Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1

E


s war ein guter Bekannter der Ermitt-
ler, der an einem Sonntagmorgen ge-
gen elf Uhr auf einem Polizeirevier
in Baden-Württemberg erschien. Er hatte
Beunruhigendes zu berichten, denn er
kam gerade von einem Rechtsextremisten-
Treffen in Ostwestfalen. Die Beamten er-
warteten ihn schon zur Vernehmung.
Stundenlang hätten sie in einem Haus
in Minden zusammengesessen, um Terror -
pläne zu schmieden, berichtete Maxi -
milian Huth* den Beamten. Man habe
über Angriffe auf Moscheen gesprochen,
vorzugsweise auf Gotteshäuser mit Ima-
men aus der Türkei. Rücksicht auf Frauen
oder Kinder könne man keine nehmen,
soll der Wortführer gesagt haben, ein
Trödelhändler, in der Szene bekannt als
»Teutonico«.
Zwei der Männer, so Huth, hätten an-
geboten, mit dem Motorrad nach Tsche-
chien zu fahren, um Pistolen der Marke
Tokarew zu organisieren. Ein weiterer Ka-
merad könne angeblich sogar Handgrana-
ten beschaffen. »Man geht in die Moschee



  • Name geändert.


rein«, berichtete Huth, »und entfacht ein
regelrechtes Massaker«.
Der Mann, der die angeblichen An-
schlagspläne so detailreich schilderte, ist
für die Behörden ein höchst schwieriger
Fall. Einerseits rechnen sie Huth zum Kern
der mutmaßlichen Terrorzelle, der soge-
nannten Gruppe S. In abgefangenen Chat-
nachrichten wütete er gegen Schwarze und
schrieb, dass Muslime für ihn »ins Lager«
gehörten. Andererseits lieferte er den Er-
mittlern Hinweise, die zur Zerschlagung
dieser Gruppe beitrugen.
Es ist einige Monate her, da offenbarte
sich Huth den Behörden, angeblich weil
ihm die Kameraden zu gewalttätig gewor-
den seien. Einige der Rechtsextremen hät-
ten über »weiche« Zielen wie Flüchtlings-
heime gesprochen, sagte Huth den Ermitt-

lern im Herbst. Und auch über »harte« Zie-
le wie die Grünenpolitiker Robert Habeck
und Anton Hofreiter. Er selbst gebe sich
nur radikal, um mitzubekommen, was die
Truppe plane, so der Hinweisgeber. Einem
Bekannten erzählte Huth, er wolle als Spit-
zel Anschläge verhindern. Förmlich als
Vertrauensperson verpflichtet, wie zuletzt
berichtet wurde, haben die Behörden ihn
aber nicht.
Huth hat eine problematische Biografie,
um es vorsichtig auszudrücken: Er verbrach-
te viele Jahre im Gefängnis und im psychia -
trischen Maßregelvollzug, unter anderem
weil er einen Polizisten als Geisel genom-
men hatte. Zuletzt bezog er Hartz IV und
lebte in einer Einrichtung für Ex-Häftlinge
in Süddeutschland. Die Glaubwürdigkeit ei-
nes solchen Mannes ist nicht sehr hoch.
Das wissen auch die Ermittler. In einem
Vermerk hielten sie fest, dass sich viele
seiner Angaben nachweislich als wahr er -
wiesen hätten. Es könne aber auch nicht
ausgeschlossen werden, dass er manches
übertrieben darstelle und Dinge verschwei-
ge, die ihn in einem schlechten Licht er-
scheinen ließen. Gutachter hätten ihm in
der Vergangenheit attestiert, dass er sich
mitunter manipulativ verhalte, um Auf-
merksamkeit zu bekommen.
Was von dem, was Huth den Behörden
erzählt hat, stimmt also? Was ist womög-
lich aufgebauscht? Wie entschlossen war
die mutmaßliche Terrorgruppe um »Teu-
tonico«? Und trug der Hinweisgeber Huth
vielleicht zu deren Radikalisierung bei?
Um sich nicht auf die Behauptungen ei-
nes Straftäters verlassen zu müssen, griffen
das baden-württembergische Landeskri-
minalamt und der Generalbundesanwalt
bereits vor Monaten zu großem Besteck:
Telefone wurden überwacht, E-Mails ab-
gefangen, Chats mitgelesen, Verdächtige
observiert.
Die Fahnder der Ermittlungsgruppe
»Valenz« konnten live beobachten, wie
sich Radikale aus unterschiedlichen Mi-
lieus zusammenfanden. Rechtsextremisten
aus Bürgerwehren und selbst ernannten
»Freikorps« waren unter ihnen. Dazu
Reichsbürger, die glauben, dass das Deut-
sche Reich nie aufgehört habe zu exis -
tieren. Aber auch bieder anmutende Fa-
milienväter und Handwerker, die keine
Sicherheitsbehörde auf dem Schirm hatte,
schlossen sich an.
Es waren Wutbürger, die sich offenbar
in Wochenendterroristen verwandelten,
angetrieben vom Hass auf Angela Merkel
und ihre Flüchtlingspolitik. Auf einem
Gruppenbild posierten einige der Männer
vermummt, einer hielt zwei überkreuzte
Äxte. Mit dabei war Hinweisgeber Huth.
In überwachten Gesprächen steigerten
sich die Männer in Gewaltfantasien hinein.
Am Telefon sprach einer der Rechtsextre-
misten von denen »da oben« und meinte

DER SPIEGEL Nr. 10 / 29. 2. 2020 47

Der 13. Mann


JustizFahnder konnten Rechtsextremisten stoppen, die Anschläge auf
Muslime und Politiker geplant haben sollen. Hinweise auf
die Gruppe lieferte ein Geiselnehmer, der lange hinter Gittern saß.

ULI DECK / DPA
Verdächtiger auf dem Weg zum Haftrichter in Karlsruhe: »Ein regelrechtes Massaker«

Telefone wurden über-
wacht, E-Mails abgefan-
gen, Chats mitgelesen,
Verdächtige observiert.
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