Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1

70 DER SPIEGEL Nr. 10 / 29. 2. 2020


Wirtschaft

V


on einem Arbeitnehmer wird ge-
meinhin erwartet, dass er in seiner
Arbeitszeit arbeitet. Im Falle eines
Lokführers hieße das, er müsste Lok fahren.
Doch in den Lokomotiven der DB Cargo,
der Gütertransportsparte der Deutschen
Bahn, verbringen die Lokführer in der Re-
gel nur gut ein Drittel ihrer Arbeitszeit. Viel
häufiger sitzen sie während der Dienstzeit
in Wartehallen, Taxis oder in anderen
Zügen, die sie wieder nach Hause bringen.
Der Grund: Die Bahn achtet darauf, dass
jeder Lokführer rechtzeitig zum Feierabend
wieder seinen Heimatbahnhof erreicht. So
will es der komfortable Tarifvertrag der Lo-
komotivführer. Die schnelle oder gar pünkt-
liche Ankunft der Güterwaggons ist dabei
offenbar von nachrangiger Bedeutung.
Seit Jahren steckt DB Cargo tief in den
roten Zahlen, Besserung ist nicht in Sicht.
Besonders defizitär ist der sogenannte Ein-
zelwagenverkehr. Dabei wird in einem
komplexen Rangierverfahren ein Zug aus
Waggons diverser Kunden zusammen -
gestellt. Für 2019 rechnet man intern mit
300 Millionen Euro Verlust in dieser Spar-
te, für dieses Jahr sehen die Prognosen
kaum besser aus. Flexiblere Arbeitszeiten
der Lokführer könnten helfen, den Betrieb
zu modernisieren. Doch die Privilegien
der Eisenbahner lassen das nicht zu.


»Wir haben immer dort Feierabend, wo
wir angefangen haben«, sagt Ernst Wirth
aus Würzburg, einer von rund 4000 Lok-
führern der DB Cargo. Sein normaler Ar-
beitstag läuft daher meist in Dritteln ab:
Lokomotive fahren, warten, Heimfahrt.
Schichtsymmetrie heißt das. »Für den
Arbeitnehmer beginnt und endet die Ar-
beitszeit am Ort des Dienstbeginns«, steht
im Tarifvertrag, den die Gewerkschaft der
Lokführer (GDL) für ihre Mitglieder aus-
gehandelt hat. Eine Bahn-Sprecherin be-
stätigt die Praxis auf Anfrage.
Die Auswirkungen sind erheblich.
»Wenn meine pünktliche Ankunft am Hei-
matbahnhof gefährdet ist, bleibt der Zug
eben stehen«, sagt Lokführer Wirth. Der
Feierabend des Zugführers daheim ist
wichtiger als die Lieferung der Ladung.
Zeichnet sich ein solches Katastrophen-
szenario ab, hält Wirth an. Er stellt den
Zug irgendwo ab, sichert ihn und wartet,
bis ein anderer Lokführer kommt und
weiterfährt. Dann macht er sich auf den

Heimweg – während der Arbeitszeit wohl-
gemerkt. Ihm sei es allerdings immer lie-
ber, sagt Wirth, wenn er in einem Bahnhof
stoppen könne. »Ich setze mich in den
Pausenraum und warte dort auf einen Zug,
der mich zurückbringt.« Das sei ange -
nehmer.
Bis zu 20-mal hielt ein Güterzug der
Deutschen Bahn zuletzt an, ehe er sein
Ziel endgültig erreichte. Und 80 Stunden
dauerte es im Durchschnitt, bis DB Cargo
eine Ladung zustellte.
Neben den Lokführern freut sich das
Taxigewerbe über die Regelung. 5,4 Mil-
lionen Euro soll DB Cargo allein 2017 da-
für ausgegeben haben, Lokomotivführer
zur Lok, zum nächsten Bahnhof oder nach
Hause zu kutschieren, berichtete die »Wirt-
schaftswoche«. Einzelne Fahrten für meh-
rere Hundert Euro seien nicht selten.
Intern murren die Bahn-Manager über
die Arbeitsverträge der Lokführer. Sie wür-
den ihnen lieber mehr Geld zahlen, damit
sie die Züge ohne ständige Unterbrechun-
gen rollen ließen. Aber die Gewerkschaf-
ten sperren sich gegen Änderungen.
Hinzu kommt: Lokführer werden über-
all händeringend gesucht, sie sind wert-
voll. Auch Wettbewerber halten sich an
den Tarifvertrag. Allerdings setzen sie
ihr Personal häufig effizienter ein. »Unse-
re Eisenbahnen praktizieren die Zwei-
Schicht-Symmetrie«, sagt Peter Westen-
berger, Geschäftsführer vom Netzwerk
Europäischer Eisenbahnen. Da rin sind
viele Unternehmen zusammengeschlos-
sen, die nicht zum DB-Konzern gehören.
Deren Lokführer bringen ihre Züge so nah
wie möglich an den Bestimmungsort und
fahren nach einer Pause oder Übernach-
tung einen anderen Güterzug zurück. Vie-
le Unternehmen würden den Lokführern
die Wahl lassen. Je flexibler sie seien,
desto höher falle ihr Verdienst aus. »Fast
alle Lokführer fahren lieber, als dass sie
viel herumsitzen. Und es hilft unseren
Unternehmen dabei, kundenorientierter
zu arbeiten als die Konkurrenz«, so
Westenberger.
DB Cargo weiß um das Problem. Aus
der Not heraus muss das Unternehmen
eilige Aufträge an Firmen vergeben, deren
Lokführer nicht nach einem Drittel der
Arbeitszeit die Arbeit einstellen. »In Ein-
zelfällen bedient sich DB Cargo Tochter -
unternehmen, die nicht an die Tarifver -
träge der GDL gebunden sind«, sagt eine
Bahn-Sprecherin.
Hohe Verluste, sinkende Leistung und
unflexible Lokführer machen DB Cargo
zu schaffen. Ein Zukunftskonzept ist in
Arbeit, wie es heißt. Teil des Plans sind
vollautomatische Rangierloks – da braucht
es dann keine Lokführer mehr.
Andreas Ulrich
Mail: [email protected]

RALF HIRSCHBERGER / DPA
DB-Güterlokomotive: »Wir haben immer dort Feierabend, wo wir angefangen haben«

Abends daheim


ArbeitszeitMit dem Güterverkehr schreibt die Bahn seit Jahren
rote Zahlen. Das liegt auch an einer absurden Vorschrift.

»Fast alle Lokführer
fahren lieber, als
dass sie viel herum -
sitzen.«
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