Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1

SPIEGEL:Herr Merz, Sie wollen CDU-
V o r s i t z e n d e r u n d K a n z l e r k a n d i d a t w e r -
den, also Angela Merkel beerben. Wie ist
Ihr Verhältnis zur Kanzlerin?
Merz:Gut.
SPIEGEL:Den Eindruck hatten wir bislang
nicht. Was war denn die größte Leistung
von Frau Merkel?
Merz:15, vielleicht sogar 16 Jahre lang
Kanzlerin dieses Landes zu sein.
SPIEGEL:Also keine inhaltliche Leistung?
Merz:Doch, natürlich. Angela Merkel hat
mit ihrer Regierung in einer sehr schwieri-
gen Lage 2008 und 2009 die Finanzkrise
bewältigt. Das wird im Rückblick wahr-
scheinlich als eine der größten Leistungen
ihrer Amtszeit bewertet werden.
SPIEGEL:Und ihre größte Fehlleistung?
Merz:Alles andere zu beurteilen sollten
wir den Historikern überlassen.
SPIEGEL:Nehmen wir an, Sie gewinnen
die Wahl und werden CDU-Chef. Können
Sie verstehen, dass uns die Fantasie fehlt,
wie Sie fast anderthalb Jahre lang mit einer
Kanzlerin Merkel auskommen sollen?
Merz:Kann ich verstehen, ja.
SPIEGEL:Wie wollen Sie das lösen?
Merz:Wir sprechen gegebenenfalls nach
meiner Wahl darüber, wie wir das machen.
SPIEGEL:Sie sagen, Sie stünden für »Auf-
bruch und Erneuerung«. Vor zwei Jahr-
zehnten waren Sie allerdings schon Frak-
tionschef im Bundestag. Wo soll da, bitte,
die Erneuerung sein?
Merz:Ich bitte Sie, machen Sie die Fähig-
keit zur Erneuerung am Lebensalter fest?
Bernie Sanders ist in den USA zurzeit der
Held der Jugend, und er ist 14 Jahre und
einen Herzinfarkt älter ist als ich. Wir kön-
nen auch in Deutschland Leidenschaft und
Engagement in den politischen Diskurs zu-
rückbringen. Das ist intellektuell anstren-
gend. Aber es muss sein, wenn wir wieder
echte Debatten führen wollen.
SPIEGEL:Ihr großes Versprechen ist es, die
Wahlergebnisse der AfD zu halbieren. Wie
wollen Sie das eigentlich hinkriegen?
Merz:Die größte Partei in Deutschland
ist die Partei der Nichtwähler. Von denen


Das Gespräch führten die Redakteure Christoph Hick-
mann und Veit Medick in Berlin.


können wir viele für uns gewinnen. Und
die AfD ist bei vielen Wählerinnen und
Wählern das Ventil für die Unzufrieden-
heit mit uns, mit der Union. Das darf so
nicht bleiben. Ich bin fest davon überzeugt:
We n n w i r u n s w i e d e r k l a re r p o s i t i o n i e re n ,
wenn wir unsere Kernkompetenzen wie-
der besser formulieren, dann bekommen
wir von dort mehr zurück, als wir irgend-
wo anders hin verlieren. Wie viel wollen
wir denn noch verlieren? Wir liegen ohne
die CSU jetzt noch bei rund 22 Prozent.
SPIEGEL:Also muss die CDU aus Ihrer
Sicht ein Stück nach rechts rücken?
Merz:Nein. Wir müssen das Fundament
der CDU wieder so verbreitern, dass alle
bürgerlichen Wählerinnen und Wähler bei
uns zu Hause sind: die sozialpolitisch
Engagierten, die Liberalen und die Wert -
konservativen. Das waren immer die drei
großen und starken Wurzeln der CDU.
SPIEGEL:Was hat diese Wähler in den ver-
gangenen Jahren verprellt? Etwa nur die
Flüchtlingspolitik von Angela Merkel?
Merz:Ganz sicher war das eine Ursache,
ja. Dazu beigetragen haben aber auch gro-
ße Teile der Europapolitik, speziell die
Euro rettungspolitik. Das war ja auch die
Gründungsgeschichte der AfD, bevor sie
zu großen Teilen rechtsradikal wurde.
Dazu kommt bis heute ein zu häufiges
Nachgeben gegenüber der SPD. Aber ich
schaue nicht zurück. Wir treten jetzt in
eine neue Phase ein.
SPIEGEL:Klingt aber tatsächlich ziemlich
rückwärtsgewandt. Sie wollen die Gren-
zen schließen und die Europapolitik ent-
merkeln. Verstehen wir das richtig?
Merz:Ich will zurück zur Disziplin im
Euroraum, das stimmt. Ich will die immer
noch weiter steigende Verschuldung in
manchen Mitgliedstaaten nicht einfach hin-
nehmen. Aber darin erschöpft sich doch
nicht meine Europolitik. Ich will mehr Ge-
meinsamkeiten in Europa, und das heißt,
dass wir mehr Souveränität mit anderen
teilen. Deutschland überlebt nur in einem
starken Europa, einem Europa, das auch
seine Außengrenzen besser schützt. Grenz-
kontrollen an den Binnengrenzen sind im-
mer nur anlassbezogen zulässig, aber
wenn ein solcher Anlass besteht, dann

