Frankfurter Allgemeine Zeitung - 14.03.2020

(Nancy Kaufman) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Finanzen SAMSTAG, 14.MÄRZ 2020·NR.63·SEITE 27


J


ede Krise istanders.Warenesin
der Finanzkrise ab 2008vorallem
internationalvernetzteInstitute,
wie Großbanken oder Landesban-
ken, diewegenihrer Investments inris-
kanteWertpapiereinSchieflagegerie ten
odergerettetwerden mussten, könntees
in der aktuellen Krisevorallem die auf
Firmenkundenspezialisiertenkleineren
und mittleren Geldhäuser erwischen.
Aber auchGroßbanken wie Deutsche
Bank und Commerzbankkönnten Proble-
me bekommen. Das wird hoffentlich
nichtgleichzuInsolvenzen führen,weil
Banken seit der Finanzkrisefleißig notlei-
dende Krediteabgebaut und ihr Eigenka-
pitalgestärkt haben. Zudem sindRet-
tungsaktionen vonZentralbanken und
Staaten denkbar,falls ein systemrelevan-
tesInstitutinSchieflagegerät –wobeiRet-
tungen mitSteuergeld jedochdurch die
neuen Bankenregelnstarkeingeschränkt
wurden.Wenn alleStrickereißen und die
Rettung einer insolvenzbedrohten Bank
fehlschlägt, bleibtfür Sparer und Anleger
die Einlagensicherung als letztes Auffang-
netz. Bisherkamdiese letzteBrandmauer
nur selten zum Einsatz, zudem handelte
es sichinden Fällen um kleinere Banken
mit nurwenig Privatkundschaft.
Das System dergesetzlichen Einlagen-
sicherung istEU-weitvereinheitlichtwor-
den undsteht vorweiterenReformen im
Zuge der europäischen Bankenunion. In
Deutschland haben die privaten Banken
zudem dieRegeln für ihrverbandseigenes
freiwilliges Schutzsystem geändert,wo-
bei die Höhe der abgesichertenBeträge
herabgesetzt wirdund der Kreis der abge-
sichertenKundengruppen engergezogen
wird.FürPrivatkunden deutscher Ban-
kensind über diegesetzlicheMindestsum-
me von100 000 Eurohinaus aber immer
nochastronomischhohe Einlagesummen
abgesichert–zumindestauf demPapier.
Für Aktionäreist das Schutzniveau übri-
gens deutlichniedriger als für Sparer.Ein
Blickindie Details dieserRegeln für den
wohl größten anzunehmendenFinanzun-
fall enthüllt wichtigeEinblicke für Kun-
denvonBanken undWertpapierdienst-
leistern –die nicht nur beruhigend sind.

Die Grundregeln für den Schutz

Den Basisschutz für Sparer und Anleger
stellt diegesetzliche Einlagensicherung
in Höhevon100 000 jeKunde dar.Die
Summe gilt für alle Spareinlagen eines
Sparersbei einem Institut.Für seineEin-
lagen beiweiteren Institutengenießt die-
ser Sparer jeweils SchutzinHöhe vonwei-
teren100 000 Euro.Vorübergehendkann
diese Sicherungsgrenze auf 500 000 Euro
steigen, um Härtefälle zuvermeiden. Das
gilt etwafür Bankkunden, diekür zli ch
eineAbfindung ihres Arbeitgeberserhal-
tenoder ihr Eigenheimverkaufthaben.
Die erhöhte Deckungssumme gilt für alle

