Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1
tet. Und es hat mich vor dem Wahnsinn
bewahrt.
SPIEGEL:Was macht einen guten Mithäft-
ling aus?
Söring:Nicht schnarchen. Und er sollte
nicht versuchen, Sex mit mir haben zu wol-
len. Die meisten Gefangenen, die Sex mit
Männern haben, sind ja keine Homosexu-
ellen. Das sind heterosexuelle Männer, die
keine Frauen haben und aus der Not he-
raus homosexuellen Sex haben. Es gibt
Homosexuelle im Gefängnis. Die Jungs
sind total in Ordnung, ich habe da auch ei-
nige Freunde gehabt, die sind vollkommen
ungefährlich. Ich hatte auch schwer geis-
teskranke Zellenmitbewohner. Die sind
ein echtes Problem. 2004 hat sich mein
Zellenmitbewohner an meinem Bett er-
hängt. Da durfte ich mir den nächsten
dann aussuchen.
SPIEGEL:Worauf haben Sie geachtet?
Söring:Ich habe ihm gesagt: Pass auf,
Junge, ich bin nicht homosexuell. Wir ma-
chen das nicht. Offensichtlich hat er ge-
glaubt, ich würde das nicht ernst meinen,
es hat ihn beleidigt. Ich hatte seine Ehre
verletzt. Wir haben vier Jahre lang nicht
miteinander ge sprochen.
SPIEGEL:Was sieht man durch das kleine
Fenster der Zelle?
Söring:Knast. Man sieht Knast. Das nächs-
te Gebäude, ein bisschen Stacheldraht. In
meinem Fall: den großen Dieselgenerator,
der anspringt, wenn mal wieder der Strom
ausfällt.
SPIEGEL:Was bekommt man in seiner Zel-
le von den anderen Gefangenen mit?
Söring:Alles. Deshalb ist eines ganz wich-
tig: Man muss sich mit dem Mitbewohner
arrangieren, dass er Kopfhörer benutzt,
wenn er Radio hört oder fernsieht. Sonst
kann das zu echten Konflikten führen. Es
gab Tote deswegen.
SPIEGEL:Hört man, was im Trakt los ist?
Söring:Man hört den ganzen Quatsch im
Gemeinschaftssaal. Es ist immer Lärm.
Überall hängen Fernsehgeräte unter der De-
cke. Das ist das, was ich zuletzt am meisten
gehasst habe am Gefängnisleben: den Lärm
der Fernseher. Vor allem die Footballspiele
am Wochenende: Immer wieder blasen die
Schiedsrichter in die Trillerpfeife. Im Ge-
fängnis kommen ständig die Wärter und
pfeifen, und dann muss ich mir auch noch
anhören, wie diese gottverdammten Refe-
rees ständig in die Trillerpfeife blasen.
SPIEGEL:Wie ist das Essen im Gefängnis?
Söring:Das Frühstück ist die einzige Mahl-
zeit, bei der es drei-, viermal in der Woche
etwas gibt, das man essen kann. Zwei hart
gekochte Eier und ein Stück Obst. Ansons-
ten gibt es meist Schlamm auf den Tellern,
das Zeug kann keiner essen, und Brot, das
in den Händen zerfällt. Das Futter, das der
Hund der Familie bekommt, in deren Woh-
nung wir hier sitzen, ist besser. In den letz-
ten Jahren habe ich mich vor allem aus

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DAN DOUGHTIE / PICTURE ALLIANCE / AP / DPA

Im Juni 1990 wird Jens Söring in Virginia der Prozess gemacht. Seine frühere
Freundin Elizabeth Haysom, wegen Anstiftung zum Mord bereits zu zwei -
mal 45 Jahren Haft verurteilt, tritt als Zeugin auf. Zu den Indizien, die Staats -
anwalt James Updike anführt, gehört ein Sockenabdruck. Söring beteuert
seine Unschuld, trotzdem verurteilt ihn das Gericht zu zweimal lebenslänglich.


Der Prozess

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