Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1
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Goldpreis
in Dollar je Feinunze

Auto-
absatz
in China
jeweils gegen-
über dem
Vorjahresmonat

Kerosinpreis in Dollar je Tonne


Quelle: Quelle: Refinitiv Datastream
Refinitiv
Datastream

1400

1500

1600

450

500

550

600

0

–20%

–40%

–60%

–80%
Quelle: CPCA

ling der Anleger, dass es die prognostizier-
ten Umsätze vermutlich nicht erreichen
werde. Apple lässt seinen Hauptumsatz-
bringer, das iPhone, wie andere Produkte
auch von Foxconn in China fertigen. Und
dort stockt die Produktion, obwohl die
Fabrik wieder geöffnet ist. Viele Wander-
arbeiter sind noch immer nicht an ihren
Arbeitsplatz zurückgekehrt.
Apples Gewinnwarnung löste einen ers-
ten Börsenschock aus. Die Meldung hatte
deutlich gemacht, wie abhängig selbst die
größten Konzerne von Chinas Fabriken
sind.
Dann tauchten immer mehr Fälle von
Infizierten außerhalb Chinas auf, in Süd-
korea, in Italien, auf Teneriffa und auch
in Deutschland. Und wie über Nacht war
es mit der Illusion vorbei, das Virus sei ein
regionales Problem. Die Gefahr einer Pan-
demie erschien plötzlich real. Eine solche
globale Seuche würde die westlichen
Volkswirtschaften direkt treffen, weit über
die Verbindungen zu China hinaus. Fabri-
ken würden auch in Europa stillstehen,
Schulen würden geschlossen, die Bürger
würden Menschenansammlungen meiden,
das öffentliche Leben käme weitgehend
zum Erliegen.
Angst breitete sich an den Börsen aus,
der deutsche Aktienindex Dax brach am
Montag und Dienstag um 5,8 Prozent ein,
der amerikanische Dow-Jones-Index um
6,6 Prozent. Und der Kursverfall setzte
sich am Donnerstag fort, nachdem weitere
Konzerne wie Microsoft ihre Erwartungen
zurückschrauben mussten. Und nachdem
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn
(CDU) offiziell vom »Beginn einer Epide-
mie« in Deutschland gesprochen hatte.
»Diese Krise ist viel tief greifender für
China und den Rest der Welt, als die In-
vestoren geglaubt haben«, sagt der US-
Ökonom Nouriel Roubini. Mit drastischen
Folgen für die Finanzmärkte: Er glaubt,
dass die globalen Aktienmärkte »in die-
sem Jahr um 30 bis 40 Prozent fallen«.
Noch bewegen sich die Kursrückgänge
im Rahmen einer normalen, wenn auch
heftigen Korrektur, wie sie an den Börsen


immer mal wieder vorkommt. Noch kann
von einem Crash keine Rede sein. Aber
die zunehmende Unsicherheit ist gefähr-
lich.
Angst schlägt an der Börse schnell in
Panik um, und dann finden die Kurse
keinen Halt mehr – so wie im September
2008, als die Pleite der amerikanischen
Investmentbank Lehman Brothers einen
Crash auslöste, es folgte die Finanz- und
anschließend eine schwere Wirtschafts -
krise.
Gibt es jetzt wieder einen solchen Leh-
man-Moment? Ist das Coronavirus der be-
rüchtigte Schwarze Schwan, der dem lang-
jährigen Börsenboom ein jähes Ende
setzt?
»Der Schwarze Schwan«: So hieß ein
Buch, das kurz vor der Finanzkrise heraus-
kam und das Phänomen eines vollkom-
men unerwartet auftretenden Ereignisses
beschreibt, das extreme Folgen hat. Kurz
nach Erscheinen ging Lehman pleite. Die
Finanzmärkte standen vor dem Abgrund.
Damals mussten Banken mit dem Geld
der Steuerzahler gerettet werden, die Men-
schen fürchteten um ihr Erspartes, was die
Nachfrage einbrechen ließ und schließlich
auch die Konjunktur. Aus Angst vor Ver-
mögensverlusten horteten die Bürger
Geld, und Investoren zogen Kapital ab.
Schließlich standen nicht nur die Finanz-
märkte, sondern auch die Weltkonjunktur
vor dem Kollaps.
Diesmal ist es anders. Die Gefahr geht
nicht von den Banken, sondern von der
realen Wirtschaft aus. Wenn sie wegen des
Virus weitgehend zum Erliegen kommt,
würde sie die Börsen mit in die Tiefe zie-
hen. Was wiederum eine Finanzkrise nach
sich ziehen könnte, weil viele Unterneh-
men hoch verschuldet sind. Es wäre wie-
der eine Krisenspirale, die sich immer wei-
ter verstärkt. Eine Krise wie bei Lehman,
nur andersherum.
Die Bedrohung ist real. Die Weltwirt-
schaft schwächelt, der bisherige Wachs-
tumstreiber, die Globalisierung, stockt, das
Dopingmittel der niedrigen Zinsen wirkt
nicht mehr. Und zu alledem hat US-Präsi-

