Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1
Der Tourismusin Italien ist von der Corona-Krise besonders
hart getroffen. Venedig verscherbelt Hotelzimmer für 30 oder 40 Euro pro
Nacht, trotzdem gingen die Reservierungen um 40 Prozent zurück.

ANDREA PATTARO / AFP

DER SPIEGEL Nr. 10 / 29. 2. 2020 17

Titel

Auch der Einzelhandel in den Städten
leidet. In der Industrie mussten die ersten
Fabriken geschlossen werden, nachdem
sich Arbeiter mit dem Virus infiziert hat-
ten. Aus Angst vor einer Kettenreaktion
appellierten Branchenverbände bereits an
die Unternehmen, die Produktion mög-
lichst nicht zu unterbrechen.
Die Kritik am Krisenmanagement der
Regierung wächst. Fabrikanten, Hoteliers
und Einzelhändler sprechen von einem Pa-
nikeffekt, den das Kabinett erzeugt habe,
und von Maßnahmen, die als exzessiv
wahrgenommen würden. Italien sei des-
halb weltweit quasi auf einer schwarzen
Liste gelandet. Manager würden von Ge-

es sehr wahrscheinlich, dass Unternehmen
Investitionen und Einstellungen verschie-
ben«, sagt Choi Sangyup von der Wirt-
schaftsfakultät der Yonsei-Universität in
Seoul.
Viele Unternehmen haben in dem für
seine rigide Arbeitskultur bekannten Land
sogar die Kernarbeitszeit verändert, um
die Ansteckung in öffentlichen Verkehrs-
mitteln zu vermeiden. Andere haben für
die gesamte Belegschaft Heimarbeit ange-
ordnet. Der Mischkonzern Samsung muss-
te seine Fabrik in Gumi, wo auch das falt-
bare Galaxy Z Flip hergestellt wird, sogar
für zwei Tage schließen.
Sosehr das Virus die südkoreanische
Wirtschaft beeinträchtigen wird: Die Fol-
gen für die deutsche Wirtschaft werden
wohl eher gering sein. »Die Importe
Deutschlands aus Südkorea machen etwa
ein Zehntel seiner Einfuhren aus China
aus und ähneln denen des Landes aus Dä-
nemark«, sagt Wirtschaftsprofessor Choi.
Die Versorgung der deutschen Hersteller
von Elektroautos mit Batterien südkorea-
nischer Unternehmen ist ohnehin unab-
hängig davon. Zwar beliefert der größte
koreanische Produzent LG Chem 13 der
20 wichtigsten Automarken der Welt, die
Batterien für die Autokonzerne aber kom-
men aus einem Werk in Polen.
Das Problem: Auch Europa rutscht all-
mählich in den Krisenmodus.

Brunello Cucinelli sitzt wieauch der milli-
ardenschwere Modekonzern, der seinen Na-
men trägt, in der umbrischen Kleinstadt So-
lomeo zwischen Florenz und Rom, weit ent-
fernt vom Epizentrum der Corona-Krise.
Trotzdem hat er Vorsichtsmaßnahmen
für seine tausend Mitarbeiter vor Ort er-
griffen. »In unseren Fabriken gehen die
Mitarbeiter jetzt in drei Schichten zum
Mittagessen, damit nicht so viele gleich-
zeitig in der Kantine sind«, sagt der Unter -
nehmer. »Wir arbeiten bei geöffneten Fens-
tern, und in Besprechungen achten wir auf
einen größeren Abstand zueinander.«
Große Bedenken hat er nicht. »Vor 10,
15 Tagen war ich noch besorgter. Dieses
Problem bekommen wir in den Griff.« Die
Erdbeben in seiner Region seien viel
schlimmer – »weil sie nicht vorhersehbar
sind und man nichts dagegen tun kann«.
Cucinelli, der seine Kaschmirmoden
von zahllosen Familienbetrieben im Um-
feld seines Heimatorts fertigen lässt, rech-
net nur mit vorübergehenden Effekten.
»Unsere Firmen hier, in Italien, eure in
Deutschland und die anderen in Europa
werden ein bisschen weniger wachsen«,
erwartet er, »sonst passiert nichts, struk-
turelle Effekte wird es nicht geben.«
Wenn er sich da nicht täuscht. Denn
während sich die Italiener langsam an ei-
nen Alltag mit dem Virus gewöhnen und
die neuesten Infiziertenzahlen routinierter


zur Kenntnis nehmen, kommen zuneh-
mend Schreckensnachrichten aus der Wirt-
schaft. Eine Branche nach der nächsten
meldet Gewinneinbrüche, stornierte Auf-
träge, verschreckte Geschäftspartner in
aller Welt.
Besonders hart hat es den Tourismus
getroffen. Venedig verscherbelt Hotelzim-
mer für 30 oder 40 Euro, trotzdem gingen
die Reservierungen um 40 Prozent zurück.
Landesweit rechnet die Branche bis Ende
Mai mit über 20 Millionen weniger Gästen.
Ostern und Pfingsten haben die Touris-
mushochburgen Norditaliens schon verlo-
ren gegeben, jetzt bangen sie um die Re-
servierungen für die Sommerferien.
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