Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1

E


s war Johannes Rau, der als Bun-
despräsident erschüttert auf Erfurt
schaute. Er könne »nicht in Worte
fassen, was wir in Deutschland jetzt
empfinden«, sagte der SPD-Politiker. Der
Schüler Robert Steinhäuser hatte 2002 im
Gutenberg-Gymnasium 16 Menschen er-
schossen und ein ganzes Land erschüttert.
18 Jahre später steht Bundespräsident
Frank-Walter Steinmeier (SPD) nicht we-
niger ergriffen in Hessen. »Was geschehen
ist, was hier in Hanau geschehen ist, macht
uns fassungslos. Es macht uns traurig. Es
macht uns auch zornig.«
In Hanau hatte der 43-jährige Rassist
Tobias Rathjen zehn Menschen hingerich-
tet, anschließend erschoss er sich selbst.
Zwei Taten, so monströs wie sinnlos.
Morde, die auch deshalb nicht nur Stein-
meier zornig machen, weil sie eine beun-
ruhigende Gemeinsamkeit haben. Die Tä-


ter besaßen ihre Pistolen ganz legal. Denn
sowohl Steinhäuser als auch Rathjen wa-
ren Mitglieder in Schützenvereinen. Die
Männer galten als derart vertrauenswür-
dig, dass sie Waffen besitzen durften, die
auch Spezialeinheiten der Polizei führen.
Bei Bluttaten wie in Erfurt, Bad Rei-
chenhall, Winnenden, Rot am See, Halle
oder Hanau folgen den einfühlsamen Wor-
ten immer flammende Aufrufe, das Waf-
fenrecht zu verschärfen. Nach dem Mas-
senmord in Erfurt bescheinigte sich Bun-
desinnenminister Otto Schily (SPD) eine
»mustergültige Gesetzgebungsarbeit« im
Waffenrecht. Sie sollte künftige Amok -
läufe verhindern, was sie nicht konnte, wie
man heute weiß.
Jetzt erwägt Bundesinnenminister
Horst Seehofer (CSU) eine weitere Ver-
schärfung der Regeln. Sein Parteifreund,
der bayerische Ministerpräsident Markus

Söder, assistiert: »Der Rechtsstaat wird
sich solcher Gewalt mit aller Härte und
Entschiedenheit entgegenstellen.« Doch
dass nach den markigen Worten Taten fol-
gen, ist wieder nicht zu erwarten.
Seit Jahrzehnten arbeitet der Gesetzge-
ber am Waffenrecht. Die jüngste Novelle
tritt im September in Kraft. Wirklich harte
Einschnitte aber konnte die starke Schüt-
zenlobby verhindern. Das war so – und
wird wohl so bleiben. Bis erneut ein Bun-
despräsident traurig ist.
Ein Eingriff in das Waffenrecht ist in
Deutschland immer auch ein Angriff auf
eine gut organisierte Gruppe. Es gibt mehr
als 14 000 Schützenvereine. Der Deutsche
Schützenbund zählt gut 1,3 Millionen Mit-
glieder – mehr als CDU, CSU und SPD
zusammen. Geht es ihnen an die Waffen,
formiert sich heftige Gegenwehr. Seit 2015
listet die Unesco das deutsche Schützen-

42 DER SPIEGEL Nr. 10 / 29. 2. 2020


Massive Front


SicherheitNach Attentaten und Amokläufen fordern Politiker schärfere Waffengesetze. Doch eine


mächtige Lobby sorgt dafür, dass Killer und Terroristen ganz legal an Waffen kommen können.


MICHAEL KOHLS / DER SPIEGEL
Schießstand Garlstorf: »Wer eine solche Tat vorbereitet, der findet auch eine Waffe«
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