Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1

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ie Fußball-WM 2006. Ein Land
im Rausch. Ein Sommer, der zur
Legende wurde. Wenn Franz Be-
ckenbauer damals das pochende
Herz des »Sommermärchens« war, dann
war Theo Zwanziger, der geschäftsführen-
de DFB-Präsident jener Tage, das kühle
Auge: Er hatte die Zahlen im Blick, die Ver-
träge, den Apparat. Herz und Auge – sie
haben das Sommermärchen in Schwarz-
Rot-Gold möglich gemacht.
Umso mehr sieht es nun aber so aus, als
würde die Ironie des Schicksals das letzte
Kapitel bestimmen.
Am 9. März beginnt in der Schweiz der
Prozess wegen der 6,7-Millionen-Euro-
Zahlung, die sich als schwarze Wolke vor
die rot-goldene Sonne jenes Sommers ge-
schoben hat. Beckenbauer hatte die Über-
weisung an einen korrupten Funktionär
in Katar veranlasst. Doch der Kaiser der
Herzen wird auf der Anklagebank fehlen:
ausgerechnet weil er ein schwaches Herz
hat; jede Aufregung könnte ihn das Leben
kosten, sagen die Ärzte. Die Schweizer Er-
mittler lassen seinen Fall verjähren, ohne
Anklage, das hat sich schon länger abge-
zeichnet (SPIEGEL31/2019).
Nun wird, das ist so gut wie sicher, aber
auch Zwanziger nicht im Bundesstraf -
gericht von Bellinzona auftauchen. Er hat
es – ja tatsächlich – an den Augen. Zwan-
ziger hat sich Mitte Februar operieren las-
sen; Netzhautablösung links, Netzhaut-
loch rechts, grauer Star auf beiden Seiten.
Danach musste er noch ein paar Tage in
der Frankfurter Uniklinik bleiben und seit-
dem regelmäßig zur Nachsorge. Fliegen
darf er in den kommenden Wochen nicht,
lesen soll er nicht, also auch keine Akten.
Dass er sich in so einem Zustand 600 Kilo -
meter weit in einen Gerichtssaal kutschie-
ren lässt, ist nach Stand der Dinge ausge-
schlossen.
Die Probleme mit den Augen hat sein
Anwalt dem Gericht inzwischen gemeldet.
Ob die anderen deutschen Angeklagten,
der damalige DFB-Generalsekretär Horst
R. Schmidt und Ex-DFB-Präsident Wolf-
gang Niersbach, sich in die Schweiz bemü-
hen, ist ebenso fraglich. Schmidt war nach
SPIEGEL-Informationen auch schon beim
Arzt und wird die Reise wohl von seinem
Gesundheitszustand abhängig machen.
In die Schweiz zwingen kann die drei
ohnehin niemand, deshalb hatte das Ge-
richt Zwanziger sogar freies Geleit zuge -
sichert – für den Prozess und nach dem
Urteil. Sonst hätte er nicht einmal darüber
nachgedacht zu kommen, ganz egal, wie
es um seine Augen steht. Auch Schmidt
hat freies Geleit ausgehandelt, wie sein
Anwalt bestätigt. Bei Niersbach wird es
wohl das Gleiche sein, seine Anwältin sagt
dazu nichts.
Alles, was die DFB-Honoratioren also
in der Schweiz zu fürchten hätten, wäre


das Blitzlichtgewitter der Presse, die harte
Erinnerung, dass ihr Lebenswerk beschä-
digt ist, und ein Urteil, mit dem es mög -
licherweise auch so bleibt. Ob einer sich
das antut?
Die Schweizer Anklage wirft der alten
Funktionärsriege Betrug auf Kosten des
Verbandes vor – im Fall Niersbach Beihil-
fe. Die Herren vom DFB sollen 2005 aus
der Verbandskasse 6,7 Millionen Euro ge-
nommen haben, um einen Kredit zu tilgen.
Den hatte WM-Organisationschef Becken-
bauer 2002 privat aufgenommen, um das
Geld in einer Geheimoperation an den
notorisch korrupten Fifa-Funktionär Mo-
hamed Bin Hammam in Katar zu schicken.
Warum, das konnte bis heute nicht geklärt
werden, auch die Schweizer knackten das
Rätsel nicht.
Weil aber das Schlamassel 2005 kurz
vor der Heim-WM unter der Decke blei-

