Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1

Z


um 59. Unabhängigkeitstag der
Republik Kongo präsentierte Präsi -
dent Denis Sassou-Nguesso seinen
Landsleuten eine vermeintliche
Sensation. Eine kongolesische Ölfirma hat-
te nach eigenen Angaben im Norden des
Landes ein Ölfeld mit 359 Millionen Barrel
entdeckt. Die Ölproduktion des Kongo
könnte sich damit auf einen Schlag ver-
vierfachen. In seiner Rede im August 2019
schwärmte der Präsident von der »Präsenz
qualitativ hochwertiger Ölvorkommen«
im sogenannten Ngoki-Block.
Dann kam Sassou-Nguesso auf die Um-
welt zu sprechen. In den sumpfigen Böden
des Nordens sind rund 30 Milliarden Ton-
nen Kohlenstoff gespeichert. Sein Land
wolle sich ja »in den Dienst der Mensch-
heit« stellen, um die Torfmoore zu schüt-
zen, beteuerte der Präsident. Aber der
Kongo habe auch ein »Recht auf Entwick-
lung«. Und die angekündigten »Kompen-
sationen« ließen »auf sich warten«.
In anderen Worten: Entweder die Welt-
gemeinschaft zahle dem Kongo mehr Geld
für den Umweltschutz oder er, der Präsi-
dent, lasse in dem sensiblen Ökosystem
nach Öl bohren.
Sassou-Nguessos Drohung wirkte offen-
bar. Wenige Wochen später empfing der
französische Präsident Emmanuel Macron
den Kongolesen in Paris. Die beiden
Staatschefs unterzeichneten eine Absichts-
erklärung, die dem Kongo rund 60 Millio-
nen Euro europäische Hilfsgelder in Aus-
sicht stellte, darunter Mittel des Bundes-
umweltministeriums. Mit dem Geld sollen
unter anderem die Folgen der Ölförderung
für die Torfmoore »reduziert« werden.
Sassou-Nguesso verspricht im Gegenzug,
das Ökosystem zu schützen.
Eine Win-win-Situation, könnte man
meinen, doch die Sache hat einen Haken:
Den vermeintlichen Sensationsfund hat es
so wohl nicht gegeben. Wie es aussieht,
hat sich Europa täuschen lassen.
Der SPIEGELhat gemeinsam mit dem
europäischen Investigativnetzwerk EIC
und der Nichtregierungsorganisation Glo-
bal Witness interne Unterlagen ausgewer-
tet; Reporter des SPIEGELund des fran-
zösischen Investigativportals Mediapart
haben in Paris und der kongolesischen
Hauptstadt Brazzaville zudem mit zahl-
reichen Insidern gesprochen. Die Recher-


chen legen nahe, dass es sich bei dem
a n g e b l i c h e n Ö l f u n d i m N g o k i - B l o c k u m
einen Bluff, mindestens aber um eine gro-
teske Übertreibung handelt.
Experten von Konzernen wie Total
oder Shell haben das Ölvorkommen an
dieser Stelle bereits vor Jahren geprüft und
eine Ausbeutung mangels Wirtschaftlich-
keit verworfen. Dass nun eine kaum erfah-
rene Firma alle bisherigen Ergebnisse kom-
plett widerlegt, ist kaum zu glauben. Zu-
mal deren Explorationsarbeiten nach nur
einer Probebohrung abgebrochen wurden.
Nach Ansicht von Fachleuten reicht eine
Bohrung aber nicht aus, um die Qualität
eines Ölreservoirs seriös zu bestimmen.
Hat Präsident Sassou-Nguesso den
W e s t e n a l s o g e n a r r t , u m H i l f s g e l d e r z u
er schleichen?
Vieles spricht dafür. Vor der Präsident-
schaftswahl im kommenden Jahr steht
S a s s o u - N g u e s s o u n t e r D r u c k. Z w a r i s t d e r

