Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1
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alle (Saale) am vergangenen Donnerstag, es ist der
zweite Donnerstag nach dem Anschlag von Hanau,
bei dem ein Mann neun fremde Menschen mit Migra-
tionshintergrund getötet hat – und seine Mutter. An diesem
Donnerstag, das hat Izzet Cagac beschlossen, wird er den
Hallensern so viel Döner spendieren, wie sie essen können.
Cagac, 42, schwarze Haare, schneidet mit einem langen Mes-
ser Fleisch vom Spieß in seinem Imbiss »Kiez Kebabhaus«
in der Oleariusstraße, direkt am Hallmarkt.
Cagac hat vorgesorgt. In seiner Kühlkammer hat er
800 Kilogramm Kalbfleisch eingelagert, je 10 Säcke Weiß-
kraut und Rotkohl, 3 Säcke Zwiebeln, 15 Kisten Eisbergsalat,
je 10 Kisten Tomaten und Gurken, dazu 30 Kisten Brot im
Lager. Geschnippelt und geröstet, mit Kräuter- oder Cock-
tailsoße, bisschen scharf, macht »Pi mal Daumen 2000 Dö-
nertaschen, vielleicht 2400«, schätzt Cagac, »noch mal 1300
Dürüm und 400 Lahma-
cun dazu, alles auf eigene
Rechnung«.
Cagac will die Hallenser
einladen, »wegen Hanau«,
sagt er. »Sie sollen kom-
men und sehen, dass wir
gute Leute sind.« Mit
»wir« meint Cagac »die
Ausländer«, so sagt er das,
obwohl er einen deutschen
Pass besitzt. Er fährt sich
durch den Bart. Man sehe
es doch, sagt er, »schwarze
Haare, dunkle Haut«.
Cagac kennt die Opfer
von Hanau nicht. Aber
Cagac kennt den Terror. Er
sagt, ihm gehörten zwei
Dönerläden in Halle, sie
heißen »Kiez Kebabhaus«
und »Kiez Döner«.
Am 9. Oktober betrat
der 27-jährige Deutsche
Stephan Balliett nach dem
Versuch, die Synagoge zu stürmen, den »Kiez Döner«. Er er-
schoss dort einen 20-Jährigen, der sich hinter einem Kühl-
schrank versteckt hatte.
Wenn Cagac über den Anschlag von Halle redet, werden
seine Augen groß, den Attentäter nennt er nur »den Stephan«.
Cagac sagt, er habe damals, im Oktober, nicht an Rassismus
gedacht. Er sagt: »Der Stephan hat nie Liebe erfahren, darum
hat er das gemacht.« 40 Tage, sagt Cagac, habe er getrauert,
wie es im Islam üblich ist. Er hat alles wieder aufgebaut. In
den Wochen nach dem Anschlag habe er zwar wenig geschla-
fen, aber Angst habe er nie gefühlt. Dann kam der 19. Februar.
Als Cagac am Vormittag des 20. Februar auf sein Handy
schaute, las er, dass ein Deutscher in Hanau neun Menschen
in einer Shisha-Bar, einem Café, in und vor einem Kiosk er-
schossen hatte. Er dachte als Erstes an »den Stephan« und
an seinen eigenen Laden. Dann dachte er an seinen Sohn.
Cagac’ Sohn heißt Bahri und ist 18 Jahre alt. Bahri geht gern
in Shisha-Bars, er trifft dort Freunde. Cagac sagt, er habe sei-


nen Sohn auf Händen getragen, er habe ihn großgezogen
und ihn Respekt vor den Menschen gelehrt. Als Cagac die
Nachrichten aus Hanau las, habe er gespürt, dass sein Sohn
in Gefahr sei, sagt Cagac. Er verbot ihm, künftig in Shisha-
Bars zu gehen.
Cagac sagt, das fleißigste Volk auf der Erde seien die Deut-
schen. In wenigen Jahrzehnten sei Deutschland eines der si-
chersten und reichsten Länder der Welt geworden. Aber jetzt,
sagt Cagac, habe sich etwas verändert. Das Land, das seine
Heimat geworden ist, sei gefährlich geworden.
Der NSU tötete seine Opfer in einer Änderungsschneiderei,
an einem Blumenstand, in Obst- und Gemüseläden, in einem
Schlüsseldienst, in einem Kiosk, in Dönerläden. Auch in Halle
und Hanau waren die Tatorte Dönerladen, Shisha-Bar, Kiosk.
Da seien die Ausländer, jeder wisse das, sagt Cagac. Es seien
gute Orte, wo es leckeren Döner gebe, sagt Cagac. Deshalb
sollen die Hallenser an diesem Tag in seinem »Kiez Kebab-
haus« Döner probieren.
Ein Mann in einem Laden, der sein Leben ist. Er öffnet
seine Türen und verschenkt seine Ware. Die Leute sollen
sehen, dass eine Dönerbude kein Feindesland ist. Sie sollen
sehen, dass sie bei Izzet Cagac willkommen sind. Gratisdöner
gegen den Hass. Lahmacun für die Liebe. Wie weit ist es
eigentlich mit Deutschland gekommen, dass Menschen wie
Izzet Cagac das Gefühl
haben, so etwas tun zu müs -
sen, auch wenn es sie viel
Geld und Arbeit kostet?
Cagac wurde in Iğdir
geboren, an der türkisch-
armenischen Grenze, am
Fuß des Bergs Ararat. Mit
sieben Jahren kam er nach
Berlin, 1999 zog er nach
Halle. Von den Häusern in
Iğdir aus könne man den
mächtigen Berg in der Son-
ne sehen. In Halle regne es
oft, und meistens sei es
kalt. Aber Halle, auch das
sagt Cagac, sei seine Hei-
mat. Hier sei er zu Hause.
Er rede nicht gern über
Politik, aber man dürfe
nicht nur den Deutschen
die Schuld an der Situation
geben, sagt er. Die Situa -
tion, sagt er, sei so, dass
manche Deutsche Angst
hätten, ihr Land nicht mehr wiederzuerkennen, und dass
manche Ausländer sich nicht willkommen fühlten. Auch die
Ausländer müssten sich anstrengen, damit es in der Gesell-
schaft funktioniere, sagt Cagac, der sich immer sehr ange-
strengt hat. Man müsse jetzt zusammenwachsen. Es sind die
Worte eines Mannes, der sich rechtfertigen muss, hier zu
sein, in seiner Heimat.
Cagac steht am Spieß, die Hallenser stehen vor seinem Laden
bis zur Straße. »Hier essen oder mitnehmen?«, fragt Cagac.
Er schneidet und schneidet, an diesem Donnerstag ver-
schenkt er sehr viele Döner. Um die Mittagszeit an die Schüler,
später an Bauarbeiter, an die Studenten. Ein paar werfen et-
was Geld in die Spendenboxen, die Cagac für die Angehöri-
gen von Hanau aufgestellt hat. Er will ihnen das Geld per-
sönlich vorbeibringen. Cagac sagt: »Wir halten zusammen.«
Weißkraut, Rotkohl, Zwiebeln, Gurken, Tomaten, Salat-,
Cocktail- oder Kräutersoße, bisschen scharf? Cagac’ Lager
leert sich. Spieß für Spieß. Bis alle satt sind. Max Polonyi

Geht aufs Haus


OrtsterminWarum ein Imbissbesitzer aus Halle
Gratisdöner verteilt

Reporter

MAX POLONYI / DER SPIEGEL
Wirt Cagac
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