Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1
die frühere Stadtratssprecherin Melissa
Mark-Viverito, eine Puertoricanerin, die
Bloomberg gut kennt und oft mit ihm stritt.
Er sei herablassend und arrogant gewesen,
Kritik habe er abgewehrt.
Bloomberg verwandelte New York in
einen Spielplatz für Immobilienhaie, Mil-
liardäre und Investoren. Dank seiner Steu-
er- und Subventionspolitik wuchsen Dut-
zende gesichtslose Glastürme in den Him-
mel. Gleichzeitig stiegen die Mieten, vor
allem ärmere Bürger wurden verdrängt.
Gegen eine Erhöhung des Mindestlohns
sperrte sich Bloomberg. Als das Ende sei-
ner zweiten, eigentlich letzten Amtszeit
als Bürgermeister nahte, boxte er eine Ge-
setzesänderung durch, die ihm eine dritte
Amtszeit ermöglichte.
Seine Fehler als Bürgermeister holen
ihn jetzt wieder ein, vor allem sein politi-
scher Sündenfall: Die »Stop and frisk«-
Taktik, bei der in zwölf Jahren rund fünf
Millionen New Yorker ohne konkreten An-
lass von der Polizei angehalten und durch-
sucht wurden. Beinahe 90 Prozent waren
Schwarze oder Latinos.
Bloomberg hatte die Politik von Giu -
liani übernommen und ausgeweitet. Er sah
ärmere Viertel wie Crown Heights in
Brooklyn als Brutstätte der Kriminalität
und fand, dass Bürgerrechte in solchen Ge-
genden zweitrangig seien. »Es war scho-
ckierend«, sagt Mark-Viverito. »Stop and
frisk« habe die schlimmsten Vorurteile be-
stärkt. »Die Konsequenzen für alle Min-
derheiten waren schrecklich.«
Die Stadt drosselte das Programm erst,
als ein Gericht es 2013 für verfassungs -
widrig erklärte. Selbst da kritisierte Bloom-
berg das Urteil noch als »gefährlich«. Kein
Wunder, dass das Thema hochkochte, als
er in den Vorwahlkampf der Demokraten
einstieg. Zwar entschuldigte er sich vor
Kurzem für die Polizeitaktik. Viele Afro-
amerikaner halten das aber für eine Wahl-

kampfstrategie. Auch seine Biografin hält
die Entschuldigung für unaufrichtig. »Ich
glaube nicht, dass er ›stop and frisk‹ für
einen Fehler hält«, sagt Joyce Purnick.
Gregory Meeks dagegen vertritt seit
1998 einen New Yorker Wahlbezirk im
amerikanischen Repräsentantenhaus. Er
geriet häufig mit Bloomberg aneinander,
als dieser Bürgermeister war, und ist doch
bereit, Bloomberg zu vergeben. »Er ist die
Person, die meiner Meinung nach die bes-
ten Chancen hat, Donald Trump zu schla-
gen«, sagt Meeks.

Er war einer der ersten Afroamerikaner,
die Bloomberg offen unterstützten, aber
er ist nicht der einzige. Der Bürgermeister
von Houston, Sylvester Turner, hat sich
ebenfalls für Bloomberg als Kandidaten
ausgesprochen. »Er hat Fehler gemacht,
aber seine Verdienste überwiegen.«
Es bleibt ein Risiko für Demokraten,
für den Milliardär zu werben, vor allem
weil immer neue Anschuldigungen gegen
Bloomberg bekannt werden. Etliche frü-
here Angestellte werfen ihm vor, eine frau-
enfeindliche Arbeitsatmosphäre in seinem
Unternehmen geschaffen und Frauen
schlechter als Männer behandelt zu haben.
Einer Mitarbeiterin soll er, nachdem sie
von ihrer Schwangerschaft berichtet hatte,
gesagt haben: »Bring es um.«
Bloomberg bestritt die Behauptung un-
ter Eid. Die Frau wurde entlassen. In -
zwischen fordert Elizabeth Warren, ihr
Konkurrent solle sämtliche Frauen von
Verschwiegenheitserklärungen befreien,
damit sie offen über ihren früheren Chef
sprechen könnten. Für Bloomberg zeigt
sich, wie riskant und schwer steuerbar ein
Vorwahlkampf sein kann, in dem es für
seine Mitbewerber ums politische Überle-
ben geht, nicht nur um Geld.
Dazu kommt, dass die Demokraten jun-
ge Leute und Frauen anziehen wollen, die

