Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1

Gabriel: Ich bin auch kein einfacher
Mensch, ich kann hart sein und unnach-
giebig. Ich fand mein ganzes politisches
Leben lang Klarheit in der Sache wichtiger,
als durch Unklarheit Zustimmung zu be-
kommen. Da habe ich ganz oft unter-
schätzt, dass die Art, wie ich in die Sache
einsteige, auch viele Menschen verletzt.
SPIEGEL: Das war Ihnen nicht bewusst?
Die Partei sprach schon lange darüber ...
Gabriel:Ich erinnere mich an Gespräche
mit Hannelore Kraft, in denen sie mir sag-
te: Du hast ja recht, aber geht’s nicht einen
Gang niedriger? Es spricht viel dafür, dass
ich weit öfter hätte auf sie hören sollen.
SPIEGEL: Waren Sie am Ende erleichtert?
Gabriel:Als ich nach fast acht Jahren als
Parteivorsitzender mein Amt an Martin
Schulz übergab, fiel mir ein kleines Ge-
birge von der Seele. Es war inzwischen
einfach eine ganz ungesunde Atmosphäre.
Sie wissen doch, wie in Berlin Politik
gemacht wird. Politik kann das Beste
und das Schlechteste im Menschen mobi-
lisieren: großartiges Engagement, Ideen-
reichtum, Leidenschaft, aber eben auch
Ausgrenzungen, Boshaftigkeiten und
Falschheit, um selbst einen Zuwachs an
Einfluss oder Macht zu gewinnen. Manch-


mal auch eine Art von »Organisations -
stalinismus«.
SPIEGEL: Sie sprechen von Säuberungen?
Gabriel:Vielleicht kennen Sie den Comic
»Isnogud«, bei dem ein verschlagener
Großwesir immer versucht, »Kalif anstelle
des Kalifen« zu werden. Aber dieser
Drang, niemanden neben sich zu dulden,
ist wirklich verheerend. Brandt, Wehner
und Schmidt haben sich weiß Gott nicht
gemocht, aber sie wussten: Erfolgreich sind
wir nur gemeinsam. Ein großer Teil des
aktuellen Erfolgs der Grünen hat damit zu
tun, dass sie genau das mit ihrer gemein-
samen Führung ausstrahlen. Bei ihnen gibt
es derzeit diesen krassen Widerspruch zwi-
schen den öffentlich bekundeten Werten
des menschlichen Miteinanders und dem
innerparteilichen Umgang nicht.
SPIEGEL: Sie schreiben, Sie hätten den Par-
teivorsitz 2015 abgeben sollen. Warum?
Gabriel:Es gab schon hinreichend Kon-
flikte zwischen mir und denen in der SPD,
die die Große Koalition von Anfang an
partout nicht wollten. Wir hatten uns ein-
fach wund gerieben. Und dann kam noch
die Flüchtlingsfrage. Natürlich war auch
ich für offene Grenzen, aber mir war da-
mals schnell klar, mit welchen inneren

Spannungen wir in Deutschland zu rech-
nen hatten. Die klare Mehrheit meiner da-
maligen Mitstreiter war jedoch der Auffas-
sung, dass »die richtige Haltung« jetzt das
Wichtigste sei. Heute sehen wir, dass die
»Haltung« allein noch keine Politik ist.
SPIEGEL: Sie wurden 2015 noch einmal
Parteivorsitzender, verzichteten dann aber
2017 auf die Kanzlerkandidatur.
Gabriel:Die Sehnsucht nach einem neuen
Hoffnungsträger war mit Händen zu grei-
fen. Da habe ich gedacht, ich sei es meiner
Partei schuldig, diesem Willen nachzuge-
ben und meine eigenen Ambitionen auf-
zugeben. Ich war ja auch der Überzeu-
gung, dass Martin Schulz bessere Chancen
habe als ich.
SPIEGEL: Ihnen fehlte das Zutrauen. Sie
haben es nie getestet.
Gabriel:Sie reden genau wie Angela Mer-
kel. Die wirft mir das auch immer vor. Sie
meint, es sei mein einziger Fehler gewesen,
nicht kandidiert zu haben. Sie glaubt, so-
wohl die SPD als auch die CDU hätten
dann ein besseres Ergebnis gehabt. Aber
damals hat die SPD kurz hintereinander
drei Landtagswahlen verloren. Spätestens
nach der Niederlage in NRW hätten meine
innerparteilichen Gegner auch öffentlich

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SONJA OCH / DER SPIEGEL
Ex-Parteichef Gabriel in seinem Arbeitszimmer: »Es war eine ganz ungesunde Atmosphäre«
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