großen Guthaben, die mit persönlichen
Ereignissen des Bankkunden zu tun ha-
ben,etwaRuhestand, Entlassung, Heirat,
Geburtoder Tod. So sind zum Beispiel
Summen aus derAuszahlungvonVersi-
cherungleistungengeschützt.Der erhöh-
te Schutz gilt allerdings nur bisAblauf
vonsechs Monaten nachGutschriftder
Summe. Bankkunden müssen sichinner-
halb dieserZeit alsorechtzeitig nachei-
ner Anlagemöglichkeit umschauen oder
das Geld auf mehrereBankenverteilen,
damit der Betragweiter vollständigvon
der Einlagensicherung abgedeckt wird.
Der Begriff der gesetzlichen Einlagensi-
cherung istmissverständlich, da es sich
um kein staatliches System handelt. Das
System wirdstattdessenvonden Banken
organisiert und mit Geld ausgestattet–
etwader Einlagensicherungsfonds und
die Entschädigungseinrichtung deutscher
Banken. Die gesetzlichen Vorschriften
zur Einlagensicherunggeben dabei ledig-
lichdas Mindestniveau und die Artdes
Schutzesvor. Das Notfallsystem kann ein-
zelne kleinereund mittlere Banken auf-
fangen,wäre aber bei einer Krise desge-
samtenFinanzsystems oder demFall ei-
ner Großbank wohl überfordertund
brauchtezusätzlicheStützen. Die beiden
Finanzverbünde der Sparkassen und der
Genossenschaftsbanken (etwaVolks-
und Raiffeisenbanken) schützendie Ein-
lagen ihrerKunden nacheinem anderen
Prinzip. Sie haben jeweils getrenntever-
bandseigene Schutzsysteme. Deren An-
satz besteht darin, Insolvenzen durch Fu-
sionen kranker Banken mitgesunden In-
stitutenetwa aus derNachbarregion zu
verhindern.

Welche Erfahrungen es gibt

Deutsche Sparerwarenbisher nicht in
der Breitevon Insolvenzen heimischer
Banken betroffen. Für die Jahreab2002
hat die Bafin zwar in 13Fällen und damit
im Durchschnittfastein Mal in jedem
Jahr ein Moratorium über eine Bankver-
hängt,worauf meistein Entschädigungs-
fall folgte. Die betroffenen Institutewa-
renmeistTochtergesellschaftenausländi-
scher Banken, etwa die Deutschland-
Tochter deramerikanischen Bank Leh-
man Brothers, deren Pleiteden Höhe-
punktder Finanzkrise im Jahr 2008 dar-
stellte. Zuletzt traf es 2018 die Dero
Bank,eine auf kleine und mittlereUnter-
nehmen spezialisierte Investmentbank so-
wie die Maple Bank,die 2016 über um-
strittene Aktiengeschäftestolper te.Inbei-
denFällenwarenhauptsächlichUnter-
nehmen und institutionelleKunden be-
trof fen.
Anders sah es im Insolvenzfall der is-
ländischen BankKaupthing aus, bei der
rund 30 000 deutscheSparer Guthaben
angelegt hatten, um in den Genussbeson-
ders hoher Zinsenzukommen. Als das In-

stitutder Finanzkrise zum Opferfiel, folg-
te eine Zitterpartie, die zumindestfür die
meistenSparer am Ende gut ausging. Da
es sichumein ausländisches Institut han-
delte,konnte die deutsche Einlagensiche-
rung hier nichts ausrichten. Die Mecha-
nismenvondamals sind aber heutenoch
lehrreich.Weil das kleine Island heftig
vonder Finanzkrise erwischt wurde,wei-
gertesichdie dortigeRegierung, den deut-
schen SparernEntschädigungen aus der
isländischen Einlagensicherung auszuzah-
len. Die Begründung: Das sei den nationa-
len Steuerzahlernnicht zuzumuten. Als
sichschließlichherausstellte, dassinder
Insolvenzmasse nochgenügend Mittel
vorhanden waren, wurden die meisten
Anleger am Ende dochnochentschädigt.
Auch aktuell boomt das Geschäftmit
der Vermittlung deutscher Spareinlagen
ins Ausland,weil hiesige Bankenkaum
nochZinsen auf Guthaben bieten. So
führtdas Portal Weltsparen Angebote
vonBanken aus Italien,Portugal oderRu-
mänien. Deren Bonität (Rating)fällt mit
„BBB“ nichtgerade im oberen Bereich
aus. Allerdings betont Weltsparen, dass
seinePartnerbanken nicht nur über eine
gleichhohe gesetzliche Einlagensiche-
rung verfügten wie in Deutschland, son-
dernprofitabler wirtschaftete nund über
höhereEigenkapitalpufferverfügten als
ihredeutschenKonkurrenten.

