Frankfurter Allgemeine Zeitung - 14.03.2020

(Nancy Kaufman) #1

SEITE 32·SAMSTAG, 14.MÄRZ2020·NR.63 Sport FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


G


uteBesserung,Rudy Gobert.
Der französische Basketball-
prof iist der Mann, der „aus
Versehen Amerikagerettethaben
könnte“, wie der „TorontoStar“
schreibt, ein „trotteliger Held“.Und
zwar,weil er sichvor einigenTagen
wie ein, Entschuldigung,geht aber
nicht anders,Vollidiotbenahm.Und
alle Aufnahmegeräteund Mikrofone
betatschte, dievorihm auf demTisch
lagen bei einer Presserunde. DasVi-
rusals Vorlagefür einen „prank“, wie
der Amerikaner sagt, einenStreich.
Selten sowenig gelacht.Gobertver-
ging es auchrecht zügig, als er derje-
nigewar,der positivauf Coronagetes-
tetwurde und damit der NBAden Ste-
cker zog. Die Ligasetzte den Spielbe-
trieb aus und zeigtedamit demRest
der Sportwelt, wie schnell Entschei-
dungenimZweifelgetroffenwerden
können.UndGobert? Meldete sich
aus der Quarantäne:„Als Er stes bitte
ichalle um Entschuldigung, die ich
gefährdethabe. Ichwar sorglos, es
gibt keine Ausrede. Ichhoffe,meine
Geschichtedient alsWarnung, und je-
dernimmt das nun ernst. Ichwerde al-
les tun,wasinmeiner Machtsteht,
um mit meinem Beispiel anderen
eine Lehrezusein und dieVerbrei-
tung desViruszuverhindern. Ichun-
terstütze jeden, alles zu unterneh-
men, um sicher undgesund zu blei-
ben. Liebe.“ Gutgesagt, Monsieur
Gobert. Liebe.UndHändewaschen.

CHAPEAU


W


as istlos, Mann? Beispiel
Carlos Cordeiro. Bis Don-
nerstagnacht noch Präsi-
dent des amerikanischenFußballver-
bandes und damit, nachallem,was
man derzeitweiß, Gastgeber der über-
nächstenFußball-Weltmeisterschaft.
Also,Fußball-WM der Männer.Aber:
Imperfekt.Imangelsächsischen Sin-
ne. Cordeirohat versagt.Mann,
Mann, Mann.Undwurdefolgerichtig
vorgeführtvon denen, die im ameri-
kanischenFußball-Verband die Mu-
sik machen.Unddie Titelholen. Den
AuswahlspielerinnenumAnführerin
MeganRapinoe. Die liefen am Mitt-
woch zum SpielgegenJapan mit auf
linksgewendetenTrikots zurNatio-
nalhymne auf–aus Protestgegen den
Mann an derVerbandsspitze.Erhat-
te die Klageerwiderung abgesegnet,
die sichgegen die Spielerinnenwen-
det, dievonihremVerbandgenauso
bezahltwerden wollen wie die Män-
ner.Das lehnt dieVerbandsspitze ab,
unter anderemmit dem Argument,
das Spiel derFrauen erfordereweni-
gerKönnen. Mann, daskamnicht gut
an. Cordeirotrat ab, Imperfekt.In
der Gegenwart isterein Mannvon
gestern. DenVerband führtnun Cin-
dy Parlow Cone,Weltmeisterin1999,
Olympiasiegerin 1996 und 2004. Der
größteErfolg der amerikanischen
Männernationalmannschaftist Platz
drei bei einerWeltmeisterschaft. Der
von1930.

