Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1

Blutproben, die man noch analysieren
konnte, nicht von mir stammen. Erst 2016
kam der entscheidende Moment: Es kam
heraus, dass die DNA, die gesichert wer-
den konnte, zwar im Blut der Blutgruppe
0 gefunden wurde, aber nicht von mir
stammt. Also muss jemand am Tatort ge-
wesen sein und geblutet haben, der die
gleiche Blutgruppe hat wie ich. Ich bin da-
mit ausgeschlossen.


Söring beruft sich dabei auf zwei von
seinem Anwalt beauftragte Gutachter. An-
dere Experten äußern Zweifel an deren
Schlussfolgerungen.


SPIEGEL:Theoretisch ist es möglich, dass
Sie am Tatort waren und trotzdem keine
DNA- oder Blutspuren von Ihnen gefun-
den wurden.
Söring: Die Opfer hatten zahlreiche Stich-
wunden, beide Kehlen waren bis zum Rü-
ckenmark durchtrennt – es gab offensicht-
lich einen sehr harten und brutalen Kampf.
Es ist meiner Meinung nach nicht möglich,
eine solche Tat zu begehen, ohne Spuren
zu hinterlassen.
SPIEGEL:Sie bestehen bis heute darauf,
dass Sie die Morde nicht begangen haben.
Warum ist Ihnen das so wichtig? Sie sind
doch jetzt ein freier Mann?
Söring:Weil es die Wahrheit ist. Weil ich
33 Jahre lang dafür gekämpft habe. Und
weil ich ein Recht darauf habe, dass man
meine Geschichte so versteht, wie sie wirk-
lich passiert ist. Ich war es nicht. Und wenn


es in Deutschland eine ausgewogene Be-
richterstattung gegeben hätte, wenn man
mich nicht öffentlich beschimpft hätte,
dann wäre es gut möglich, dass dieses In-
terview hier nie stattgefunden hätte. Ich
sitze hier mit Ihnen, weil man mich öffent-
lich auf den Titelseiten als Doppelmörder
beschimpft hat. Das ist rein juristisch kor-
rekt, aber es entspricht nicht der Wahrheit.
SPIEGEL: Wenn Sie es nicht waren: Wer
hat die beiden ermordet?
Söring:Letztlich werden wir es nie wissen.
SPIEGEL:Ist das nicht schwer auszuhalten?
Söring:Ja. Aber es ist egal. Ich war nicht
da.
SPIEGEL:Wie geht es für Sie jetzt weiter?
Haben Sie sich Gedanken gemacht, wo Sie
künftig leben wollen?
Söring:Noch nicht. Ich bin immer noch
dabei, Pläne zu entwickeln. Ich weiß nicht,
was ich mag, denn ich hatte jahrzehntelang
gar keine Wahl. Präferenzen entwickeln
sich ja aus dem Leben heraus, wenn man
Erfahrungen macht.
SPIEGEL: Womit wollen Sie Geld verdie-
nen?
Söring:Schriftstellerei ist eine Möglichkeit.
Es gibt Pläne für ein Buch über meine An-
kunft in Deutschland. Wie es sich anfühlt,
nach 33 Jahren Haft: die ersten Schritte in
Freiheit, das erste Mal einkaufen, das erste
Mal allein sein.
SPIEGEL:Haben Sie Angst vor dem Mo-
ment, an dem das Staunen vorbei ist?
Wenn das Neue, Unbekannte, Schöne All-
tag wird?

Söring:Ich denke, das wird ein schöner
Moment sein, wenn ich endlich mal halb-
wegs normal sein werde, wenn ich nicht
mehr so ein Sonderling bin. Eine Art Freak.
SPIEGEL:Sie schreiben im aktualisierten
Vorwort Ihres Buchs »Nicht schuldig«, Sie
würden gern eine Familie gründen, Vater
sein. Was würden Sie Ihrem Kind mit -
geben wollen? Worauf kommt es an im
Leben?
Söring:Nie aufzugeben. Immer weiter zu
kämpfen. Egal wie lange es dauert. Man
kann Unmögliches schaffen, wenn man
nicht aufgibt.
SPIEGEL:Sie haben vorhin gesagt, Sie
kennen sich nach mehr als 30 Jahren im
Gefängnis nicht besonders gut mit Frauen
aus.
Söring:Meine bisherige Erfahrung mit
Frauen ist, dass sie viel direkter sind als
früher. Nicht mehr so zurückhaltend. Sie
sagen einfach, was sie wollen.

Zeitgleich mit Söring wurde auch Elizabeth
Haysom auf Bewährung aus dem Gefäng-
nis entlassen. Ende Januar wurde die 55-
Jährige in ihr Heimatland Kanada abge-
schoben. Zu Sörings Bewährungsauflagen
gehört, dass er die Familienangehörigen
der Opfer nicht kontaktieren darf – und
damit auch Elizabeth Haysom nicht.

SPIEGEL: Würden Sie Elizabeth gern noch
einmal sehen?
Söring:Um Gottes willen, nein. Ich habe
der Frau nichts zu sagen, sie hat mir nichts
zu sagen.
SPIEGEL:Wünschen Sie ihr etwas?
Söring:33 Jahre Haft sind eine unglaublich
brutale Strafe. Vor allen Dingen im ameri-
kanischen Strafvollzug. Auch Elizabeth hat
ganz entsetzlich gelitten. Ich habe kein Be-
dürfnis nach Rache.
SPIEGEL:Aber Sie werden immer damit
leben müssen, dass die Leute sich fragen:
War er’s? Oder war er’s nicht?
Söring:Natürlich ist das schwierig. Aber
das ist die Konsequenz meiner Fehler, die
ich gemacht habe, als ich 18 Jahre alt war.
Das ist meine Verantwortung, damit muss
ich leben. Es wird immer Leute geben, die
glauben, dass Jens Söring schuldig ist. Aber
ich bin stark genug, diesen Kampf weiter-
zuführen. Ich fliehe nicht davor. Ich will
mich nicht verstecken.
SPIEGEL:Wie blicken Sie auf Ihr Leben?
Söring:Ich glaube, der Impuls, ein Leben
retten zu wollen, war richtig. Wie ich es
gemacht habe, war unglaublich schlecht.
Aber alles, was danach kam, darauf bin
ich stolz: Ich bin nicht an der Haft zugrun-
de gegangen. Ich habe niemanden zum
Opfer gemacht. Ich habe mich nicht zum
Opfer machen lassen. Ich bin zufrieden.
SPIEGEL:Herr Söring, wir danken Ihnen
für dieses Gespräch.

60 DER SPIEGEL Nr. 10 / 29. 2. 2020


MICHAEL PROBST / AP

Am 17. Dezember 2019 landet Jens Söring auf dem Flughafen in Frankfurt.
Zahl reiche Freunde warten auf ihn. Söring gibt eine kurze Pressekonferenz,
danach fliegt er weiter nach Hamburg. Er trägt noch seine Gefängnisbrille.


In Freiheit

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