Wasbei einem Moratorium passiert
Als Vorbote einer Bankinsolvenz istdas
Moratorium zu betrachten,weil es erst
verhängt wird,wenn sanftere Maßnah-
men der Bankenaufsichtgescheitertsind.
Eine EntschädigungvonBankkunden ist
erst nachAblauf eines mehrwöchigen Mo-
rato riums möglich, das die Bundesanstalt
für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin)
über eine insolvenzbedrohteBankver-
hängt hat. Dabei handelt es sichumeinen
Zahlungsstopp, so dassBankkundenwäh-
rend dieser Sperre kein Geld mehrvon
der Bank erhalten undkeine Überweisun-
genvon ihrenKonten mehrvornehmen
können. Zudem werden Kreditenicht
mehr ausgezahlt, selbstwenn sie schonge-
nehmigt wurden. Schuldner müssen je-
dochZins undTilgung alter Kreditewei-
terleisten. Frisches Geld darfeine Bank
unter Moratorium jedochnicht anneh-
men. Die Girokonten derKundenstehen
erst dann wieder für Gehaltseingänge
oderZahlung der Miete zur Verfügung,
wenn sie auf ein anderes Institut übertra-
genwurden.

Worauf Aktionäreachtensollten

Weniger bekannt istdie Tatsache, dasses
auchfür Aktionäreeine Einlagensiche-
rung gibt, obwohl die Aktien im Depot
des Anlegersnicht Teil desVermögens ei-
ner Bank sind. Sie bedürfendaher auf den
ersten Blickkeines besonderen Schutzes,

denn die Bank mussdie verwahrtenAk-
tien jederzeit herausgeben,wenn der An-
leger sie dazu auffordert. SelbstimInsol-
venzfallkann der Anlegerverlangen, dass
die Bank die für ihnverwahrtenAktien
herausgibt oder das Depotauf ein ande-
resInstitut überträgt.Ein über die Bank
verhängter Zahlungsstopp steht dem
nicht entgegen.Rechtli ch istdie Sache
also eindeutig,faktischjedochkannesim
Fall einer Insolvenz dazukommen, dass
die Banketwa aufgrund desZusammen-
bruchs ihres Geschäftsbetriebsgarnicht
in der Lageist,die für ihreKundenver-
wahrtenAktien herauszurücken. Zudem
können Banken dievonihnenverwahr-
tenWertpapiereverpfänden oderverlei-
hen,wasdie Herausgabe erschwert. Für
dieseFälle gibt esVorschriften zur Anle-
gerentschädigung.
Istein Institut pflichtwidrig nicht in
der Lage, im Eigentum seinerKunden be-
findliche und für diesenverwahrte Wert-
papiereherauszugeben, erfolgt eine Ent-
schädigung imRahmen dergesetzlichen
Einlagensicherung. Allerdings istder
Schutzumfang fürWertpapierdepotsweit
niedriger als die 100 000 Eurofür Konto-
guthaben. So schützen die Entschädi-
gungseinrichtungen nur 90 Prozent der
Verbindlichkeitenaus Wertpapiergeschäf-
ten, wobei zudem eine Höchstgrenze von
20 000 EurojeKunde gilt.Geschützt sind
nur Privatanleger und kleinereUnterneh-
men. Handelt es sichbeim Einleger dage-
genumein mittleres odergroßesUnter-
nehmen, isteine Entschädigung fürVer-
bindlichkeiten ausWertpapiergeschäften
ausgeschlossen.Für Unternehmenwäre
derHöchstbetragvonnur 20 000wohloh-
nehinkein ausreichender Schutz. Selbst
für Wohlhabende oder für Anleger mit be-
sondershohem Aktienanteil imVermö-
genwirddas schon eng. Eine Maßnahme
für diese Gruppekönntesein, auchdie
Aktiendepots bis zur Höhe der Siche-
rungsgrenze auf unterschiedliche Depot-
bankenzuverteilen –was natürlichzuhö-
herenKosten führenkann.