Kongo reich an Rohstoffen. Trotzdem hat
der Staat Schulden in Milliardenhöhe an-
gehäuft. Erst im Sommer 2019 hatte sich
die Regierung in Brazzaville mit dem In-
ternationalen Währungsfonds auf ein Kre-
ditprogramm über knapp 400 Millionen
Euro geeinigt.
Die prekäre Finanzlage hat auch mit der
Selbstbedienungsmentalität des Präsiden-
ten zu tun. Denis Sassou-Nguesso gilt als
notorischer Kleptokrat. Unter seiner Herr-
schaft haben sich im Land Korruption und
Misswirtschaft breitgemacht. Vergangenen
Sommer beschlagnahmte der Zwergstaat
San Marino 19 Millionen Euro von pri -
vaten Konten des Präsidenten wegen des
Verdachts der Geldwäsche.
Die Präsidentenfamilie unterhält enge
Beziehungen zum Chef jener Firma, die
den angeblichen Ölfund verkündete:
ClaudeWilfrid Etoka. Der soll bei Ge-
schäften mit der staatlichen Ölgesellschaft
des Kongo übervorteilt worden sein. So
steht es in französischen Ermittlungsakten.

Die Geschichte des angeblichen Ölfunds
ist ein Lehrstück über die Schattenseiten
der Entwicklungshilfe. Klamme Staaten
hängen wie Süchtige an der Nadel ihrer
Geberländer und tun fast alles, um an noch
mehr Geld zu kommen. Allzu oft landen
die Hilfen aber nicht beim Volk, sondern
auf den Offshorekonten der herrschenden
Klasse, wie jüngst eine Studie der Welt-
bank nahelegte.
Trotzdem geben Industrieländer weiter
Millionensummen, vor allem wenn es um
den Klimaschutz geht. Die Bundesregierung
kündigte im vergangenen September an,
ihre Hilfen für Regenwälder um 250 Millio-
nen Euro aufzustocken. Bundeskanzlerin
Angela Merkel erklärte am Rande des Uno-
Klimagipfels in New York: »Es ist sehr wich-
tig, dass wir mit Blick auf die Erhaltung des
Regenwalds auch in Afrika alle Anstrengun-
gen fokussieren. Das ist dort genauso wich-
tig wie in der Amazonasregion.« Da mag
sie recht haben, aber ob das Geld immer an
den richtigen Stellen landet, ist fraglich –
wie das Beispiel der Republik Kongo zeigt.
Das Land ist nicht zu verwechseln mit
der Demokratischen Republik Kongo,
dem großen Nachbarn auf der anderen Sei-
te des gleichnamigen Flusses. Die kleinere
Republik Kongo ist größter Erdölprodu-
zent der zentralafrikanischen Wirtschafts-
gemeinschaft Cemac. Bis 2014 profitierte
das Land von hohen Ölpreisen auf dem
Weltmarkt. Der dann einsetzende Verfall
stellte die Regierung der ehemaligen fran-
zösischen Kolonie vor Probleme. Gehälter
von Staatsbediensteten etwa konnten
nicht mehr pünktlich gezahlt werden.
Denis Sassou-Nguesso, 76 Jahre alt, re-
giert die Republik Kongo mit einer Unter-
brechung seit 1979. Seine Prunksucht ist
legendär: Einmal soll er für 114 000 Euro
ein paar Schuhe aus Krokodilleder gekauft
haben. Sein Sohn Denis-Christel, Spitzna-
me »Kiki der Ölmann«, verprasste laut
Global Witness beim Shoppen in Paris und
Dubai Zehntausende Euro, die wohl aus
staatlichen Öleinnahmen stammten.
Während die Präsidentenfamilie im
Überfluss lebt, leidet die Bevölkerung un-
ter Armut und Massenarbeitslosigkeit. In
Brazzaville ragen nur wenige Hochhäuser
über die ärmlichen Viertel hinaus. Eines
davon ist die Zentrale der staatlichen Öl-
gesellschaft SNPC: zwei versetzte Halb-

80


Ausland

Millionenbluff


EntwicklungshilfeNach der Entdeckung eines angeblich riesigen Ölfelds im Regenwald versprachen


mehrere EU-Länder dem Präsidenten des Kongo viel Geld, wenn er die Umwelt
schont. Doch nun legen Recherchen nahe, dass der Kleptokrat den Fund nur vorgegaukelt hat.

Klamme Staaten hängen
wie Süchtige an der
N a d e l d e r G e b e r l ä n d e r u n d
tun fast alles für Geld.
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