Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1

unwürdigen Arbeitsbedingungen, das spä-
ter zur antifaschistischen Partisanenhymne
wurde. Hannes Wader sang sie, Tom
Waits, jetzt spielen sie die Melodie für Naf-
tali Bennett, der vor ein paar Tagen die
Leiche eines mutmaßlichen Dschihadisten
mit einer Planierraupe an der Grenze zum
Gazastreifen holen ließ, um sie in den
Verhandlungen um gefallene israelische
Soldaten zu benutzen.
Im italienischen Text heißt es: »Parti -
sanen, kommt, nehmt mich mit euch /
Denn ich fühle, der Tod ist nah«. Die isra -
elischen Zeilen gehen so: »Von Gaza ...
zum Jordantal / Wir kehren heim und wäh-
len Yamina / Wir geben ihr unsere ganze
Seele«.
Verteidigungsminister Bennett redet
von dem Kraken Iran. Er redet auf jedem
Wahlkampfstopp von dem Kraken Iran.
In israelischen Wohnzimmern, Turnhallen,
Synagogen.
Seine Krakengeschichte besagt, dass
Israel in der Vergangenheit immer nur


Tentakel bekämpft habe: die Hamas in
Gaza, die Hisbollah im Libanon. Der Kopf
sitze in Iran. Gemeinsam mit seinen Freun-
den in den USA sorge er dafür, dass der
Kopf des Kraken attackiert wird. Trumps
Deal ist Bennett allerdings nicht radikal
genug. Es kommt ihm zu oft der palästi-
nensische Staat vor und zu selten die is-
raelische Souveränität.
Bennett entdeckt einen ehemaligen
Mitarbeiter seiner Hightechfirma im Publi -
kum und erzählt, wie sie das Unterneh-
men für 145 Millionen Dollar verkauft
hätten. Applaus. Fassungsloses Lächeln.
Bennett sagt, dass er jede Art von wirt-
schaftlichen Monopolen brechen und die
Macht der Gewerkschaften schwächen
werde, und bittet die anwesenden Jugend-
lichen im Saal, nicht Jura zu studieren wie
er, sondern Mathematik.
»Unsere Feinde leben vom Öl. Wir aber
leben von Technologie, von unseren Ta-
lenten. Das Öl geht irgendwann zu Ende
und damit die Macht unserer Feinde«,

sagt er. Sein Programm in drei Sätzen
sei: Wir sichern unsere Grenzen. Wir ge-
ben keinen Zentimeter Land an die Ara-
ber ab. Wir schaffen ein wirtschaftlich star-
kes Land.
Als er geht, leert sich der Saal sofort.
Saltan bietet noch einmal an, einzelne
Fragen zu beantworten wie beim letzten
Mal. Aber es gibt keine mehr. Die Leute
haben wohl das Gefühl, alles gehört zu
haben.
Ein paar Tage zuvor hat Saltan im
Wohnzimmer seines Hauses in Mewas -
seret Zion erläutert, wie sie die müden
Israelis zur Wahl bringen. Seelenfänger
müssten am Wahltag vor den Lokalen ste-
hen, den Leuten in die Augen schauen und
sie daran erinnern, Yamina zu wählen. Sal-
tan saß im hellen Wohn zimmer zwischen
den Spielsachen seiner drei Kinder und
den Torabänden. Er wirkte gut gelaunt.
Ein bisschen wie ein Missionar.
Wie sein Chef Bennett trägt Saltan auch
bei der Arbeit Kippa. Wie Bennett ist er

DER SPIEGEL Nr. 10 / 29. 2. 2020 89


JONAS OPPERSKALSKI / DER SPIEGEL
Yamina-Politiker Saltan nahe Jerusalem: »Die Leute sind echt müde«
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