Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1

wohl die Regierung. Dieses »Gesindel«
müsse man töten, genauso wie Bürgermeis-
ter und Polizisten – samt ihren Familien.
Der mutmaßliche Anführer der Truppe,
Werner S. alias »Teutonico«, kommentier-
te in einem Chat eine Rede von Bundes-
präsident Frank-Walter Steinmeier mit den
Worten: »Dieser Hochverräter« werde
»bezahlen«. Dazu postete er ein Messer-
symbol. Vor dem letzten Treffen der Grup-
pe im nordrhein-westfälischen Minden
schrieb Werner S., man wolle den »Krieg«
besprechen. Wer das nicht verkrafte, habe
dort nichts verloren. Sein Verteidiger sagt,
es habe kein klar definiertes Anschlagsziel
gegeben, davon sei auch im Haftbefehl kei-
ne Rede.
Dass der ominöse Hinweisgeber wohl
nicht nur Märchen erzählt hat, zeigten
auch die bundesweiten Durchsuchungen
vor zwei Wochen. Das Haus in Minden sei
voller Äxte, hatte Huth der Polizei gesagt.
Auch eine Armbrust habe er dort gesehen.
Tatsächlich fanden die Ermittler genau die-
se Waffen – und noch einige mehr.
Bei Werner S. alias »Teutonico« stellten
die Beamten eine scharfe Pistole sicher.
Auch davon hatte Huth berichtet. Andern-
orts fanden die Kriminalisten selbst her-
gestellte Handgranaten sowie ein Schrot-
gewehr Marke Eigenbau, wie es auch der
Attentäter von Halle verwendet hatte.
Die Beweise reichten schließlich für
Haftbefehle gegen insgesamt zwölf Rechts-
extremisten, ausgestellt vom Bundesge-
richtshof. Nur der 13. Mann der mutmaß-
lichen Terrorzelle, Maximilian Huth, sitzt
nicht in Untersuchungshaft, sein aktueller
Aufenthaltsort ist unbekannt.
Inzwischen hat ein weiterer Mann aus
dem mutmaßlichen Unterstützerkreis der
Truppe ausgesagt. Als die Beamten ihn
nach seiner Festnahme befragten, druckste
er erst herum. In der Gruppe sei viel ge-
schwätzt worden. Eigentlich sei es darum
gegangen, sich Zufluchtsorte zu suchen für
den »Tag X«. Mit den Waffen habe man
sich schützen wollen, vor ausländischen
Clans, die irgendwann über die Deutschen
herfallen würden.
Nach bohrenden Fragen der Ermittler
räumte er jedoch ein, dass bei dem Treffen
in Minden auch über Angriffe auf Mo-
scheen gesprochen worden sei. Man habe
eines der Gotteshäuser anzünden wollen,
damit die Muslime Deutschland verließen.
Und ja, auch über mögliche Attacken mit
Schusswaffen sei gesprochen worden.
Aber damit wolle er nichts zu tun haben:
»Ich hätte keinen eliminiert.«
Als es um die geplanten Moschee-An-
griffe ging, so glaubte er sich zu erinnern,
habe sich ein Mann besonders hervorge-
tan: Huth, der Hinweisgeber.
Julia Jüttner, Martin Knobbe,
Wolf Wiedmann-Schmidt


A


ls zwei Wachleute den Saal im Amts-
gericht Rheine betreten, ist klar, dass
gleich etwas Ungewöhnliches gesche-
hen wird. Die Vorsitzende des Schöffen -
gerichts verurteilt den Handelsvertreter
Carsten J. zu vier Jahren Gefängnis ohne
Bewährung. Es ist die schärfste Strafe, die
ein Amtsgericht verhängen kann. Dann ver-
kündet die Richterin, dass der Mercedes des
48-Jährigen beschlagnahmt werde, seine
Harley Davidson, sein Pferd und die 90 000
Euro, die er auf dem Konto hat. Schließlich
lässt sie J. noch im Saal verhaften.
Was das Gericht im Dezember zu dem
harten Urteil veranlasste: Carsten J. hatte
gemeinsam mit einem Helfer in 29 Fällen
ältere Menschen aus Nordrhein-Westfalen
auf perfide Art um ihre Ersparnisse ge-
bracht. Im Prozess berichteten die Opfer
über die Masche. Unangemeldet hätten die
Männer vor der Haustür gestanden und
sich als Bertelsmann-Vertreter ausgegeben.
Das war gelogen. Doch die Täter wuss-
ten, was ihre späteren Opfer früher bei
Bertelsmann gekauft hatten. Sie boten nun
an, diese Bücher zurückzukaufen oder ei-
nen Rückkauf zu vermitteln. Gebrauchte
alte Enzyklopädien seien heute gefragt,
sagten sie den Opfern zufolge.
Die vermeintlich lukrativen Angebote
der freundlichen Besucher hatten jedoch

Haken: Mal sollten die alten Leute erst
einmal teure Nachdrucke mittelalterlicher
Schriften kaufen. So könnten sie den Wie-
derverkaufswert ihrer Büchersammlung
steigern, hieß es. Mal sollten sie angebli-
chen Kaufinteressenten ihrer Sammlung,
die gerade leider nicht flüssig seien, zur
Überbrückung einen Kredit gewähren.
Ein Mann aus Wuppertal gab Carsten J.
sogar 150 000 Euro, weil dieser vorgab,
ein Problem mit dem Finanzamt zu haben.
Als »Sicherheit« erhielt der Mann ein paar
Kisten mit alten Büchern. Tatsächlich war
die Geschichte – wie die meisten anderen
auch – frei erfunden.
Es scheint eine verbreitete Masche zu
sein, leichtgläubigen Senioren vorgeblich
wertvolle Nachdrucke als Wertanlage zu
verkaufen. Etliche Firmen mit klangvol-
lem Namen und redegewandten Vertre-
tern sind offenbar auf dem Feld unterwegs.
Dabei lässt sich nur schwer unterscheiden,
wem man vertrauen kann und wem nicht.
Anwälte berichten von Hunderten ver-
zweifelten Senioren, die guten Glaubens
Tausende Euro investierten und nun auf
Büchern sitzen, die schön aussehen, aber
nur einen Bruchteil des gezahlten Preises
wert sind. Der angerichtete Schaden dürfte
in die Millionen gehen. Die eingeschalte-
ten Juristen versuchen zumeist, die Kauf-

48

Fünf Kilo Buch


KriminalitätVertreter drehen Senioren vorgeblich wertvolle
Schriften an. Der Schaden geht in die Millionen.

BARBARA FRANKE
Opferanwalt Schneider mit Faksimiles: »Wir müssen die alten Menschen warnen«
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