Schließfachbesuchnur mitTermin

DieBafin weistauf ihrerIntern etseit edar-
auf hin, dassauchMietervon Bank-
schließfächernzunächstvor Problemen
stehen. Denn für denFall eines Moratori-
ums ordnetdie Behörderegelmäßig die
Schließungder Bankgebäude für denKun-
denverkehr an. In derRegelgenehmigt
die Bafin Anträgeder Banken, ihre
Schließfächer für dieKunden öffnen zu
dürfen. Betroffene müsstendann mit ih-
remInstitut einen individuellenTermin
vereinbaren, um Zugang zu ihrem Schließ-
fach zu erhalten. Da Mieter für denFall ei-
ner Bankinsolvenz einAussonderungs-
recht an den Gegenständen im Safebesit-
zen, istzumindestjuristischdie Sache
klar –trotzdemsicherkeine schöne Erfah-
rung.

DIEVERMÖGENSFRAGE


Verschlossene Türen:Wenn Banken dichtmachen müssen,stehenKundenvorSchwierigkeiten. FotoVario Images

Schutzschirmmit Schwächen


In Krisen sorgensichSparerund Anlegerumihr beiBanken geparktesVermögen.Die Regeln für


Ents chädigungenbei Pleitensindkomp liziert. Kunden solltenRisikenstreuen–auch weil die


Einlagensicherung AktionäregegenüberSparern benachteilig t.VonMarkFehr


BRIEFE AN DIE HERAUSGEBER


ZumArtikel „Wir müssen das Spiel än-
dern“vonAndreas Kilb (F.A.Z.vom14.
Februar): Der Autorstelltsichdurch de-
tailreiche Schilderung derVerhältnisse
am Ende derWeimarerZeit zunächst
als Geschichtskenner dar und erläutert,
wie Kommunistenund Nationalsozialis-
ten, mit natürlichunterschiedlicher Ziel-
richtung, das damaligedemokratische
System zu überwindenversuchten. An
dieser Schilderung istfalsch, dasssich
die Nationalsozialistenscheindemokra-
tischer Methoden bedienten, dieKom-
munisten aber revolutionärer.Richtig
ist, dassbeide,Kommunisten undNatio-
nalsozialisten, das Mittel der Gewalt
wie der Scheindemokratie nutzten. Da-
nachversucht der Autor eineVerbin-
dung zwischen denWeimarerVerhält-
nissen und der Situation im heutigen
Deutschland herzustellen.Eine solche
Verknüpfung istaber unzulässig und ab-
solut unhistorisch.
Anschließend behauptetder Autor:
„Denndie Linke ...ist trotzihrer Vorge-
schichtekeine systemfeindliche Kraft
...Die Sozialisten sindverkappte Sozi-
aldemokraten.“ Im Parteiprogramm der
Linken, beschlossen im Oktober 2011 in
Erfurt, heißt es:„Wir kämpfenfür einen

Richtungswechsel derPolitik, der den
Wegzueiner grundlegendenUmgestal-
tung der Gesellschaftöffnet, die denKa-
pitalismus überwindet.“Die Soziale
Marktwirtschaftist die Basis unseresge-
sellschaftlichen Zusammenlebens und
die Basis des freiheitlich-demokrati-
schenRechtsstaates. Indem die Linken
die Soziale Marktwirtschaftund damit
auchden Rechtsstaat unserer Prägung
eliminierenwollen, sind sie die eigentli-
chen Gegner diesesSystems. Die Linke
istder Systemgegner schlechthin.
Andreas Kilb sieht jedoch den eigent-
lichen Systemgegner in der„Antipartei“
AfD,welchegegendie Flüchtlingspoli-
tik,die Klimaschutzpolitik, für denAus-
stieg aus dem Euround dieZerstörung
des „Systems Merkel“ sei.Wenn das die
inhaltlichenVorwürfe gegendie AfD
sind und damit ihreangebliche System-
gegnerschaftbegründetwird, dann
kann man dem Lesergetros tüberlassen,
sichselbstdas Urteil zu bilden,werBe-
fürworter undwerGegner unserer frei-
heitlich-demokratischen Grundord-
nung istund werdurch heimliche oder
offene Kumpanei mit dem program-
matischausgewiesenen Systemgegner
„Die Linke“ dieses System untergräbt.

