-
sonalnot leiden?
Deshalb steht das Thema Schutzklei-
dung fürs medizinische Personal ganz
oben auf der Tagesordnung des Krisen-
stabs der Bundesregierung. »Wir tun ge-
rade alles, um noch einmal zu schauen,
was wir in Deutschland an Lagerbestän-
den haben«, sagt Spahn, »und vor allem
auch rechtlich sicherzustellen, notfalls
auch durch Beschlagnahmung oder Ex-
portverbot, dass jetzt nichts mehr das
Land verlässt.«


dort mit noch unerkannten Sars-CoV-2-
Infizierten sitzen. Andreas von Thüna, in-
ternistischer Hausarzt aus Brühl, macht
deshalb lieber Hausbesuche bei Verdachts-
fällen. Dies sei, glauben viele Experten,
der richtige Weg. Doch systematisch orga-
nisiert wird das in Deutschland bislang
nicht.
In Großbritannien läuft hingegen seit
Ende Januar ein Pilotprojekt, bei dem
Menschen mit Infektionsverdacht zu Hau-
se getestet werden. Ärzte in einem Lon-
doner Krankenhaus kamen auf die Idee,
nachdem sie gesehen hatten, dass Kran-
kenwagen, die Verdachtsfälle für Tests in
Krankenhäuser bringen, nach jedem Trans-
port stundenlang dekontaminiert werden
mussten.
Nun fahren die Virentester zu den Leu-
ten nach Hause. Die Schutzkleidung wird
nach jedem Besuch entsorgt. In Wales
konnte inzwischen fast 95 Prozent aller
Verdachtspatienten eine Testung zu Hause
angeboten werden.
Im Global Health Security Index liegt
Großbritannien auf dem ersten Platz in
Europa und auf dem zweiten Platz welt-
weit. Das dortige Gesundheitsministerium
hat längst auf Covid-19 reagiert und de-
taillierte Anweisungen für Hausärzte, La-
bors und das medizinische Personal online
gestellt.
Hierzulande leiden die Gesundheits -
ämter unter drastischem Personalmangel.
»In Köln sind wir gut aufgestellt«, sagt der
Kölner Gesundheitsamtschef Nießen,
»aber vielerorts verdient ein erfahrener
Arzt im Durchschnitt etwa 1500 Euro brut-
to weniger als im Krankenhaus.«
Vor allem: Schon ohne Krisenlagen sto-
ße der Gesundheitsdienst in den Bundes-
ländern an die Grenzen seiner Belastbar-
keit, sagt Ute Teichert, Vorsitzende beim
Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte
des Öffentlichen Gesundheitsdienstes.
Da ist es wenig tröstlich, dass selbst die
USA, die im Global Health Security Index
auf Platz eins liegen, ihre Schwierigkeiten
mit der Bewältigung der Krise haben. Sie
haben Probleme mit ihrem Virustest.
Jennifer Nuzzo, Epidemiologin am Cen-
ter for Health Security der Johns Hopkins
University in Baltimore, eine der Verfas-
serinnen des weltweiten Index, ist schwer
zu erreichen in diesen Tagen. Als sie sich
am Mittwoch endlich kurz Zeit für den
SPIEGELnimmt, ist es ihr wichtig, vor al-
lem eines klarzustellen: »Unserer Meinung
nach ist kein Land der Welt auf diese Seu-
che richtig vorbereitet.«

Jörg Blech, Kristina Gnirke, Hubert Gude,
Veronika Hackenbroch, Nils Klawitter,
Martin U. Müller, Christian Parth,
Cornelia Schmergal, Christoph Schult,
Samiha Shafy, Julia Smirnova,
Frank Thadeusz, Bernhard Zand

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Blieben die Coronavirus-Infektionen re-
gional begrenzt, könnten Kliniken Perso-
nal zwischen den Bundesländern verschie-
ben. Aber: »Wenn wir bundesweit mehrere
Hunderttausend Patienten zusätzlich ver-
sorgen müssten, gäbe es kein Gesundheits-
system der Welt, das damit kein Problem
bekommen würde«, sagt Susanne Johna,
Chefin der Ärztegewerkschaft Marburger
Bund und Pandemiebeauftragte der Bun-
desärztekammer. Andererseits habe man
»mit dem jetzt vorhandenen Personal auch
die große Influenzawelle vor zwei Jahren
gestemmt«, sagt Johna, Internistin am St.-
Josef-Hospital Rheingau in Rüdesheim am
Rhein. Allerdings sei das Gesundheitssys-
tem da an Grenzen gekommen.
Viele Patienten könnten sich indes in
den Wartezimmern anstecken, wenn sie

Titel

DER SPIEGEL Nr. 10 / 29. 2. 2020
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