dent Donald Trump einen Handelskrieg
angefacht.
Jeder Wachstumszyklus ist einmal vor-
bei. Dieser könnte besonders abrupt enden.
Zumal die Weltwirtschaft verwundbar
ist wie nie, weil sie verflochten ist wie nie.
Die Unternehmen kaufen Teile bei Zu -
lieferern, die wiederum Teile von Unter-
zulieferern beziehen und die Teile von Un-
terunterzulieferern. Viele Konzerne ver-
schaffen sich erst jetzt einen genaueren
Überblick über ihre Lieferketten, erst jetzt
wird ihnen klar, welche Abhängigkeiten
sie eingegangen sind – und dass sie sich
alle gegenseitig in den Abgrund ziehen
können.
Stehen in Chinas Fabriken die Bänder
still, spüren dies die Kunden in Südkorea,
Japan oder Vietnam, in den USA und in
Deutschland. Sie warten auf Nachschub,
ihnen fehlen Komponenten für Computer
und Smartphones, für Motoren und Ma-
schinen. Das ganze Ausmaß des Problems
dürfte erst in diesen Tagen erkennbar wer-
den: Ein Containerschiff aus Shanghai
braucht rund sechs Wochen, bis es den
Hamburger Hafen erreicht. Erst kurz zu-
vor war das neuartige Coronavirus iden -
tifiziert worden.
Das Virus mache klar, wie abhängig die
Weltwirtschaft davon sei, dass die inter -
nationale Arbeitsteilung reibungslos funk-
tioniere, sagt Handelsexperte Stefan Leg-
ge von der Universität St. Gallen – und
wie verletzlich das System sei. Einige Wo-
chen lang könne die Industrie die Störung
von Lieferketten einigermaßen überste-
hen, allmählich aber werde es eng. »Wir
befinden uns an einem kritischen Punkt.«
Bei der Welthandelsorganisation WTO
in Genf verfolgt Chefvolkswirt Robert
Koopman die Entwicklung mit Sorge.
»Das Coronavirus hat vor allem einen An-
gebotsschock ausgelöst«, sagt er. Wenn Ar-
beitskräfte zu Hause blieben, werde die
Produktion beeinträchtigt. Außerdem ver-
ursache die Bekämpfung der Epidemie
Kosten: im Gesundheitswesen zum Bei-
spiel oder durch die Ausfälle in der Luft-
fahrt. Und schließlich leide auch die Nach-
frage, weil die Leute weniger einkaufen,
wenn sie zu Hause isoliert sind.
Solange das Virus auf China begrenzt
war, hielt die WTO die Folgen der Epide-
mie für überschaubar. Inzwischen sei klar,
»dass sich das Virus weiter ausbreitet und
die wirtschaftlichen Folgen weit über Chi-
na hinausgehen«, sagt Koopman.
Wie stark der Rückgang des Welthan-
dels ausfällt, hängt allerdings in erster Li-
nie von China ab. Die Volksrepublik ist
nach den USA zur zweitgrößten Volkswirt-
schaft der Welt aufgestiegen. Sie ist heute
gut viermal größer als 2003, als das Sars-
virus das Land lähmte. Damals machte
Chinas Anteil an der globalen Wirtschaft
4,3 Prozent aus, heute liegt er bei gut

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