von Trumps Machogehabe angewidert
sind. Ein Kandidat wie Bloomberg, dessen
Sprüche über »Blowjobs« und schwangere
Frauen aktenkundig sind, passt schlecht
in die von der #MeToo-Debatte aufge-
peitschte Zeit. Bloomberg wirkt nicht nur
wie ein Typ aus dem 20. Jahrhundert, er
ist es auch.
Allerdings melden sich in der Partei
Stimmen, die davor warnen, die alten Ge-
schichten allzu hoch zu hängen. »Wir kön-
nen uns alle vorstellen, wie es vor 30 Jah-
ren an der Wall Street zuging«, sagt etwa
Muriel Browser, Bürgermeisterin von Wa-
shington, D. C. Ihrer Partei müsse klar sein,
dass sie den perfekten Kandidaten oder
die perfekte Kandidatin nicht finden wer-
de, die sämtlichen Strömungen gefalle. Sie
jedenfalls unterstützt Bloomberg.
Dessen Strategie setzt ohnehin darauf,
konservative Wähler zu begeistern, nicht
den linken Flügel der eigenen Partei. Dass
das funktionieren kann, lässt sich bei einer
Wahlkampfveranstaltung in Norfolk, Vir-
ginia, beobachten. Er sei ein Republikaner,
sagt der Begrüßungsredner. Aber diesmal
werde er Michael Bloomberg wählen.
Der Redner heißt Richard Spencer, er
war Staatssekretär für die Marine, bis ihn
Donald Trump Ende November entließ,
weil er sich kritisch über die Einmischung
des Präsidenten in Kriegsverbrecher -
verfahren geäußert hatte. Im Publikum sit-
zen Männer in dunklem Blazer und Frau-
en mit Halstuch.
Unter ihnen sind Wähler aus den repu-
blikanischen Vorstädten. Sie haben dafür
gesorgt, dass die Demokraten 2018 im Re-
präsentantenhaus in Washington wieder
die Mehrheit haben. Was Bloomberg bei
den Linken zum Nachteil gereicht, bringt
ihm in Norfolk Punkte: sein Reichtum,
seine altmodische, steife Art, seine patriar -
chalische Vorstellung von Politik. Er
glaubt, seine Anziehungskraft auf Wech-
selwähler könne die Vorbehalte in der
eigenen Partei kompensieren.
Der Super Tuesday wird darüber ent-
scheiden, ob Bloombergs Strategie erfolg-
reich ist. Falls Bernie Sanders bis zum Par-
teitag der Demokraten im Juni noch keine
absolute Mehrheit der gewählten Delegier-
ten erreicht hat, entscheiden die Stimmen
der Superdelegierten. Das sind demokra-
tische Amtsträger und Parteifunktionäre,
die nicht an Wahlempfehlungen gebunden
sind. Sie zählen in ihrer Mehrheit zu den
Gegnern von Sanders.
Bloomberg muss die Superdelegierten
auf seine Seite ziehen, nur wenn er das
schafft, könnte ihm der Coup gelingen.
Auf diese Art die Nominierung zu bekom-
men wäre ungewöhnlich. Aber das gilt
für Bloombergs gesamten Wahlkampf.
Es ist eine gigantische Wette.
Ralf Neukirch, Marc Pitzke

DER SPIEGEL Nr. 10 / 29. 2. 2020

Ausland

Quellen: »New York Times«, Federal Election Commission

Michael Bloomberg

409

254

117
76 91
63

To m
Steyer

Bernie
Sanders

Elizabeth
Warren

Joe
Biden

Pete
Buttigieg

Q2
2019

Q3

Jan. 2020

Q4

Biden kandidiert
seit dem zweiten
Quartal 2019 ...

Geldschlacht
kummulierte Ausgaben demokratischer Bewerber für ihre Präsidentschaftskampagne,
in Mio. Dollar

... Steyer seit
dem dritten ...

... und
Bloomberg
seit dem
vierten.

AP; BRENNA NORMAN / REUTERS; JONATHAN ERNST / REUTERS;ERIN SCOTT / REUTERS; DANIEL ACKER / REUTERS; JONATHAN DRAKE / REUTERS

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