Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1
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Sport

DER SPIEGEL Nr. 10 / 29. 2. 2020

mal hatte sich jedoch eine Schneewalze
weit oberhalb der Baumgrenze gelöst und
war mit einer solchen Wucht herabge-
stürzt, dass Tannen und Fichten abknick-
ten wie Mikadostäbchen. Zwei Touren -
geher wurden mitgerissen und kamen ums
Leben. Eines der Opfer war acht Meter
tief verschüttet worden.
Wegen der Risiken im Gelände prakti-
zieren vor allem unerfahrene Tourengeher
ihren Sport lieber in den Skigebieten. Im
Gänsemarsch marschieren sie am Rand
der gesicherten Pisten den Berg hinauf.
Um dem Rummel auf den Hütten und
dem gefährlichen Gegenverkehr durch die
normalen Skiläufer zu entgehen, starten
viele erst mit dem Aufstieg, wenn die Lifte
am Abend geschlossen haben. Mit Stirn-
lampen ausgestattet, wirken Sportler in
der Finsternis wie Glühwürmchen.
Martin Rothballer, Betriebsleiter der
Ehrwalder Almbahn, nennt die Pistenwan-
derer etwas verächtlich »Krabbler«. Sie
sind für ihn ein Ärgernis. Zum einen un-
terlaufen sie sein Geschäftsmodell, weil
sie zwar die Infrastruktur nutzen, aber kei-
ne Liftkarte kaufen. Bei ihren nächtlichen
Abfahrten ramponieren die Sportler zu-
dem die bereits für den nächsten Tag prä-
parierten Hänge.
»Im Prinzip ist das Sachbeschädigung«,
schimpft Rothballer. Seine Mitarbeiter
sind angewiesen, die Skibergsteiger darauf
hinzuweisen. »Aber wenn wir kommen,
verstecken die sich im Wald.«
Rothballer ist mit einem Schneemobil
zu einer Liftstation hinaufgefahren. Er hat
dort beleuchtete Warnschilder aufstellen
lassen, die darauf hinweisen, dass nachts
auf den Pisten Raupenfahrzeuge arbeiten.
Die Maschinen werden im steilen Gelände
mit Trossen gesichert, die an Verankerun-
gen am Pistenrand eingehängt sind. Wenn

die in der Dunkelheit kaum zu erkennen-
den Stahlseile gespannt sind, bilden sie für
abfahrende Skiläufer ein gefährliches Hin-
dernis. Es gab schon zahlreiche schwere
Unfälle.
Vor einigen Wochen griff ein Skiberg-
steiger in einem Skigebiet bei Innsbruck
einen Raupenfahrer an und ohrfeigte ihn.
Der Fall machte Schlagzeilen. Es wird
nun in Österreich darüber debattiert, in
allen Skigebieten Routen für Tourengeher
durch gesichertes Gelände auszuweisen,
um sie von den regulären Pisten fernzu-
halten.
Regina Poberschnigg, die Chefin der
Ehrwalder Bergrettung, sagt, die Einsätze
hätten in den vergangenen Jahren deutlich
zugenommen. »Weil immer mehr Leute
in die Berge gehen, passiert eben auch
mehr.«
Sie betreibt in Ehrwald eine Ski- und
Bergsportschule. Ihre Mitarbeiter erleben
neuerdings immer mehr Kunden, die
kaum Erfahrung haben mit Skitouren, sich
aber trotzdem die Steilabfahrt durch die
Neue Welt zutrauen. »Die kommen frisch
aus ihrem Büro und rennen einfach los,
egal wie das Wetter und die Lawinensitua-
tion ist. Ein Wahnsinn.«
Gerade die Unbedarften und Unver-
nünftigen wiegten sich in Sicherheit, weil
sie mit ihrem Handy ja jederzeit die Berg-
rettung anrufen könnten, falls etwas pas-
siere. »Wir sind für die eine Art Shuttle-
service«, sagt Poberschnigg.
Vor einigen Wochen mussten die Ehr-
walder Bergretter ausrücken, um einen
Tourengeher einzusammeln, der sich ver-
irrt hatte. Als sie ihn gefunden hatten, be-
schwerte sich der Mann bei den Helfern,
warum sie so lange gebraucht hätten.
Gerhard Pfeil

Schneefernerkopf,
2875 m

Abseilstelle

Freeride-Abfahrt
»Neue Welt«
nahe der Zugspitze
im Wettersteingebirge

PETER ALBERT/ WWW.STEILE-WELT.DE

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag,
288 Seiten mit 60 Abb. · € 29,99 (D)
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SPIEGEL-Redakteure haben
zwanzig Holocaust-Überlebende auf
der ganzen Welt besucht, um sie
nach ihren Erfahrungen in der
Todesfabrik Auschwitz zu befragen.
Aus den Gesprächen entstanden
umfangreiche Protokolle über eine
Zeit kaum vorstellbarer Ängste und
Leiden. Für die nachfolgenden
Generationen sind sie die letzten
Zeitzeugen.

Die letzten


Zeugen von


Auschwitz

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