DR.KARL-WERNERAUGSBERG,WETZLAR

Im Artikel „Kritik anUrteil zurSterbe-
hilfe“ (F.A.Z.vom9.März) hat sichBun-
desjustizministerin Lambrecht „über-
zeugt“gezeigt, „dassder assistierte Sui-
zid keine gesellschaftlicheNormalität
werden dürfe“. Die Justizministerin
weiß um die normativeKraft des Fakti-
schen. Erinnertsei an dieAufweichung
des Abtreibungsverbotes: Anfangs
sprachman vonUnterbrechung der
Schwangerschaft(die Wortwahl ließ an
eine Bahnfahrtdenken, di eman nach ei-
nem Zwischenaufenthalt fortsetzt);
dann wurde der Eingriff selber nachBe-
ratung alsrechtswidrig, aberstraffrei
festgeschrieben; mittlerweile wirddie

Abtreibung (in Deutschland um die
100 000Fälle jährlich, die Dunkelziffer
nicht mitgerechnet) als Menschenrecht
propagiert. Eine ähnliche Aushöhlung
mit der „Ehe für alle“.
Noch sind diePräambel des Grundge-
setzes und dessen Artikel1nicht förm-
lichaußer Kraftgesetzt;aber rech tlich
und sozial hat sichdas Landweit von
den Grundlagen entfernt, dievonden
Mütternund Vätern unseres Grundge-
setzesvormehr als siebzig Jahren erar-
beitet worden sind–als Antwortauf die
Nationalsozialisten.

DR.NORBERTOHLER,HORBEN

Der am 22.Februar in derF.A.Z. veröf-
fentlichteLeserbrief des ukrainischen
Botschafters in Deutschland machteauf
sichaufmerksam: Darin wurde der Deut-
sche Bundestagaufgerufen, denMassen-
hunger in der UdSSR zu Beginn der drei-
ßiger Jahredes 20. Jahrhunderts als Ge-
nozid am ukrainischenVolk anzuerken-
nen. Nicht alle Leserinnen und Leser
dieserZeitungwerden wissen,worum
genau es sichdabei handelt.Gehen wir
also auf dasFaktologische in dieserFra-
ge ein.
Historische Dokumentebelegen,
dassinfolgeder Hungersnot, die
1932/1933weiteTeile der UdSSR traf,
über sieben Millionen Menschen ums
Lebenkamen (darunter zirka 2,5 Millio-
nen imrussischenTeil des Landes und
zirka 1,5 Millionen auf dem kasa-
chischen Gebiet). Der Hungerwarmas-
senhaftund nicht selektiv.Erbegann
mit einerverheerenden Dürre und Miss-
ernte, die sich zeitlichmit außerordentli-
chen Zwangskollektivierungsmaßnah-
men der Sowjetregierung überlappten.
Bei derUmsetzung dieser Maßnahmen
wurde in ausnahmslos allenAgrargebie-
tender UdSSR hartdurchgegriffen. In
der Folgeereiltedie Hungersnotnicht
nur die Ukraine, sondernauchden Sü-
den Weißrusslands, dasWolga-Gebiet,
Kasachstan, dieRegionen Don undKu-
ban, den Südkaukasus, den Südural und
Westsibirien.Neben Ukrainernhunger-
tenund starbenRuss en, Weißrussen,Ta-
taren, Baschkiren,Kasachen,Tschuwa-
schen,Wolga-Deutsche,Vertreter ande-
rerNationalitäten.
Die Motivation für die Aktionen, die
zum Hungertodführten, warbreitgefä-
chert. Der Klassenkampfgegenwohlha-
bende Bauern(Kulaken) solltefortge-
führtwerden. Manwolltedie Landwirt-
schaftunterstaatlicheKontrolle brin-
gen. Auslandskredite, die man für An-
kauf ausländischer Industrieanlagen auf-
genommen hatte, harrten einer De-
ckung.Auch musstedie wachsendestäd-
tische Bevölkerung mitNahrungsmit-
teln versorgtwerden, wassichange-
sichts schrumpfender Getreideanbauflä-
chen als drängende Aufgabe erwies. Es
steht außerFrage, dassessichbei der
Hungersnotumeine sch recklicheTragö-

