Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1

War dieser neue Ton ernst gemeint?
Oder nur Taktik?
Hört man sich im Umfeld der Parteispit-
ze um, heißt es von den einen, es sei vor
allem Angst vor einer Beobachtung durch
den Verfassungsschutz, die seit einiger Zeit
von anderen Parteien gefordert wird. Die
AfD spürt mehr Druck denn je. Nach der
Ministerpräsidentenwahl in Erfurt und den
Morden von Hanau grenzen sich auch kon-
servative Politiker noch schärfer von ihr
ab. Dass AfD-Politiker offen Rassismus
propagieren, gilt bei der politischen Kon-
kurrenz und großen Teilen der Öffentlich-
keit als eine der Ursachen für das Attentat.
Chrupalla, heißt es bei manchen, wolle
den Druck lindern, ohne wirklich hinter
seinen Aussagen zu stehen. Andere sagen,
der Brief sei ihm ein echtes Anliegen ge-
wesen, schließlich könne man nicht mit an-
deren Parteien arbeiten, wenn man nicht
miteinander spreche. Von Koalitionen mit
CDU und FDP brauchte man dann nicht
mal zu träumen. Es solle ein Prozess an-
gestoßen werden. Das sei mutig von ihm,
schließlich sei er noch recht frisch im Amt.
Meuthen, der im Duo mit Chrupalla ei-
gentlich als der Gemäßigtere gilt, distan-
zierte sich in einer Telefonkonferenz des
Bundesvorstands am Dienstag von dem
Brief. Auch hatte er im Vorfeld versucht,
ihn abzuschwächen, wollte vor allem nicht,
dass von einem »rassistischen Verbrechen«
gesprochen wird, wie der SPIEGELvon
mehreren Personen erfuhr, die an der Ent-
stehung des Briefs beteiligt waren.
Meuthen bestätigt das auf Anfrage, sagt,
er fand den Ausdruck »unglücklich, weil
unvollständig«. Er wolle nicht über sich le-
sen müssen, dass er seine Meinung geän-
dert habe. Dem sei nicht so: »Es bleibt die
Tat eines Irren, wie ich anfangs twitterte.«
Das heiße aber nicht, dass die Tat nicht
auch rassistisch motiviert gewesen sei.
»Die Frage ist, was handlungsleitend war,
und da bleibe ich bei meiner Annahme,
dass es die psychische Krankheit war.« Er
gibt auch zu, dass er Chrupalla vor der
Veröffentlichung warnte: »Der Brief wird
erheblichen Unmut auslösen.« Dennoch
stehe er gemeinsam mit ihm dazu.
Tatsächlich hat der Brief die AfD aufge-
wühlt, die Parteichefs werden von vielen
Seiten angegriffen, nicht nur aus Thürin-
gen von Björn Höcke. Die Galionsfigur
des völkischen »Flügels« soll zum Telefon
gegriffen haben, um sich bei Parteivorde-
ren zu beschweren, heißt es.
Auch die Basis hat viel Unmut geäußert,
bei den Landesverbänden ebenso wie im
Bund. Allein in der Geschäftsstelle gingen
einige Hundert E-Mails ein. Ein Sprecher
sagt: Rund die Hälfte habe den Tenor: »völ-
lig richtig, was Ihr sagt«, die andere Hälfte
frage kritisch: »Warum knickt Ihr ein?«.
Was aber heißt es für eine Partei, wenn
eine etwas selbstkritische Frage zu diesen