VonChris toph Becker


ATTAQUE


Mannvon


gestern


sgibt Leutemit be-
sondersfeinen Ohren, die meinen, am Don-
nerstagabendgehörtzuhaben, dassThomas
Bach, der Präsidentdes Internationalen Olym-
pischenKomitees (IOC), erstmals die Möglich-
keit eingeräumt hat, dassdie Olympischen
Spiele 2020 inTokio nicht wiegeplantstattfin-
den könnten. In der ARD-Nachrichtensendung
„Tagesthemen“antworteteerauf die zweimali-
ge Fragedes ModeratorsIngo Zamperoni,was
er tunwerde, wenn dieWeltgesundheitsorgani-
sation WHO ihm angesichts der Coronavirus-
Pandemieratenwürde, die Olympischen Spie-
le abzusagen, schließlichmit folgendem Satz:
„Wir werden demRatder WHOfolgen.“Was
aber hätteersonstantwortensollen? Etwa:
„Wir werden denRatder WHO in denWind
schießen?“
Man mussneidlos anerkennen: Gutgefragt,
HerrZamperoni. Denn Bachwill partout über
die Möglichkeit einerAbsageoder einerVer-
schiebung nicht sprechen. Alswäre sie erst in
demAugenblickinder Welt, wenn er persön-
lichals obersteInstanz sie beimNamengeru-
fenhätte.
BachsvorsichtigeAntwortbrachte so ziem-
lichden einzigenMomentindiesem fünfminüti-
genInterviewineinem derwenigenwesentli-
chen NachrichtenformateimdeutschenFernse-
hen mit sich, in dem der wichtigste Sportfunk-
tionärderWeltdenEindruckvermittelte,dass
er die Wirklichkeit überhauptzur Kenntnis
nimmt.Dabei sind dieTatsachen erdrückend:
Die Expertenrechnen nicht damit, dassdie Seu-
cheschon im Sommer überwunden sein wird.
Womöglichist der HöhepunkterstimHerbster-
reicht.Auchdamit wurde Bachkonfrontiert. Sei-
ne Antwort: „Wir haben ernsthafte Probleme
jetzt mit den Qualifikationswettbewerben.“
Die Reisebeschränkungen vieler Länder und
die hohe Ansteckungsgefahrgelten auchfür
die olympischeFamilie. Die Spiele, die am 24.
Juli eröffnetwerden sollen, sind in höchstem
Maßegefährde t. SeineZuschauer,die sichzu-
vorinder Nachrichtensendung auf den neues-
tenInformationsstand gebracht hatten,genau-
so wie dieAthleteninihren diversenTrainings-
lagernmussten sichunweigerlichfragen:Wie-
so sagt Bach das nicht?Wieso sagt er nicht ein-
fach,was auf der Hand liegt?
Schließlichkennt er dieTatsachen, wie alle,
die im Lebenstehen.Auchdie IOC-Zentrale in
Lausanne wirdvon Montag an nahezuverwaist
sein,weil die Angestellten ins Home Office ge-
schicktwerden, genau so wie die Mitarbeiter
des IOC-SendersOlympic Channel und des
Olympic Broadcasting Service OBS in Madrid.
In Spartawurde amFreitag derFackellaufabge-
brochen,weil sichzuviele Menschen um den
Schauspieler GerardButlerversammelt hat-
ten, der die Flammenschale entzündete.Der
Fackellauf sei ein „Signalfeuer der Hoffnung“,
hattedas IOC am Donnerstag verkündet, ein
Symbol der„Verpflichtung auf den Erfolg der
SpieleTokio 2020“.
DochBachsteht nicht alleinmit seinerVo-
gel-Strauß-Politik.Auchanderegroße Sportver-
eine undVerbändeversuchen,Konsequenzen
aus der Lageauszublenden und ihremonetären
Interessen so langeals möglichweiterzuverfol-
gen. „Esgeht am Ende desTagesauchimProfi-
Fußball umFinanzen“, sagteKarl-HeinzRum-
menigge, derVorstandsvorsitzendedes FC Bay-
ernMünchen, amFreitag.Worumesinden Ge-
sellschafteninDeutschland und überallauf
dem Planeten geht,hatteder DortmunderOber-
bürgermeisterUllrich Sierau am Dienstagschon
formuliert: um Leben undTod. Das Ende aller
Tage für vomVirus Lebensgefährdete.


AkutesWahrheits-Syndrom


Dabei müssten für dieFunktionäredas Wohl
der Sportler und dieVerantwortung in der Ge-
sellschafteigentlichhöchs te Priorität haben.
Trotzdem haben andereKonzerne undUnter-
nehmen der Privatwirtschaftsehr viel schneller
begriffen. Das alles zeigt: Die Sportverbände
sind inWahrheitweit da vonentfernt, humane
Organisationenzur Förderung der Bewegungs-
kultur zu sein. Sie haben sich in denvergange-
nen Jahrzehnten in machtvolle Geldmaschinen
verwandelt, denen dieRegeln des Zusammenle-
bensverlorengegangen sind. AuchSportfreun-
de reiben sich dieAugenangesichts dessen,was
das Virus an denTaggebracht hat.Ein Erreger,
der nicht nur eineLungenkrankheit auslöst,
sondernein akutesWahrheitssyndrom.
„Geldregier tdie Welt“, sagteFormel-1- Welt-
meister Lewis Hamilton am Donnerstag, als er
nochglaubte, am Sonntag in Australien einAu-
torennenvor100 000 Zuschauernfahren zu
müssen,wasihm absurderschien. Er traf ins
Schwarze, auchwenn mankonzedieren muss,
dassder Motorsportsichmit ethisch-morali-
schen Ansprüchen auchimAlltag zurückhält.
DochHamiltons Analyselässt sichauf viele Be-
reiche übertragen. Auchauf Olympia, das an-
geblichauf denWerten „Freundschaft,Respekt
und herausragende Leistung“ basiert, Begriffe,


