Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1
Kultur

I


m vergangenen Sommer ist Ta-Nehisi
Coates nach Washington ins Kapitol
gereist, um vor dem Abgeordneten-
haus auszusagen. Es ging um das
G e s e t z e s v o r h a b e n H. R. 4 0 , R e p a r a t i o n e n
für afroamerikanische Bürger. Coates hat-
te sich ein weißes Hemd und ein tailliertes
graues Sakko angezogen, aber die obers-
ten beiden Knöpfe des Hemdes offen
gelassen.
Am Tag zuvor hatte ihm der umtriebige
Mehrheitsführer im Senat, Mitch McCon-
nell, schon entgegengerufen, er verstehe
nicht ganz, was der Quatsch mit Reparatio-
nen solle, er halte das alles »für keine gute
Idee«. Die Sklaverei sei jetzt schließlich seit
150 Jahren vorbei, und die Leute, die damals
dafür verantwortlich waren, seien alle tot.
Außerdem habe man in dieser Sache bereits
»einen Bürgerkrieg geführt, bahnbrechende
Bürgerrechte verabschiedet und einen afro-
amerikanischen Präsidenten gewählt«. Und
jetzt noch Reparationen? C’mon.
Gegen den Republikaner McConnell
hatten die Befürworter des Gesetzesvor-
habens für Reparationen, hauptsächlich
Angehörige der Demokratischen Partei,
ihren besten Mann geschickt: Ta-Nehisi
Coates. Er gilt, zumindest in progressiven
Kreisen, als wichtigster lebender afroame-
rikanischer Denker.
Als er 2015 ein kleines Büchlein mit
dem Titel »Zwischen mir und der Welt«
fertig hatte, bat Coates seinen Verlag,
der schwarzen Literaturnobelpreisträgerin
Toni Morrison die Fahnen seines Buchs zu
schicken. Coates kannte Morrison nicht,
aber er bewunderte sie. Nach einigen Ta-
gen schrieb Morrison zurück: »Ich habe
mich schon lange gefragt, wer die intellek-
tuelle Lücke schließen könnte, die mich
geplagt hat, seit James Baldwin gestorben
ist: Ganz klar ist das Ta-Nehisi Coates.«
Baldwin ist 1987 gestorben, die Lücke
war also schon ziemlich lange da. Und weil
Baldwin, der in den Fünfziger- und Sech-
zigerjahren richtungsweisende Abhand-
lungen dazu schrieb, was es bedeutete,
schwarz in Amerika zu sein, war es auch
eine ziemliche große Lücke.
Doch Morrison hatte sich nicht ge-
täuscht. »Zwischen mir und der Welt«, ein


Ta-Nehisi Coates: »Der Wassertänzer«. Aus dem Ame-
rikanischen von Bernhard Robben. Blessing; 544 Sei-
ten; 24 Euro.

eindringlicher Warnbrief Ta-Nehisi Coates’
an seinen damals 14-jährigen Sohn, wurde
ein Bestseller und ist heute das Referenz-
dokument für Schwarze wie Weiße, die
ein Gefühl dafür bekommen wollen, wie
sehr sich ein schwarzes Leben von einem
weißen in den USA unterscheidet. Es ge-
hört vielleicht zu den prägendsten Erfah-
rungen für einen Europäer, der für einige
Jahre in die USA kommt, wenn er in sei-
nen ersten Wochen feststellt, wie tief der
Rassismus in jeder Form bis in die banals-
ten Alltagsvorgänge verwoben ist: an der
Supermarktkasse, auf dem Amt, in der
U-Bahn, auf dem Kinderspielplatz.
Erstaunlich, dass gemessen an seiner
Omnipräsenz und Schwere nicht viel
mehr über dieses Problem geschrieben
und nachgedacht wurde. Vielleicht konn-
ten die Amerikaner nach all den Jahrhun-
derten und Jahrzehnten auch schlicht
nicht mehr. Vielleicht hatten sie resigniert.
So wie Leute irgendwann aufhören, sich
über die Verspätung der Bahn aufzuregen,
so lassen sie es vielleicht auch irgendwann
mit dem Rassismus. Es änderte sich ja
doch nichts.
Ab Mitte der Zehnerjahre wurde es so-
gar eher wieder schlechter, als in den Nach-
richten alle paar Wochen von Polizisten

die Rede war, die junge schwarze Männer
erschossen hatten. Das hatten sie wohl
schon immer getan, bloß gab es nun auf
einmal Videos davon. Michael Brown in
Ferguson, Trayvon Martin in Florida,
Tamir Rice in Cleveland, Freddie Gray in
Baltimore.
Es war jedenfalls eine ziemlich große
Lücke, die von Baldwin, in die Ta-Nehisi
Coates da reinsollte.
Er misst einen Meter zweiundneunzig
und hat eine kompakte Statur. Es ist ein
Montagmorgen Mitte Februar, gerade wird
es 7.25 Uhr. Coates stapft durch die Kälte
am Cooper Square auf dem Weg zu einem
Gebäude der New York University, wo er
Journalismusstudenten gutes Schreiben
beibringen soll. Er trägt eine schwarze Dau-
nenjacke von Moncler, einer Luxusmarke,
die sonst eher von wohlhabenden Skifah-
rern von Kitzbühel bis Aspen getragen
wird. Coates kopiert damit das Modecredo
der Rapszene: Marken, die mit weißem
Wo h l s t a n d u n d M a c h t a s so z i i e r t we rd e n ,
zu besetzen und umzucodieren.
Coates’ Seminar beginnt um halb zehn.
Dieser Termin um 7.25 Uhr war der einzi-
ge, den er innerhalb der nächsten Wochen
frei hatte, und er sieht abgekämpft aus,
eine Erkältung. Seine Assistentin hatte vor-
gewarnt: »Ta-Nehisi has a cold.«
Er ist trotzdem gekommen, um über sei-
nen ersten Roman zu sprechen. Er sagt, er
habe ihn lange vor seinem Erfolg »Zwischen
mir und der Welt« begonnen. Der Roman
ist, wenn man so will, das »Was bisher ge-
schah« zu Coates’ essayistischem Werk.
Ging es in Letzterem um die Gegenwär-
tigkeit schwarzen Lebens, behandelt »Der
Wassertänzer« die Ursünde, auf der alles
beruht: jene Sklavenhaltung, für die Coates
in dem wegweisenden Essay »The Case
for Reparations« von 2014 Wiedergut -
machungszahlungen gefordert hat, für
die er im Sommer 2019 vor dem Senat
g e s p r o c h e n h a t t e.
Die Sklavenhaltung wurde 1865 nach
dem Ende des Sezessionskriegs abge-
schafft, also tatsächlich schon vor langer
Zeit. Doch darauf folgten weitere 100 Jah-
re, bis 1965, in denen die sogenannten
Jim-Crow-Gesetze Afroamerikaner zu Bür-
gern zweiter Klasse machten. 1965 ist nun
wiederum noch nicht so lange her, da gab
es zum Beispiel die Beatles schon. Die Ab-
schaffung der Gesetze war ein epochales

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Schwarzer Panther


RassismusEr ist der wichtigste afroamerikanische Intellektuelle, seine Essays durchleuchten
die Diskriminierung in den USA. Nun erscheint Ta-Nehisi Coates’ erster

Roman »Der Wassertänzer«: Er beschreibt den Alltag der Sklaverei. Von Philipp Oehmke


DPA / PA
Marvel-Comic
Liebe, Betrug, Verrat, Action
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