Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1

L


iebe Freunde«, sagt Gottfried Curio,
»wir müssen auch ein paar ernstere
Töne anschlagen, dieser Tage, es hat
ein furchtbares Ereignis gegeben in Ha -
nau.« Der AfD-Bundestagsabgeordnete
steht auf der Bühne im Donau-Gewerbe-
park im niederbayerischen Osterhofen,
der Saal ist voll, die Humpen auf den blau-
weiß gedeckten Tischen sind halb leer. Vor
allem ältere Männer sitzen vor Curio, da-
zwischen ein paar Frauen und ein junges
Paar mit Baby. Ein Junge mit Anzug und
Krawatte läuft auch durch den Saal.
Es ist politischer Aschermittwoch der
AfD, genau eine Woche nach dem ras -
sistischen Anschlag von Hanau. Bisher
haben der Vizevorsitzende Stephan
Brandner und die Abgeordnete Corinna
Miazga den Saal unterhalten, mit sexis -
tischen und homophoben Sprüchen, mit
Häme über Politiker anderer Parteien –
und einem »Dieser Bundespräsident muss
weg, lieber heute als morgen!« in Rich-
tung von Frank-Walter Steinmeier. Ap-
plaus, Gejohle.


Curio ist der angekündigte Überra-
schungsgast, der Starredner des Tages. Der
Saal wartet ruhig auf die »ernsteren Töne«
zum Anschlag von Hanau, wo Tobias
Rathjen zehn Menschen ermordet hat.
Curio sagt: »Er war ein gefährlicher Psy-
chopath, hat seinen Tötungsdrang, seine
Wahnfantasien versucht zu rationalisieren
mit widerlichen rechtsextremistischen, ras-
sistischen Parolen, aber das war ein wirk-
lich Geisteskranker.« Seine Taten würden
vom politischen Gegner nun gegen die
AfD verwendet. Die Opfer sollten nicht
missbraucht werden, sagt Curio. Aber:
»Dieser Amoklauf der Lüge, der im Nach-
hinein auch noch stattgefunden hat, das
ist hier die größte Bedrohung für Deutsch-
land und seine Demokratie.«
Applaus bricht aus, Männer rufen »Bra-
vo« oder johlen, Frauen pfeifen. Bundesvize
Brandner sagt: »Tolle Rede, habe nichts da-
ran auszusetzen.« Der Rassist also nur ein
Geisteskranker, die wahren Opfer sind nicht
die Toten und ihre Familien, sondern das
wahre Opfer ist die AfD, das sagt Curio hier.

Hanau könnte für die vergleichsweise
Gemäßigten in der AfD eine Möglichkeit
sein, das Profil der Partei zu verändern,
weg von ganz rechts außen. Dazu müsste
sie ohne Wenn und Aber bekennen, dass
Rassismus eine Bedrohung für die Gesell-
schaft ist. Gibt es noch Vernünftige, die ei-
nen neuen Ton finden? Oder behalten die
völkischen Kräfte die Oberhand?
Kurzzeitig schien es, als gäbe es eine
neue Tonlage in der Partei. Am Sonntag,
vier Tage nach Hanau, veröffentlichten die
Parteichefs Tino Chrupalla und Jörg Meu-
then einen offenen Brief an die Mitglieder:
»Die Tat von Hanau ist ein rassistisches
Verbrechen.« Sie sei »wie der Mord an
Walter Lübcke und die Morde von Halle
eine Schande für Deutschland«. Die Partei
müsse sich fragen, »warum es unseren poli -
tischen Gegnern gelingt, uns überhaupt
mit solch einem Verbrechen in Verbindung
zu bringen«. Dieser Frage müsse man sich
stellen, auch wenn es schwerfalle.
Die Vorsitzenden lieferten allerdings
keine Antwort auf diese Frage. Sie spra-
chen selbst in diesem Statement weiter
von »Ausländerhass« und »fremden Kul-
turen«, obwohl die Getöteten lange hier-
zulande lebten. Sie beendeten das State-
ment mit der üblichen Litanei von Angrif-
fen auf die AfD. Und sie veröffentlichten
den Brief am Nachmittag der Hamburg-
Wahl, als aufgrund erster Prognosen klar
wurde, dass es knapp werden würde mit
dem Einzug in die Bürgerschaft.

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Deutschland

FELIX ZAHN / PHOTOTHEK.NET
AfD-Leute Meuthen, Gauland, Höcke im Oktober 2019 in Berlin: »Völlig richtig, was Ihr sagt«

Weiter so? Weiter so!


AfDSeit dem Terroranschlag von Hanau wird die Partei mehr denn
je für den Anstieg rechter Gewalt verantwortlich gemacht. Die
Gemäßigteren sind zu schwach, um die Richtung zu beeinflussen.
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