Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1

Das Europäische Patentamt (EPA) mit Sitz
in München ist keine EU-Behörde, sondern
basiert auf einem Patentübereinkommen,
das 38 Staaten unterzeichnet haben. Sein
Jahresetat von rund 2,5 Milliarden Euro
speist sich aus den Gebühren der Patent-
anmelder. Der Portugiese Campinos, 51, ist
seit Juli 2018 Präsident des Amts.


SPIEGEL: Herr Campinos, Patente wurden
erfunden, um das geistige Eigentum von
Erfindern zu schützen, ihre Investitionen
abzusichern und damit Innovation anzu-
kurbeln. Erfüllen sie diesen Zweck noch?
Campinos: Wir haben das von unserem
Chefökonomen untersuchen lassen, die
Zahlen sprechen für sich. Industrien, die
in hohem Maß geistige Eigentumsrechte
nutzen, stehen für 45 Prozent der EU-Wirt-
schaftsleistung, mehr als 80 Prozent aller
Exporte, und sie zahlen bis zu 47 Prozent
höhere Löhne.
SPIEGEL: Da reden wir über etablierte Un-
ternehmen. Doch taugt das in der Indus-
triegesellschaft gereifte Patentsystem für
die neue digitale Wirtschaftswelt? Wie lan-
ge braucht ein Patentantrag bei Ihnen?
Campinos: Er durchläuft verschiedene
Stufen, insgesamt dauert es im Schnitt vier
bis fünf Jahre, bis wir ein Patent formal
erteilen können.
SPIEGEL: Im Digitalzeitalter ist das eine
Ewigkeit. Bis dahin sind Ideen doch längst
kopiert oder technisch überholt.
Campinos: In der wichtigen ersten Phase
nach einer Anmeldung sind wir deshalb
besonders schnell. Unsere Experten befra-
gen mit hauseigenen Suchmaschinen un-
sere Datenbanken, ob das Beschriebene
tatsächlich neu ist und sich nicht direkt aus
dem Stand der Technik herleiten lässt –
ob es also wirklich erfinderisch ist. Zudem
prüfen wir, ob es einen technischen Cha-
rakter hat und gewerblich anwendbar ist.
Nach dieser Recherche bekommen Sie
eine ausführliche erste Einschätzung.
Wenn die positiv ausfällt, haben Sie eine
hohe Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Patent
erteilt wird. Damit können Sie zu Banken
und Wagniskapitalgebern gehen, um eine
Finanzierung zu bekommen.
SPIEGEL: Was heißt besonders schnell?
Campinos: Aktuell brauchen wir für die
erste Stufe im Schnitt etwas mehr als vier
Monate, damit sind wir weltweit spitze.
Unser US-Pendant braucht erheblich län-
ger. Mir reicht das aber nicht, ich möchte
unseren Anmeldern anbieten, den Vor-


gang auf Wunsch auf zehn Tage oder sogar
eine Woche abzukürzen.
SPIEGEL: Wie viele Patentgesuche lehnen
Sie ab?
Campinos: Im Durchschnitt der vergange-
nen Jahre lehnen wir knapp die Hälfte ab.
Etwa ein Drittel der Anmelder zieht den
Antrag zurück – vor allem wenn unsere
erste Einschätzung negativ ausfällt. Unsere
Anmeldungen sind zuletzt jeweils jährlich
um fast fünf Prozent auf neue Höchstwerte
gestiegen, 2018 waren es 174 000.
SPIEGEL: Viele Erfinder kritisieren aller-
dings die hohen Kosten.
Campinos: Für die erste Abfrage und Ein-
schätzung fallen rund 1500 Euro Amts -
gebühren an, bis zur Gewährung des Pa-
tents etwa 5000 Euro.
SPIEGEL: Damit liegen Sie preislich weit
oben. Eine Anmeldung beim Deutschen
Patent- und Markenamt ist deutlich güns-
tiger.
Campinos: Die Kollegen vergeben aller-
dings auch nur ein Schutzrecht für den
deutschen Markt, bei uns gilt es für bis zu
38 Mitgliedstaaten sowie für sechs weitere
Märkte. Wirklich hohe Kosten entstehen
sowieso erst, wenn Ihr europäisches Patent
erteilt worden ist. Dann müssen Sie es
meist mehrfach übersetzen lassen und jähr-
liche Gebühren bezahlen, um es zu erhal-
ten. Häufig brauchen Sie auch Patent -
anwälte. Und wenn es zum Streit kommt
und die Sache vor Gericht geht, kostet das
in manchen Staaten schnell eine halbe bis
eine Million Euro.
SPIEGEL: Verständlich, dass das auf einige
Tüftler abschreckend wirkt, oder?
Campinos: Das Bild vom einsamen Erfin-
der in seiner Garage, der einen Geistesblitz
hat, ist weitverbreitet und sehr roman tisch.
In der Realität kommen 70 Prozent un -
serer Anmeldungen von Großkonzernen,