ben sollte, kaschierten die Funktionäre die
Rückzahlung des Kredits nach Ansicht der
Ermittler mit einer Legende. Der DFB, so
hieß es, beteilige sich mit 6,7 Millionen an
einer Kulturgala, die der Weltverband Fifa
zum WM-Auftakt veranstalten wollte. So
wurde das auch den eigenen Aufsehern
aufgetischt.
Das Geld floss dann auch tatsächlich
an die Fifa nach Zürich. Von dort aber
ging es noch am selben Tag weiter an
Becken bauers Kreditgeber, den französi-
schen Mil liardär Robert Louis-Dreyfus.
Wegen der Umleitung über Zürich küm-
mert sich heute die Schweizer Justiz um
den Fall. Angeklagt ist auch der frühere
Fifa-Generalsekretär Urs Linsi. Er hatte
dafür gesorgt, dass das Geld an Louis-
Dreyfus weiterlief.
Damit landet nun ein urdeutscher Skan-
dal in einem Schweizer Gerichtssaal, und
auch diese Pointe passt: so verwirrend
nämlich die Geldströme vor der WM, so
groß der juristische Wirrwarr heute.

Die Ersten, die ermittelten, waren noch
deutsche Ankläger. Allerdings scheiterten
die Frankfurter Staatsanwälte 2018 mit
ihrem Versuch, Niersbach, Schmidt und
Zwanziger vor Gericht zu bringen. Das
Landgericht lehnte eine Anklage wegen
Steuerhinterziehung ab; der DFB hatte die
Millionen seinerzeit von der Steuer abge-
setzt. Erst im August 2019 sah es das Ober-
landesgericht anders, ließ die Anklage
doch noch zu.
Inzwischen aber hatten die Schweizer
ein Verfahren eröffnet, und sie waren
schneller fertig, weil die Zeit knapp wurde:
Wenn bis zum 27. April kein Urteil vor-
liegt, ist der Fall in der Schweiz verjährt.
Die Frankfurter warten nun offenbar
erst mal ab, wie die Sache in Bellinzona
ausgeht. Zwischen der Schweiz und
Deutschland gilt nämlich, dass keiner zwei-
mal wegen derselben Sache vor Gericht
stehen darf. »Komplizierte Rechtsfrage«,
sagen die Frankfurter Ermittler, wenn man
sie darauf anspricht. Zwar sind die Vor-
würfe – Steuerhinterziehung in Deutsch-
land, Betrug in der Schweiz – nicht exakt
gleich. Trotzdem gut möglich, dass es nach
einem Schweizer Urteil in Frankfurt nichts
mehr zu verhandeln gibt. Und als wäre die
Lage damit nicht schon verzwickt genug:
Ein Schuldspruch aus der Schweiz würde
in Deutschland möglicherweise nicht voll-
streckt werden. So sieht das zumindest die
Zwanziger-Seite.
Frustrierte Fahnder, ein verkorkstes Ver-
fahren. Dass in dieser Lage ausgerechnet
die Frage aller Fragen geklärt wird, damit
rechnet ohnehin keiner mehr – warum
der Kaiser Millionen nach Katar schickte.
Beckenbauers Version, er habe dem Fifa-
Mann Bin Hammam das Geld zahlen müs-
sen, um sich im Gegenzug von der Fifa
250 Millionen Franken Zuschuss für die
WM zu sichern, steht wacklig neben der
genauso schwachen Theorie, er habe mit
dem Geld eine Wiederwahl von Fifa-Chef
Sepp Blatter unterstützt. Was die Ermittler
auch nicht ausschließen wollen: dass es
darum ging, zwei Jahre nach dem WM-Zu-
schlag für Deutschland bestochene Wahl-
männer zu bezahlen.
Die Wahrheit kennen Bin Hammam –
gut abgeschirmt in Katar – und Becken-
bauer – gut beschützt von seinen Ärzten.
Der Kaiser hat im vergangenen Jahr fünf
Atteste vorgelegt, von seinem Hausarzt
und von einer Klinik. Demnach muss er
jede Aufregung vermeiden und schafft es
auch nicht mehr, im Gericht einer Befra-
gung mit wachem Verstand zu folgen. Aus-
sicht auf Besserung? Angeblich keine.
Zwanziger hat das angezweifelt, auch
die Bundesanwälte wollten nicht kampf-
los aufgeben. Sie stellten im August ein
Rechtshilfeersuchen nach Österreich, wo
Beckenbauer lebt. Ein Amtsarzt sollte ihn
untersuchen, spätestens nach drei Mona-

DER SPIEGEL Nr. 10 / 29. 2. 2020 93


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UWE ANSPACH / PICTURE ALLIANCE / DPA
Idol Beckenbauer im September 2019
»Eventualiter Anstifter«
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