Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1

am Werk waren. Stattdessen wurde über
Milieukriminalität spekuliert. Selbst nach
dem NSU haben wir alle die Brutalität der
Rechten immer noch unterschätzt. Mitt-
lerweile, nach dem Mord an Walter Lüb-
cke, den Morden in Halle, den entsetz -
lichen Ereignissen in Hanau, müsste auch
der Letzte wach geworden sein.
SPIEGEL:Was wollen Sie gegen diesen
rechten Terror tun?
Laschet:Hier brauchen wir unterschied-
liche Ansätze, ganzheitlich, auch gesamt-
gesellschaftlich. Es heißt, der Täter von
Hanau sei psychisch krank gewesen. Aber
davon abgesehen: Es gab immer schon psy-
chisch kranke Menschen, auch psychisch
labile Täter. Niemand wird einfach rechts-
radikal. Die Gefahr für labile Menschen
ist heute größer. Es herrscht in vielen Be-
reichen ein aggressives Grundklima, auf
das sich ein anfälliger Mensch dann schnel-
ler draufsetzt. Und dieses Klima von Hass
entsteht maßgeblich durch die Verrohung
der Sprache. Das geschieht, einerseits, im
Netz, anonym. Und andererseits ganz of-
fen im Deutschen Bundestag.
SPIEGEL:Sie meinen die AfD?
Laschet:Natürlich. Seitdem die AfD im
Bundestag sitzt, gibt es in nahezu jeder
Plenarsitzung Beiträge, die das Klima ver-
giften, die gegen Religionen und Kulturen,
gegen andere Menschen hetzen. Das gab
es früher in Deutschland nicht. Diese Hetze
hat die Maßstäbe verschoben. Wir müssen
also den politischen Kampf gegen diese ge-
sellschaftlichen Klimavergifter aufnehmen
und gleichzeitig die Polizei und den Ver-
fassungsschutz stärken. Hier in Nordrhein-
Westfalen beobachten wir zum Beispiel
stärker auch das Netz: Wer radikalisiert
sich? Und wie?
SPIEGEL:Friedrich Merz wirbt für sich mit
dem Versprechen, zahlreiche Wähler von
der AfD zurückzugewinnen. Haben Sie
dafür auch ein Rezept?
Laschet:Das ist jetzt wieder so ein theo-
retisches Beispiel. Wähler holt man zurück,
indem man überzeugende Politik macht,
Probleme der Menschen löst. Hier in Nord-
rhein-Westfalen liegt die AfD bei sieben
Prozent. Und wenn wir mit unserem Kurs
konsequent weitermachen, kriegen wir die
auch noch unter fünf Prozent. Nicht mit
Reden, sondern mit Handeln.
SPIEGEL:Wie denn?
Laschet:Indem wir zum Beispiel mit un-
seren Talentschulen in den schwierigsten
Vierteln die besten Schulen anbieten.
Oder indem wir die Voraussetzungen da-
für schaffen, dass neue Arbeitsplätze ent-
stehen. Und indem wir einen klaren Kurs
in der inneren Sicherheit fahren. Die fal-
sche Antwort wäre es, AfD-Themen zu
übernehmen und deren Sprache zu spre-
chen. Das funktioniert nicht.
SPIEGEL:Was ist Ihre Vorstellung von
sozialer Gerechtigkeit?


Laschet:Eine Gesellschaft darf nicht aus-
einanderdriften. Das beschäftigt mich im
Hinblick auf die zunehmende Sprachlosig-
keit zwischen Ost und West, Stadt und
Land, Alt und Jung. Hier brauchen wir
mehr Fairness im Umgang miteinander. Es
darf auch keinen zu großen Spalt zwischen
Arm und Reich, den sehr Wohlhabenden
und denen, die von staatlicher Hilfe leben
müssen, geben. Vor allem ist es sozial ge-
recht, wenn jedem Einzelnen der Aufstieg
durch Bildung möglich ist, unabhängig von
der Herkunft der Eltern.
SPIEGEL:Das berühmte sozialdemokrati-
sche Aufstiegsversprechen.
Laschet:Das ist sozial gerecht, dient dem
Zusammenhalt. Ich bin ja selbst ein Bei-
spiel dafür, quasi ein Produkt eines solchen
Aufstiegs. Mein Vater war Bergmann, und
er hat durch den Kultusminister der CDU,
Paul Mikat, die Chance gehabt, auf Lehrer
umzusatteln. Seine vier Söhne haben dann
studiert. Das ist das, was ich sozial gerecht
nenne. Diese Chancen müssen für alle gel-
ten, auch für Familien mit Zuwanderungs-
geschichte. Auch Kinder, die vielleicht

nicht so gut Deutsch sprechen, müssen die
gleichen Chancen haben.
SPIEGEL:Die Große Koalition hat den
Mindestlohn eingeführt und die Rente mit


