Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1

tinemäßige Überprüfung Rathjens an.
Aber das war ein reiner Verwaltungsvor-
gang: Abfrage des Bundeszentralregisters,
der Staatsanwaltschaft und der örtlichen
Polizeibehörde, ob etwas gegen Rathjen
vorliege. Als dies nicht der Fall war, mach-
te die Behörde einen Haken dran: Er durf-
te seine Waffen behalten.
»Viele Bürger glauben, wir befragten
die Antragsteller ganz gezielt oder unter-
suchten sie sogar psychologisch«, sagt Me-
wes. Die Rechtslage sei leider eine andere:
Wer die Karte beantrage, müsse nach gel-
tendem Waffenrecht noch nicht einmal
persönlich vorsprechen. Bei über 25-Jäh-
rigen reiche es, einen Sachkundenachweis
und eine Bescheinigung des örtlichen
Schützenvereins einzuschicken und ein
ausgefülltes Formular dazuzulegen: Name,
Anschrift und ein Kreuz bei »keine« auf
die Frage, ob körperliche oder geistige
Mängel vorliegen.
Selbst wenn die Behörden einen Antrag-
steller als Radikalen kennen, kann es vor-
kommen, dass der Staat ihm eine Erlaub-
nis zum Waffenbesitz erteilt. Eine Anfrage
der Grünen im Bundestag ergab vergan-
genes Jahr, dass 750 Rechtsextremisten
Waffenbesitzkarten haben – und rund
500 Reichsbürger. Allesamt müssen sie
sich regelmäßig in Schützenvereinen tum-
meln, wollen sie ihre Waffen nicht verlie-
ren. »Ich bin dafür, dass die ihre Zuverläs-
sigkeitsbescheinigungen sofort verlieren«,
sagt Friedrich Gepperth, Präsident des
Bundes Deutscher Sportschützen (BDS).
Da der Hanau-Attentäter Rathjen offen-
bar auch psychisch krank war, sehen die
Schützen eine Mitverantwortung für die
Tat bei den Behörden. Rathjen hatte seine
wirren Ansichten schon vor Jahren der
Polizei bekannt gemacht. Und er schickte
einige Wochen vor der Tat eine Strafan-


zeige an die Bundesanwaltschaft, aus der
seine kruden Verschwörungstheorien deut-
lich hervorgingen. Zudem versuchte er,
Kontakt zu Angela Merkel aufzunehmen.
Doch niemand prüfte, ob der Mann Waf-
fen besaß. Die Bundesanwaltschaft sagt,
sie dürfe so etwas nur im Rahmen eines
Strafverfahrens abfragen. Aber es sei kein
Verfahren eingeleitet worden.
Die Schützen sehen den Staat in der
Pflicht, nicht sich selbst. »Bei einem sol-
chen Schreiben müssen doch alle Warn-
lampen angehen. Das ist einfach irre,
was da abgegangen ist«, sagt BDS-Chef
Gepperth.
Doch was sich in der Theorie so leicht
sagt, ist in der Praxis längst nicht so
leicht. Volker Trunt ist
Chef der Waffenbehörde
im Landkreis Osnabrück.
Sechs Mitarbeiter auf drei
Stellen kümmern sich um
die 3100 Waffenbesitzer in
der Region.
Wer eine Waffe hat,
muss sie in einem Stahl-
schrank wegschließen. Drit-
te dürfen keinen Zugang ha-
ben. Im Schnitt an zwei Ta-
gen im Monat sind Trunts
Leute unterwegs – sie ma-
chen unangemeldete Kon-
trollen. Etwa 10 bis 15 Pro-
zent der Waffenbesitzer in der Region
werden pro Jahr überprüft. Umgekehrt
heißt das aber auch: Im Schnitt bekommt
jeder Waffenbesitzer nur einmal in sechs
bis sieben Jahren Besuch von der Auf-
sichtsbehörde.
Um Problemfälle zu entdecken, sind
Trunts Leute auf Hinweise angewiesen. Er
berichtet von einem Jäger, der im Streit
mit seinem Waffenarsenal gedroht habe.

Wegen mangelnder Zuverlässigkeit habe
man ihm die Erlaubnis entzogen. »Wenn
es Hinweise auf psychische Auffälligkeiten
gibt, verpflichten wir den Waffenbesitzer,
ein fachärztliches Gutachten einzuholen.«
Die Frage ist bloß, ob Mitarbeiter der
Waffenbehörden tatsächlich während ihrer
kurzen Hausbesuche alle paar Jahre ne-
benbei noch psychische Erkrankungen er-
kennen können?
In Brüssel gab es daher Versuche, eine
generelle psychische Überprüfung im Waf-
fengesetz zu verankern. Schließlich regu-
liert die EU so ziemlich alles, von Glüh-
birnen bis zu Gefrierschränken. Schon im
Mai 2008 hatte die EU eine Verschärfung
der Waffenrichtlinie angekündigt, doch es
geschah nichts. Bis Islamisten 2015 in Paris
130 Menschen erschossen.
Nur fünf Tage später entschieden die
EU-Staaten, die Regeln zu verschärfen.
Doch der Schwung verflog. Im Frühjahr
2017 einigte man sich auf eine Neufassung,
die einige Regeln straffte, allerdings auch
viele Lücken ließ – nicht zuletzt wegen
der teils aggressiven Gegenwehr der Waf-
fenträger. In sozialen Medien machten
Lobbyisten massiv Front. Beamte der EU-
Kommission berichteten von Drohungen
mit Gewalt.
Die Waffenlobby hatte Erfolg: Jäger
und Sportschützen dürfen sich – sofern in
den einzelnen EU-Staaten keine strenge-
ren Regeln gelten – auch weiterhin halb-
automatische Pistolen und Gewehre
zulegen, die Massenmorde einfacher ma-
chen, weil nicht nach jedem Schuss nach-
geladen werden muss. Nicht einmal mit
der Forderung nach einer Begrenzung der
Magazinkapazitäten konnte sich Brüssel
durchsetzen. War ursprünglich von ma -
ximal 6 Schuss die Rede,
dürfen Pistolen nun weiter-
hin Magazine mit bis zu
20 Schuss, Gewehre mit
10 Schuss haben. So wird
es künftig auch in Deutsch-
land sein. Standardisierte
Psychotests, die Tobias
Rathjen womöglich ge-
stoppt hätten, standen
zwar im Entwurf der Richt-
linie, flogen am Ende aber
wieder raus.
Trotz ihres Erfolgs in
Brüssel kämpfen die Waf-
fenlobbyisten immer weiter.
Die Waffenhändlerin Katja Triebel weiß,
wie man »den Politikern Beine macht«,
sie hat es oft genug getan. Erst vor wenigen
Monaten wieder, als sie sich über Horst
Seehofer ärgerte. Der Innenminister hatte
nach dem Terroranschlag von Halle auf ei-
ner Pressekonferenz am 30. Oktober eine
geplante Verschärfung des Waffenrechts
verteidigt. Triebel hält davon gar nichts.
Sie ist Inhaberin eines Waffengeschäfts in

44 DER SPIEGEL Nr. 10 / 29. 2. 2020


STEFFEN ROTH / DER SPIEGEL
Waffenlobbyistin Triebel: Flut an Protestmails

Verstöße gegen das
Waffengesetz
in Deutschland

Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik

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