Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1
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Verbraucher


Fragwürdige


Billigkredite


 Wer im Möbel- oder Elek-
tronikmarkt ein neues Sofa
oder ein neues Notebook per
Kredit finanziert, sollte vor-
sichtig sein. Der »Marktwäch-
ter Finanzen« der Verbrau-
cherzentralen hat die Finan-
zierungsangebote von sechs
Händlern untersucht und
erhebliche Fehler bei der
Beratung und in den Verträ-
gen gefunden. Grundlage
der Untersuchung waren bun-
desweit 91 Testkäufe, bezie-
hungsweise Kundenbeob -
achtungen. Nur in 25 Fällen
gingen dabei die Berater die
Finanzierungsverträge Punkt
für Punkt mit dem Kunden
durch. Die Verkäufer erklär-
ten wesentliche Eckpunkte


nicht vollständig, zudem hät-
ten sie die Möglichkeit eines
Widerrufs »kaum themati-
siert«. Die Vertragsformulare
seien inhaltlich »teilweise
rechtlich bedenklich«. Die Ver -
braucherschützer fanden auch
Verweise auf veraltete Preis-
und Leistungsverzeichnisse,
falsche Datenschutzerklärun-
gen und Widerrufsbelehrungen
und auch Darlehensverträge,
»die den vorvertraglichen
Informationen widersprachen«.
In mehreren Fällen sei eine
»Nullprozentfinanzierung«
nur möglich gewesen, wenn
zugleich ein Kreditkarten -
vertrag abgeschlossen wurde.
Bei der Karte seien jedoch
nach einiger Zeit Zinsen fällig
geworden. In manchen Fällen
sei so nicht sichergestellt
gewesen, dass das gekaufte
Produkt zinsfrei finanziert
werden konnte. ASE

US-Wahlkampf

»Aggressive Form


von Plutokratie«


Kohleausstieg


GroKo will Gesetz


nachbessern


 Die schwarz-rote Koalition
plant Nachbesserungen am
Kohleausstiegsgesetz, das im
vergangenen Monat vom
Bundeskabinett beschlossen
worden war. Im Blick haben
die Parlamentarier dabei die
Betreiber von Steinkohle-
kraftwerken, die sich über
den Gesetzentwurf aus dem
Bundeswirtschaftsministeri-
um beschwert hatten. Der
wirtschaftspolitische Sprecher
der SPD, Bernd Westphal,
fordert, deren Belange ernst


zu nehmen und das Kohleaus-
stiegsgesetz »wenn nötig auch
zu verändern«. So war in
den Empfehlungen der Kohle-
Kommission nicht geplant,
den Betreibern nur bis 2027
eine Entschädigungen zu zah-
len, wie Altmaiers Entwurf es
nun vorsieht. SPD-Mann-
Westphal befürchtet langwie-
rige Schadensersatzprozesse,
insbesondere für Kraftwerke,
die erst vor wenigen Jahren
eröffnet wurden, etwa das in
Lünen. »Investoren müssen
sich darauf verlassen können,
dass durch politische Verände-
rungen der Transformations-
prozess fair gestaltet wird«,
sagt Westphal, der die in der
kommenden Woche starten-
den Beratungen im Parlament
für die SPD leitet. Denkbar
sei, die Umrüstung von Kohle -
kraftwerken auf den Betrieb
mit Gas stärker zu fördern.
Dies wäre für die Versorgung
mit Strom und Fernwärme
wichtig, die Energiekonzerne
müssten allerdings »verläss -
liche Anreize« bekommen,
damit sich ihre Investition
lohne, so Westphal. Sein
CDU-Kollege Joachim Pfeiffer
verfolgt ähnliche Ziele.
»Meine Fraktion hat noch
einigen Änderungsbedarf.« GT

BARCROFT MEDIA / GETTY IMAGES

Sanders

MARIUS BECKER / DPA
Kohlekraftwerk in Lünen

Der Berkeley-
Ökonom Gabriel
Zucman, 33, gilt
als geistiger
Vater der radika-
len Steuerpläne
des demokratischen Präsident-
schaftsbewerbers Bernie
Sanders, der derzeit bei den
US-Vorwahlen führt.

SPIEGEL: Sie haben die Argu-
mente für Sanders’ Reichen-
steuern geliefert. Glauben
Sie wirklich, dass die den US-
Bürgern zu vermitteln sind?
Zucman: Allerdings. Diese
Konzepte sind sogar äußerst
populär, wie Umfragen bele-
gen. Es gibt eine große Sehn-
sucht nach einer Politik, die
der wachsenden Ungleichheit
in den Vereinigten Staaten
etwas entgegensetzt.
SPIEGEL: Sanders könnte
aber auch die Mittelschicht zu
Trump treiben.
Zucman: Sanders hat ein
anderes Kalkül. Mit seinen
Forderungen nach höheren
Mindestlöhnen, einer allge-
meinen Krankenversicherung
und dem Erlass von Studien-
gebühren will er jene Wähler-
schichten ansprechen, die
schon seit Jahren nicht mehr
mitbestimmen: die Jungen, die
Arbeiter, die Minderheiten.
Das ist ein riesiges Potenzial.
SPIEGEL: Viele Experten
verweisen auf Trumps gute
Wirtschaftszahlen, sogar für
die unteren Schichten.

Zucman: Es stimmt, dass die
durchschnittlichen Stunden-
löhne zuletzt gestiegen sind.
Während die unteren Schich-
ten aber unter steigenden
Mieten, Schulgebühren und
Gesundheitsausgaben leiden,
haben die Wohlhabenden von
Trumps Steuerreform profi-
tiert. Was wir erleben, ist kein
Aufschwung für die Unter-
schicht, sondern eine aggres -
sive Form von Plutokratie.
SPIEGEL: Wie kommen Sie
darauf?
Zucman:Seit Trumps Steuer-
reform zahlen Milliardäre einen
geringeren Steuersatz als
Durchschnittsverdiener, und
die Schere zwischen Arm und
Reich geht weiter auseinander.
In den Fünfzigerjahren brachte
die Unternehmensteuer in den
USA ein siebenmal so hohes
Aufkommen wie die Lohn -
steuer, heute ist es umgekehrt.
SPIEGEL: Auch demokratisch
gesinnte Ökonomen warnen,
dass Ihre Pläne das Wachs-
tum schwächen könnten.
Zucman:Die Geschichte der
USA legt eher den gegenteili-
gen Schluss nahe. Nach dem
Zweiten Weltkrieg lag der Steu-
ersatz für Spitzenverdienste
zwei Jahrzehnte lang bei 90
Prozent, trotzdem wuchs die
Wirtschaft schneller als heute.
Ich sehe deshalb keinen Grund,
warum die Wirtschaft unter
moderaten Vermögensteuern,
wie wir sie vorschlagen, zu -
sammenbrechen sollte.MSA

J. EDELSON / GETTY
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