Reaktionen führt und Chrupalla deshalb
schon als mutig gilt?
Nachdenken, sprachlich abrüsten, das
will offensichtlich die Mehrheit in der AfD
nicht. Von Austritten ist keine Rede, auch
nicht bei denen, die sich intern vom völki-
schen »Flügel« oder zumindest von Björn
Höcke und seinem Stil abgrenzen.
Und das, obwohl Höcke und der »Flü-
gel« nach der Ministerpräsidentenwahl in
Thüringen mit noch mehr Selbstbewusst-
sein auftreten. Höcke hielt kürzlich eine
Rede bei Pegida in Dresden. Obwohl er
nicht als AfD-Vertreter mit Parteisymbo-
len auftreten sollte, verwies er in seiner
Rede mehrfach auf die Partei und seine
anwesenden Kollegen. Folgen hatte das
keine. Die Gemäßigteren beruhigen sich
damit, dass ihm das selbst schade.
Nach der für die AfD knappen Wahl in
die Hamburger Bürgerschaft verbreitete
die Neue Rechte in der Zeitschrift »Sezes-
sion« außerdem die These, dass das bür-
gerliche Auftreten der Hamburger AfD
und ihre »Lucke-Programmatik« das Pro-
blem gewesen sei. Bernd Lucke war einer
der Gründer der AfD, eurokritisch und
wirtschaftsliberal, nicht so radikal wie die
Partei heute. Damit habe man nicht nur
»auf ein falsches Pferd, sondern auf ein to-
tes« gesetzt. Dazu: Das Statement von
Chrupalla und Meuthen sei »ein Schuss in
den Ofen« gewesen, eine »Kapitulation
vor dem Gegner«. Nicht nur Höcke teilte
den Text in sozialen Netzwerken, sondern
auch andere AfD-Politiker.
Die im Vergleich Gemäßigteren reden
dagegen weiterhin die Macht des »Flügels«
klein, sprechen davon, die Völkischen »ein-
hegen« zu können, es formiere sich Wi-
derstand, man habe Pläne. Aber welche?
Nach einer Antwort auf diese Frage
muss man lange suchen, auch weil die
Gruppe derjenigen, die man fragen kann,
kleiner wird. In den vergangenen Monaten

sind viele Funktionäre zum »Flügel« über-
gelaufen. Die etablierten »Flügelianer«
nennen sie abfällig »Opportunisten«.
Wenn man dann aber Personen findet,
die über die »Pläne« reden wollen, erklä-
ren sie erst einmal, dass man sie nicht na-
mentlich zitieren dürfe. »Wenn ich mit of-
fener Lanze in die Schlacht ziehe, funktio-
niert es nicht«, sagt ein Bundesvorstand.
»Ich habe keine Waffe in der Hand, um zu-
zuschlagen.« Ein Parteiausschlussverfah-
ren gegen Höcke oder »Flügel«-Strippen-
zieher Andreas Kalbitz habe keine Chan-
cen, ist er sich sicher.
Stattdessen also freuen er und die ande-
ren sich über kleine Erfolge gegen den
»Flügel«. Kalbitz habe in der internen Ar-
beitsaufteilung des Vorstandes nicht die
Zuständigkeit für die Bundesgeschäftsstel-
le übertragen bekommen. Auch habe man
ein Ausschlussverfahren gegen jemanden
gestoppt, den der »Flügel« habe loswerden
wollen. An diesen Beispielen sehe man
doch, dass die Völkischen nicht die Mehr-
heit im Bundesvorstand hätten.
»Rechnen Sie nicht mit dem großen
Wurf, den wird es nicht geben«, sagt der
Vorstand. Ironischerweise hofft er auf den
Verfassungsschutz, den er sonst als partei-
isch verteufelt: »Wenn Höcke und Kalbitz
und andere offiziell beobachtet werden,
kann man damit bestimmt etwas machen.«
In den offenen Kampf gegen die ganz
rechts außen traut sich keiner. Die wenigen,
die es taten, wurden auf dem Parteitag in
Braunschweig abgestraft. Konsequenzen
ziehen auch die Abgewählten nicht. Statt-
dessen erinnern alle an die Versuche der
vorherigen Parteichefs Lucke und Frauke
Petry, die gegen die Radikalen scheiterten
und in der Versenkung verschwanden. Das
Risiko will niemand eingehen.
Dann lieber weiter so, ohne ernstere Tö -
ne, selbst nach Hanau. Ann-Katrin Müller

DER SPIEGEL Nr. 10 / 29. 2. 2020 35

THOMAS LOHNES / GETTY IMAGES
Trauerfeier für Anschlagsopfer in Hanau am Montag: Die Völkischen einhegen
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