müssen sie auch zwingend sein. Der Kon-
trollverlust an unseren Grenzen von 2015
und 2016 darf sich einfach nicht wieder-
holen – zu diesem Ergebnis ist ja auch
die CDU unter dem Vorsitz von Annegret
Kramp-Karrenbauer im vorigen Jahr schon
gekommen.
SPIEGEL:Wie wollen Sie dem grassieren-
den Rassismus entgegentreten?
Merz:Der offensichtlich zunehmende
Fremdenhass in unserem Land ist eine He-
rausforderung für die ganze Gesellschaft.
Gerade in Deutschland müssen wir ganz
konsequent und wenn notwendig mit allen
Mitteln des Rechtsstaates dagegen vorge-
hen. Aber juristische Schritte sind das eine,
viel wichtiger ist das gesellschaftliche Um-
feld. Da sind wir alle aufgerufen, ein tole-
rantes und weltoffenes Klima in diesem
Land zu bewahren.
SPIEGEL:Uns ist aufgefallen, dass Sie bei
Ihren Auftritten häufig Rechtsextremismus
und Linksextremismus quasi gleichsetzen.
Merz:Nein, ganz im Gegenteil. Es gibt
G e m e i n s a m k e i t e n , a b e r e s g i b t a u c h e r h e b -
liche Unterschiede zwischen rechtsextre-
mer und linksextremer Gewalt. Ja, wir
h a b e n e i n P r o b l e m m i t w i e d e r z u n e h m e n -
dem und gewaltbereitem Linksradikalis-
mus, aber die Sicherheitsbehörden haben
das zurzeit weitgehend im Griff. Aus dem
rechtsradikalen Spektrum hingegen haben
wir in den letzten Jahren rund 100 Mord-
opfer zu beklagen. Und das ist gerade in
Deutschland besonders furchtbar. Richard
von Weizsäcker hat als Bundespräsident,
bezogen auf den Nationalsozialismus, ein-
mal sinngemäß gesagt, die heutige Gene-
ration hat nicht die Verantwortung für das,
was war. Aber sie hat die Verantwortung
dafür, was daraus wird.
SPIEGEL:Sie meinen seine berühmte Rede
von 1985, 40 Jahre nach Kriegsende.
Merz:Ja. Das war ein großer Satz. Wir
stehen alle, ob wir wollen oder nicht, im
historischen Kontext dieses schrecklichen
Teils unserer Geschichte. Und deswegen
finde ich, wir müssten da mehr differenzie -
ren. Ich habe massive und grundsätz liche
Vorbehalte gegen die Linkspartei, und es
gibt viele gute Gründe für die CDU, eine
Zusammenarbeit mit ihr auszuschließen.

28 DER SPIEGEL Nr. 10 / 29. 2. 2020


Deutschland

»Wie viel wollen wir denn


noch verlieren?«


SPIEGEL-Gespräch Friedrich Merz, 64, über seinen Plan für Deutschland, die Gefahr des


Rechtsextremismus, seine Fehde mit Angela Merkel und seine Schwächen

Free download pdf