Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1
DER SPIEGEL Nr. 10 / 29. 2. 2020

Diensthandys
Löschen erlaubt

 Bundesminister können selbst entschei-
den, ob sie SMS-Nachrichten auf ihren
Diensthandys löschen oder zu den Akten
geben. Das geht aus der Antwort der
Regierung auf eine Kleine Anfrage der
FDP-Fraktion hervor. Demnach »findet
eine Speicherung von SMS und Telefon-
kontakten außerhalb der Geräte mit
Blick auf den Daten- und Persönlichkeits-
schutz nicht statt«. Die Regierung beruft
sich auf eine Richtlinie, wonach Minister
ihre Han dys »auch privat« nutzen könn-
ten. Falls »aktenrelevante digitale Infor-
mationen« anfielen, würde von der Haus-

leitung »sichergestellt«, dass diese regis-
triert würden. Allerdings wurde jüngst
im Zuge der Berateraffäre im Verteidi-
gungsministerium bekannt, dass bei den
Diensthandys von Ex-Ministerin Ursula
von der Leyen (CDU) die Daten gelöscht
worden waren. Sie waren dadurch für
den Untersuchungsausschuss im Bundes-
tag verloren. »Die Geschäftsordnung der
Bundesministerien und die Registratur-
richtlinie sind noch für das analoge Zeit -
alter gemacht«, sagt der FDP-Innenexper-
te Konstantin Kuhle. Seine Fraktion wird
einen Antrag stellen, dass in den Minis -
terien eine »weisungsunabhängige Stelle«
über die Archivierung von Daten
entscheidet und nicht die Minister. SVE

So gesehen

Brennpunkt


Apolda


Merz preist Ostdeutschen
Kreuzberg als Beispiel an.

Im Kampf um den CDU-Vorsitz droht
Friedrich Merz mit schonungsloser
Kritik die als sicher geltende Unterstüt-
zung ostdeutscher Parteiverbände zu
verspielen. Mit den Worten »Das hier
ist nicht Berlin-Kreuzberg« hielt der
Reformkandidat am Aschermittwoch
den Besuchern einer Veranstaltung in
dem thüringischen Städtchen Apolda
ihre eigene Rückständigkeit vor.
So harsch sie auch klingen mag – tat-
sächlich belegen zahlreiche Fakten die
merzsche These: Apolda zählt etwa
22 000 Einwohner mit rückläufiger Ten-
denz, Kreuzberg hat heute siebenmal
so viele Bewohner und wächst. Aus
Apolda stammt zwar die innovative
Hunderasse Dobermann, in Kreuzberg
jedoch baute Kon-
rad Zuse den ersten
funktionstüchtigen
Computer der Welt.
Kreuzberg gilt als
weltoffener kultu -
reller Schmelztiegel,
Apolda seit je als so -
zialer Brennpunkt:
»Hier ist ein bös Nest und lärmig, und
ich bin aus aller Stimmung. Kinder und
Hunde, alles lärmt durch einander ...«,
berichtete Johann Wolfgang von Goe-
the bereits 1779 unwillig aus Apolda,
und feierwütige Studenten besangen
den Ort wegen der dortigen Verfüg -
barkeit gesundheitsschädlicher Rauch-
waren: »Knaster, den gelben, hat uns
Apolda präpariert!«
Mit den Worten »Das ist mitten in
Deutschland!« empörte sich Merz vor
vollem Haus über die Zustände. Ein
mutiges, wenngleich riskantes Signal
des Mannes, der seiner Partei und dem
ganzen Land »Aufbruch und Erneue-
rung« verspricht. Hoffentlich wird er
nicht missverstanden. Stefan Kuzmany


»Kinder
und Hunde,
alles lärmt
durch -
einander.«

24

Der österreichische
Ökonom Gabriel
Felbermayr, 43,
Präsident des
Instituts für Welt-
wirtschaft in Kiel,
über eine Regio -
nalisierung des
Energiemarkts

SPIEGEL:Herr Felbermayr, Schleswig-
Holstein droht mit dem Ausstieg aus
dem gemeinsamen deutschen Strom-
markt, um Windenergie im Norden
direkt zu vermarkten. Sind Sie geistiger
Pate dieser Idee?
Felbermayr:Ich befürworte das, aber das
liegt schon lange in der Luft. Würde der
Strom regional gehandelt und vertrieben,
wäre er in Schleswig-Holstein nämlich
billig und in Bayern, wo er knapp ist, teu-
er. Doch statt dass der Strom vor Ort
nutzbar gemacht wird, regeln wir Wind-
kraftanlagen im Norden ab und werfen
damit Strom weg.
SPIEGEL:Von 2015 bis 2019 haben Strom-
zahler rund 1,3 Milliarden Euro für soge-
nannten Geisterstrom bezahlt: für Strom,
den Windkraftbetreiber nicht einspeisen
durften, weil die Netze überlastet waren.
Felbermayr:Um diesen »Wegwerfstrom«
zu nutzen, muss er regional handelbar
werden – und damit günstiger. Man müss-
te eine eigene Strombörse Nord schaffen.
Das würde allerdings am Widerstand
der Südländer, von Hessen bis Bayern,
scheitern.
SPIEGEL:Deren Juristen können sich
dabei auf die Verfassung berufen.
Felbermayr:Das Grundgesetz garantiert
gleichwertige Lebensverhältnisse, ja.
Dort steht freilich nicht, dass Strompreis-

zonen in Deutschland illegal wären.
Auch die EU lässt regionale Strommärkte
zu. Die skandinavischen Flächenländer
haben mehrere Stromzonen, teilweise
sogar länderübergreifend.
SPIEGEL:Was läuft bei uns falsch?
Felbermayr:Die Verhältnisse auf dem
deutschen Strommarkt verzerren die Rea-
lität gleich doppelt. Einerseits ärgern sich
die Menschen im Norden, dass die neuen
Hochspannungsleitungen, die ihren
Windstrom abtransportieren, ihre Strom-
rechnung verteuern. Denn die Netzent-
gelte werden regional umgelegt und sind
ein hoher Bestandteil am Gesamtpreis.
Die Menschen im Süden wiederum
haben keinen Anreiz, ihre Leitungen für
den Windstrom aus dem Norden aus -
zubauen, da dies ihre Stromrechnung ver-
teuern würde. Durch diese Verbilligung
entstehen im Speckgürtel von München
etwa neue Parks für stromfressende Ser-
ver – statt bei Hamburg.
SPIEGEL:Würde die Industrie auf
einem regionalisierten Strommarkt also
nach Norden, zu den Stromproduzenten,
umziehen?
Felbermayr:Wenn wir überall gut aus -
gebaute Leitungen hätten, würden
verschiedene Märkte nicht zwingend ver-
schieden hohe Strompreise bedeuten.
Denn dorthin, wo Strom knapp und
damit teuer wäre, würde dann Strom aus
einem benachbarten Strommarkt fließen,
wo er gerade billig ist. Allerdings ist es
eine physikalische Tatsache, dass beim
Transport von Strom immer Strom ver-
braucht wird. Deshalb ist es sehr oft
volkswirtschaftlich sinnvoll, Strom dort
zur Produktion von energieintensiven
Gütern und Dienstleistungen einzuset-
zen, wo er reichlich vorhanden ist. AB

THOMAS DASHUBER / AGENTUR FOCUS

Windkraft

»Stromtransport verbraucht Strom«

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