Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1
zum Angriff geblasen. In den Berliner Hin-
terzimmern hatten sie das ja schon getan.
SPIEGEL: Sie wären vom Hof gejagt wor-
den wie Kurt Beck?
Gabriel:Garantiert. Das wollte ich mir
und der SPD ersparen.
SPIEGEL: Haben Sie Schulz überschätzt?
Gabriel:Nein, aber ich habe etwas falsch
eingeschätzt. Wir alle waren damals der
Überzeugung, dass Schulz im Wahlkampf
nicht die Europakarte spielen sollte. Weil
wir Angst hatten, die CDU würde ihn als
Europafuzzi diffamieren. Wir haben Mar-
tin Schulz seiner größten Stärke beraubt,
ihm die Glaubwürdigkeit genommen.
Rückblickend eine wirklich große strate-
gische Fehlleistung.
SPIEGEL: Nach der Bundestagswahl 2017
kam es zum Streit mit Ihrem langjährigen
Freund. Schulz wollte sich Ihren Job als
Außenminister nehmen. Sind solche Mo-
mente in der Politik unvermeidbar?
Gabriel:Jeder, auch Martin Schulz und
ich, wünscht sich sehr, dass man so etwas
vermeiden kann. Wir hätten beide klüger
sein können. Waren wir aber nicht. Viel
wichtiger war uns aber, dass wir uns aus-
sprechen und Freunde geblieben sind. Das
gelingt selten in der Politik.
SPIEGEL: Wer war denn wirklich schuld
daran, dass Sie damals nicht Außenminis-
ter bleiben durften? Schulz oder Olaf
Scholz oder Andrea Nahles?
Gabriel:Das war der Wille von Olaf
Scholz und Andrea Nahles. Die beiden wa-
ren ja in Wahrheit die erste SPD-Doppel-
spitze. Parteivorsitzende dürfen so etwas
entscheiden. Beide haben meine Ausgren-
zung damals gewollt, um einen möglichen
Konkurrenten von Anfang an loszuwer-
den. Ob solche Ausgrenzungsstrategien
immer klug und im Interesse der ganzen
Partei sind, ist eine andere Frage.
SPIEGEL: Nach Ihrem Rückzug ist die SPD
weiter abgesackt. Sie sprechen von »kol-
lektivem Führungsversagen«. Wer hat wie
versagt?
Gabriel:Die Verantwortung Einzelnen zu-
zuschieben ist unsinnig. Die Frage ist doch,
warum alle in Richtung Abgrund laufen,
obwohl die Stoppschilder unübersehbar
sind. In der SPD hat eine fatale themati-
sche Verengung auf die Sozialpolitik statt-
gefunden. Weil es das einzige Feld ist, auf
dem sie sich noch sicher fühlt. Wir geben
immer mehr Milliarden aus, aber unsere
Wahlergebnisse werden trotzdem immer
schlechter. Man kann die Wähler eben
nicht kaufen. Sie wollen heute vor allem
Orientierung nach innen und nach außen.
SPIEGEL: Was haben Sie vom Mitglieder-
entscheid über den Parteivorsitz gehalten?
Gabriel:Am Anfang war es ganz schlimm,
als alle Mitglieder der SPD-Führung irgend-


  • Markus Feldenkirchen und Christiane Hoffmann in
    Gabriels Haus in Goslar.


eine Ausrede dafür hatten, warum sie nicht
kandieren wollen. Fast so, als wäre der
SPD-Vorsitz ein infiziertes Bettlaken. Man
kann ja Olaf Scholz fast dankbar sein, dass
er schließlich den Mut hatte zu kandidieren.
Unfassbar fand ich, dass dann die gesamte
SPD-Führung nicht für den Verbleib in der
Regierung und für den Kandidaten Scholz
gekämpft hat. Die Einzigen, die gekämpft
haben, waren die Jungsozialisten.
SPIEGEL: Was sagt es über die SPD, dass
der Juso-Chef einen solchen Einfluss hat,
dass er Kurs und Führung der Partei ent-
scheidend mitbestimmt?
Gabriel:Kevin Kühnert ist ohne Frage ein
wirklich großes Talent. Er macht das hoch
professionell. Ob man ihn, der selbst mit
30 weder eine Berufsausbildung noch ein
Studium abgeschlossen hat, gleich in Füh-
rungsfunktionen einer Partei bringen soll-
te, ist allerdings eine andere Frage.
SPIEGEL: Warum eigentlich nicht?
Gabriel:Ich stand mal vor einer ähnlichen
Situation und wollte mein Studium abbre-
chen. Zwei in meiner Heimatstadt populäre
Sozialdemokraten warnten mich dringend.
Ihr Argument war: »Wir brauchen in der
SPD keine Leute, die abhängig sind von der