20 Prozent von kleinen und mittleren
Betrieben und der Rest von Universitäten
und Forschungseinrichtungen.
SPIEGEL:Was auch daran liegen kann, dass
Konzerne mit großen Budgets und Rechts-
abteilungen unfaire Vorteile haben. Man-
che kaufen ganze Portfolien an Patenten
auf. Wer heute in die Chipproduktion ein -
steigen wollte, müsste erst mal Patente für
dreistellige Millionensummen lizenzieren.
Campinos: Diese Sichtweise ist mir zu ein-
seitig. Smartphones stecken voller Patente,
und doch gibt es eine Menge Hersteller.
Sie sind erschwinglich, fast jeder hat eines
in der Tasche.
SPIEGEL: Dennoch nutzen viele Firmen
Patente bloß, um mögliche Wettbewerber
in Schach zu halten, statt ihnen gegen
Lizenzgebühren die Nutzung zu erlauben.
So wird Innovation eher verhindert als ge-
fördert.
Campinos: Es gibt diese ruhenden Patente,
wie viele genau das sind, untersuchen wir
gerade. Nach der Finanzkrise haben aber
auch große Konzerne ihr Patentportfolio
reduziert. Tausende unprofitable Patente
auf vielen Märkten zu besitzen – das geht
selbst bei den Großen ins Geld.
SPIEGEL: Prominente Stimmen wie der
Nobelpreisträger Joseph Stiglitz fordern
eine grundlegende Reform des Patentsys-
tems, andere sogar seine Abschaffung.
Campinos: Nicht das System an sich ist
schlecht, es sind Einzelne, die es missbrau-
chen. Ich sehe keine ernsthafte Alternative
zum Patent, es gibt nichts Besseres. Un-
ternehmen, die über zehn Jahre ein neues
Molekül entwickeln und Hunderte Millio-
nen dafür ausgeben, werden ihre Investi-
tionen immer absichern müssen. Das Pa-
tentsystem ermöglicht das.
SPIEGEL: Es gibt auch andere Methoden,
sich zu schützen, etwa durch Urheber -
rechte, Markenschutz oder Geschäfts -
geheimnisse.
Campinos: Sicher, aber wenn wir Patente
abschaffen, werden wir in einer Welt voller
Geschäftsgeheimnisse wie der Coca-Cola-
Formel landen. Das wäre intransparent
und innovationshemmend. Unsere Daten-
bank EspaceNet ist kostenlos öffentlich
einsehbar. Sie umfasst 110 Millionen
Patentdokumente, die per Knopfdruck in
31 Sprachen übersetzt werden können.
Das ist ein Schatz, der stets zugänglich
bleibt. Niemand muss das Rad neu erfin-
den. Innovatoren können auf der Arbeit
ihrer Vorgänger aufbauen.

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Wirtschaft

»Die Hälfte lehnen wir ab«


InnovationenDer Präsident des Europäischen Patentamts, António Campinos, kontert den
Vorwurf, das Patentsystem sei zu teuer und behindere den technischen Fortschritt.

Erfindergeist
Europäische Patentanmeldungen, 2018

174317


Quelle: EPA

4,6 %


etwa 50 %


rund 70 %


4 bis 5 Jahre


rund5000 €


mehr als im Vorjahr

der Patentgesuche
kommen von Großkonzernen

davon erhalten eine
Patenterteilung

dauert die Prüfung
im Durchschnitt
kostet die Patentgewährung
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