  1. Voll auf Ihrer Linie, oder?
    Laschet:Die Rente mit 63 habe ich immer
    kritisch gesehen. Sie ist in einer Zeit des
    demografischen Wandels aus meiner Sicht
    falsch, aber man kann nicht nach jedem
    Regierungswechsel derartige Grundpfeiler
    wieder auf den Kopf stellen. Die Men-
    schen müssen sich darauf verlassen kön-
    nen, dass gerade in der Rentenpolitik über
    Jahrzehnte hinweg gedacht wird.
    SPIEGEL:Viele in der CDU sagen, dass
    Ihre Schwäche eine gewisse Gemütlichkeit
    sei, auch eine gewisse Schlampigkeit.
    Laschet:Wir arbeiten hier in Nordrhein-
    Westfalen sehr präzise und mit klaren Ab-
    sprachen. Anders geht es auch gar nicht,
    ein solches Land zu führen.
    SPIEGEL:Dann müssen wir Sie an eine Be-
    gebenheit im Jahr 2014 erinnern. Damals
    kamen Ihnen als Dozent an der RWTH
    Aachen Klausuren von Studenten abhan-
    den. Sie erfanden dann im Nachhinein kur-
    zerhand die Noten. Kann man ruhig schla-
    fen, wenn so jemand im Kanzleramt ist?
    Laschet:Ich empfehle, den ausführlichen
    Abschlussbericht der damaligen Wissen-


schaftsministerin dazu zu lesen. Es war
eine Verkettung unglücklicher Umstände,
auf allen Seiten wurden Konsequenzen ge-
zogen, auch von mir.
SPIEGEL:Wären Sie Kanzler, hätte eine
solche Verkettung, wie Sie das nennen,
allerdings viel schwerer wiegende Folgen.
Laschet:Dann würde man mich sicher an
der Art messen, wie ich das Amt führe. So
wie man mich jetzt an meiner Amtsfüh-
rung als Ministerpräsident misst.
SPIEGEL:Was ist Ihre größte Schwäche?
Laschet:Für solche Diagnosen gibt es
doch genug Journalisten.
SPIEGEL:Und Ihre größte Stärke?
Laschet:Da gilt das Gleiche.
SPIEGEL:Was ist die größte Stärke Ihres
Konkurrenten Friedrich Merz?
Laschet:Er kann Menschen begeistern.
Da, wo er hinkommt, sind die Säle voll.
Er spricht eine klare Sprache. Er ist ein
Wirtschaftsexperte.
SPIEGEL:Und seine Schwächen?
Laschet:Über Schwächen meiner Mit -
bewerber spreche ich nicht.
SPIEGEL:Müsste sich die Politik bei Greta
Thunberg bedanken, die die Aufmerksam-
keit auf die Klimakrise gelenkt hat?
Laschet:Greta Thunberg hat sicher einen
wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass das
Thema ernster genommen wird, medial,
aber auch in der gesamten Gesellschaft.
Das heißt aber nicht, dass wir Klimaschutz
vor Greta nicht vorangetrieben hätten.
Der Beschluss, eine Kommission zum Koh-
leausstieg einzusetzen, wurde von mir und
dem niedersächsischen Ministerpräsiden-
ten Stephan Weil durchgesetzt, im Koali-
tionsvertrag 2018. Das war vor Greta.
SPIEGEL:Ist der Klimawandel aus Ihrer
Sicht das politische Thema Nummer eins?
Laschet:Es gibt natürlich nicht immer nur
das eine große Thema. Der Klimawandel
ist eine globale Herausforderung. Wenn
Sie die Frage in einem Land im globalen
Süden stellen würden, ist dort sicher
die Frage der Ernährung, gar des Überle-
bens, des Endes von Krieg, wichtiger. Des-
halb müssen wir uns weiterhin um die
Bekämpfung von Armut bemühen und
darum, dass weltweit das Recht eingehal-
ten wird.
SPIEGEL:Wie lässt sich die Klimakrise
noch bewältigen? Müssen alle verzichten?
Laschet:Nur mit Verzicht wird es nicht
gelingen. Schauen wir noch mal in den
Süden: Wenn dort das Lebensniveau steigt,
dann steigt dort auch der CO
²
-Verbrauch.
Ja, wir brauchen auch Verzicht, aber wir
brauchen vor allem technologische Lösun-
gen. Unser Ziel ist zum Beispiel, dass die
Stahlproduktion ohne CO
²
-Ausstoß mög-
lich wird. Grüner Stahl, daran arbeiten wir,
das wäre ein großer Durchbruch.
SPIEGEL:Herr Laschet, wir danken Ihnen
für dieses Gespräch.

32 DER SPIEGEL Nr. 10 / 29. 2. 2020


Deutschland

»Merz kann Menschen


begeistern. Bei ihm sind


die Säle voll. Er spricht


eine klare Sprache.«

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