Politik. Wir brauchen Leute, die es sich leis-
ten können, Nein zu sagen, weil sie im Zwei-
fel ohne die Politik klarkommen.« Alles,
was ich Kevin Kühnert sagen würde, hört
sich irgendwie altväterlich an, und er wird
sich das verbitten. Aber hoffentlich hat er
Freunde, die ihm denselben Rat geben, den
ich damals bekam. Er könnte ja jederzeit
wiederkommen, wenn er sein Studium be-
endet und ein paar Jahre gearbeitet hat.
SPIEGEL: Jetzt erklären Sie sich doch nur
selbst zum großen Vorbild.
Gabriel:Nein, denn früher hätte man so
etwas in der SPD nicht erklären müssen.
Eine Partei der Arbeit sollte nicht von je-
mandem geführt werden, der in seinem
Berufsleben noch nicht angekommen ist.
Und besonders frei macht es in einer Par-
tei, wenn man zeigt, dass man einen Wahl-
kreis erobern kann, statt immer nur auf
einen Listenplatz zu schielen.
SPIEGEL: Kann die SPD mit Saskia Esken
und Norbert Walter-Borjans wieder erfolg-
reicher werden?
Gabriel:Wenn sie sich die Orientierung
der Hamburger SPD zum Vorbild nehmen,
ja. Also keine Verengung auf die Sozial -
politik, sondern den Anspruch erheben,
wirtschaftlichen Erfolg mit sozialer und
innerer Sicherheit und ökologischer Nach-
haltigkeit zu verbinden.
SPIEGEL: Was qualifiziert Sie eigentlich
zum Aufsichtsrat bei der Deutschen Bank?
Da muss man doch Bilanzen lesen können.
Gabriel:Nicht nur das, sondern noch einiges
mehr. Jedenfalls habe ich das in Er innerung,
wenn ich an meine achtjährige Mitglied-
schaft im Verwaltungsrat der KfW-Bank zu-
rückdenke, bei der ich immerhin fast vier
Jahre lang einer der Vorsitzenden war.
SPIEGEL: Sie haben die Banken in der Fi-
nanzkrise für ihr asoziales Verhalten kriti-
siert. Wie passt das dazu, dass Sie sich jetzt
von einer gut bezahlen lassen?
Gabriel:Die Kritik war nun wirklich be-
rechtigt. Aber nicht nur die staatliche Auf-
sicht ist weit besser geworden, sondern die
Deutsche Bank selbst auch. Ob die Bezah-
lung als Aufsichtsrat der Deutschen Bank
»gut« ist, darüber kann man unterschied-
licher Meinung sein. Ich hatte ja auch das
Angebot, Präsident des Verbandes der Au-
tomobilindustrie zu werden. Dort wäre
das Gehalt um ein Vielfaches größer. Das
habe ich abgelehnt, weil ich nicht zum Lob-
byisten werden wollte, der an die Türen
im Regierungsviertel klopft, hinter denen
er selbst gesessen hat. Zugegeben bin ich
etwas stolz darauf, dass mir mein Über-
gang in ein anderes Berufsleben allein ge-
lungen ist. Ich wollte nie einen Versor-
gungsjob, den ich durch die Gnade eines
SPD-Regierungsmitglieds erhalte. Man
muss es selbst schaffen. Das macht frei.
SPIEGEL: Herr Gabriel, wir danken Ihnen
für dieses Gespräch.

40 DER SPIEGEL Nr. 10 / 29. 2. 2020

SONJA OCH / DER SPIEGEL
Gabriel, SPIEGEL-Redakteure*
»Ich wollte nie einen Versorgungsjob«

DANIEL HOFER
Jungsozialist Kühnert
»Ein wirklich großes Talent«
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