die handelte, die landesweit Millionen
vonMenschen in denTodriss. Es ist
abergenauso offensichtlich, dassdurch
die gewaltsame Getreidebeschlagnah-
me bei BauernkeinevorsätzlicheAus-
merzung einer einzelnenNationalität
bezweckt wurde. Das gilt auchfür die
Bevölkerung der Ukraine, die zudem
nie monoethnisch, sondernstets multi-
nationalwar.
Multinationalwarauchdie Sowjetre-
gierung besetzt.Ihr vorzuwerfen, ausge-
rech netdie ukrainische Bevölkerungge-
hasst zu haben, istzumindestbizarr. Be-
kannt istaußerdem, dassdie Übergriffe
sichaus dem übermäßigen Eifer der Lo-
kalbehörden, auchder ukrainischenStel-
len, ergaben, den sie bei derUmsetzung
derAnweisungenausderZentralean
den Taglegten. Erinnertsei bloß an die
Verord nung desVolkskommissariats-
rates der Ukrainischen Sowjetrepublik
vom6.Dezember 1932 zur Bekämpfung
der Sabotage bei Getreidebeschaffung,
unterzeichnetvom Vorsitzenden dieser
BehördeW. Tschubar.
Fehler und tragische Auswirkungen
der Hungersnotinder UdSSR wurden
bereits 1933 offiziell anerkannt.Die
Sowjetführungorganisierteeinegroßan-
gelegteNahrungsmittelhilfefür dieRe-
gionen, die am meistendurch die Hun-
gersnotgetroffen wurden, einschließ-
lichder Ukraine.
Unzulässig und unanständig istes,
die für die zahlreichen sowjetischenVöl-
kergemeinsameTragödie der Hungers-
notals einegezielteAusmerzung einer
einzelnen Bevölkerungsgruppe auf-
grund derenethnischerZugehörigkeit
dazustellen und sichdabei über die
AbermillionenvonOpfer nandererNa-
tionalitäten hinwegzusetzen. Auf diese
Art undWeise, die mit einem objekti-
venhistorischen Ansatznichts zu tun
hat, bedient man diePolitik jener Kräfte
in der Ukraine, die antirussischeStim-
mungen und Nationalismusschüren.
Der Versuch, in dieses schmutzigeSpiel
die internationale Gemeinschafthinein-
zuziehen, istunter allerWürde.

SERGEJ J. NETSCHAJEW,AUßERORDENTLI-
CHER UNDBEVOLLMÄCHTIGTERBOTSCHAF-
TER DER RUSSISCHEN FÖDERATIONINDER
BUNDESREPUBLIKDEUTSCHLAND, BERLIN

Lese rWernerProstkritisiertinseinem
Leserbrief in derF.A.Z. vom22. Februar
das gegenwärtig eGesundheitssystem in
seiner Zweiteilung ingesetzliche und
privateKrankenversicherungen als un-
gerecht.Dazu führterals Begründung
an, dass„Sonderlasten, wie zum Bei-
spiel für alteMenschen,Familien, Mi-
granten oder auchfür Krankheiten in
der GKV sozialisiertwerden,während
PKV-Versicherte nur für ihr eigenes Risi-
ko zahlten.“ Dazu istanzumerken, dass
sichdie Privatversicherten sehrwohl an
der Finanzierung desgesamten Gesund-
heitssystems beteiligen. Denn zum ei-
nen tragen sie aufgrund ihrer einkom-
mensstärkerenMitglieder überpropor-
tional zumsteuerfinanziertenBundeszu-

schussinHöhe vonjährlichEuro14,5
Milliarden Eurobei. Zum anderen tra-
gendie etwa zehn Prozent Privatversi-
cherten über die höhereHonorierung
der Leistungserbringerrund 20 Prozent
der gesamten Gesundheitskosten. Das
heißt, die privat Krankenversicherten
zahlenkeineswegs nurfür ihr eigenes Ri-
siko, sonderntragensubstantiell zurSta-
bilisierung des Gesundheitssystems bei.
Dassdie PKV durchdie Bildungvon
individuellen Altersrückstellungen auch
demographiefester istals die GKV,die
im Alter steigende Gesundheitskosten
nur kurzfristig unter den jeweiligen Bei-
tragszahlernumverteilt,sei nuramRan-
de erwähnt.

FRANKZINTEL,ZWINGENBERG/BERGSTRAßE

Kommunistenund Nationalsozialisten


Die Kraft desFaktischen


Zumindestbizarr


Stützendes Gesundheitssystems

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