Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1

SPIEGEL: In der Tech-Branche haben man-
che Firmen längst größere Forschungsetats
als viele Staaten. Kleine und mittlere Un-
ternehmen sind da doch völlig chancenlos.
Campinos: Es gäbe für viele dieser Kritik-
punkte längst eine Lösung, das europäi-
sche Einheitspatent. Damit würde ein ein-
heitliches Gericht geschaffen. Ein Großteil
der bisherigen Kosten fiele weg, etwa für
Übersetzungen und Anwälte in jedem
Land. Bei einer vollen Laufzeit von 20 Jah-
ren würden die gesamten Gebühren bei
etwa 35 000 Euro liegen, nicht mehr bei
170 000 Euro wie bisher. Zudem sieht es
explizit Rabatte für kleinere Unternehmen
vor, die das Spiel bislang vielleicht nicht
ganz so gut beherrschen. Und es schafft
größere Anreize, Patente nicht zu horten,
sondern an andere zu lizenzieren.
SPIEGEL: Warum gibt es dieses Einheits-
patent nicht längst?
Campinos:Vor zwei Jahren hatten wir den
Punkt erreicht, an dem das einheitliche Pa-
tent und das dazugehörende Gericht hätten
starten können. Leider ist in Deutschland
eine Verfassungsbeschwerde dagegen an-
hängig, die von einem Patentanwalt ein -
gereicht wurde. Wir rechnen mit einer Ent-
scheidung noch im ersten Quartal.
SPIEGEL: Wie stehen Sie zu der hoch um-
strittenen Patentierung von Pflanzen und
anderen Lebewesen?
Campinos: Als Privatperson verstehe ich,
dass viele Vorbehalte dagegen haben. Das


Patentrecht kann aber auch hier eine Ba-
lance zwischen den verschiedenen Interes-
sen schaffen.
SPIEGEL: Ihr Amt hat allerdings schon
Hunderte solche Patente erteilt, für die
Anti-Matsch-Tomate beispielsweise oder
Verfahren zur Schweinezucht.
Campinos: Als Präsident bin ich unpartei-
isch und halte mich an unsere Regeln. Da-
nach dürfen wir keine Patente für Lebe-
wesen ausstellen, wenn es im Kern um bio-
logische Züchtungsverfahren geht – also
wenn etwa Samen gekreuzt werden. An-
ders sieht es für gentechnisch veränderte
Pflanzen und Tiere aus, wo die Erfindung
auf einem technischen Schritt beruht, etwa
auf einer transgenen Veränderung. Im Üb-
rigen können alle von uns erteilten euro-
päischen Patente juristisch angefochten
werden – was in den von Ihnen genannten
Fällen auch geschehen ist. Beide Paten te
bestehen nicht mehr.
SPIEGEL: Auf Software kann man bei
Ihnen keine Patente anmelden, auf An -
wendungen der künstlichen Intelligenz (KI)
hingegen schon. Können Sie das erklären?
Campinos: Das mag verwirren, zugege-
ben. Hinter KI stecken Algorithmen, deren
Software als solche wir nicht patentieren.
Auf die technischen Lösungen insgesamt,
die auf künstlicher Intelligenz beruhen, er-
teilen wir Patente – solange sie wirklich
neu und erfinderisch sind.
SPIEGEL: Was heißt das konkret?

Campinos:Nehmen Sie das autonome
Fahren. Die Algorithmen, die es möglich
machen, sind nicht patentierbar – sehr
wohl aber ihr Zusammenspiel mit den im
Auto verbauten Chips und Sensoren. Also
den Erfindungen, die Autos zu autonomen
Wahrnehmungen und Entscheidungen
befähigen.
SPIEGEL: Und was passiert, wenn künst -
liche Intelligenz Dinge erfindet?
Campinos: Einen solchen Fall hatten wir
gerade. In zwei Anmeldungen tauchte ein
gewisser »Dabus« als Erfinder auf – eine
Maschine mit künstlicher Intelligenz. Wir
haben beide Gesuche abgelehnt, denn wir
erteilen Patente nur an Menschen als Er-
finder, nicht an Maschinen. Es war unser
erster Fall dieser Art, aber es wird wohl
nicht der letzte bleiben.
SPIEGEL: Haben Sie eine Lieblingserfin-
dung?
Campinos: Ah, das ist nicht leicht. Ich ver-
rate Ihnen meine Lieblingserfinderin: Das
ist die Molekulargenetikerin Margarita
Salas, die leider im November verstorben
ist – kurz nachdem wir sie mit dem euro-
päischen Erfinderpreis für ihr Lebenswerk
ausgezeichnet haben. Sie hat einen Weg
gefunden, DNA-Spuren von Tatorten zu
replizieren – sodass selbst die smartesten
Kriminellen heute anhand kleinster DNA-
Spuren überführt werden können.
Interview: Marcel Rosenbach

DER SPIEGEL Nr. 10 / 29. 2. 2020 69


ROBERT BREMBECK / DER SPIEGEL
Behördenchef Campinos im Sitzungssaal des EPA: »Wir erteilen Patente nur an Menschen als Erfinder, nicht an Maschinen«
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