die mitKontoständen nichts zu tun haben.Und
auf dasTaktieren, mit dem derFußball national
und internationalvergeblichversucht, das Vi-
ruszuumdribbeln. Erst am Freitag, nachTagen
des Schweigens,verschickt eder DeutscheFuß-
ball-Bund eine Pressemitteilung, in der sein Prä-
sidentFritz Keller zitiertwird. Erkönne sich
nichtvorstellen, dass„ausgerechnetgegengro-
ße Fußballnationen wie Spanien und Italien“ in
wenigenTagen„Geisterspiele“stattfänden. Die
„Uefaarbeitet mit Hochdruck“ an der „besten
Entscheidung“,der sichder mitgliederstärkste
–das Wort Größeverbietetsich–Verband der
Welt „selbstverständlich“ anschließen werde.
Man mussesmehrfachlesen, aber es besteht
kein Zweifel:keine einzigeSilbe des Bedauerns
angesichts der Opfer,die derPandemie erlegen
sind. Gerade in Italien.
Auch vonBachwar dazu nicht ein einziger
ausformulierter Gedankengang zu hören in der
ARD. Der Mangel an Mitgefühl,verbalisierter
Solidarität mit der globalisierten Gesellschaft
erschüttert. Wiekonntedie Welt es zulassen,
dassdie Sportverbände sogroß wurden, dass
sie anfingen, sichüber alleszuerheben?

„Landetinder Realität“


Vondenen im Profifußball, die für dieUnter-
haltung sorgen, vonseinen Spielern, seinen
Trainern, heißt es so oft, sieverdienten zu viel,
seien nicht mehrvondieserWelt.Jetzt stellt
sichheraus: Sie sindweit weniger arrogant und
selbstherrlichals ihreFunktionäre. Liverpools
Trainer JürgenKlopp erklärte gleichbei zwei
Pressekonferenzen, ihm und seinen Spielern
sei klar,dasssie genausovonder Pandemie be-
trof fenseien wie alle anderen.Unddasser
Menschen ablehne, dieglaubten, sie selbstsei-
en ausgenommen. ImStadion an der Anfield
Road herrschte Klopp am MittwochZuschauer
an, sie sollten ihreHände bei sichbehalten, die
sie zumAbklatschen ausstreck ten. Bayern-Star
Thiago Alcantaratwitterte am Freitag, als das
Theater um dieAussetzung der deutschenFuß-
ballmeisterschaftimmer noch nicht zu Ende
war: „Das istverrückt.Bittehörtauf, dummes
Zeug zureden und landetinder Realität.Lasst
uns ehrlichsein, es gibt vielgrößerePrioritä-
tenals jede Artvon Sport.“Den brachialen
Konter setzteRummenigge.
Wiedreist die mächtigstenKlubs Europas
selbstAusnahmesituationenvermarkten, be-
wies am Mittwochabend der mit qatarischem
Geld hochgezüchteteMilliardenbetriebParis
Saint-Germain. DenFans, die sichinMassen
vordem gesperrten Prinzenparkstadionver-
sammelten, mag man,wenn es unbedingt sein
soll, Gedankenlosigkeit unterstellen. Auch
wenn ihreroten Fackeln derPartyimvom Vi-
rusgebeuteltenPariseine gespenstischeSzene-
rieverliehen:als spielten hier dieReiter der
Apokalypse ihreChampions League aus. Dass
der Klub diegemeinsameFeier vonFans und
Spielernanschließend aber auf sämtlichen so-
zialen Netzwerkenvermarktete, istdurch
nichts zurechtfertigen .EszeugtvonEmpathie-
losigkeit im Endstadium.
In derstrikt hierarchischgeordnetenWelt
vonIOC-Präsident Bachbezieht dieser sicham
liebstenauf dieRatschlägeder Weltgesund-
heitsorganisation WHO. Mit dem Generalsekre-
tärder WHO,TedrosAdhanom Ghebreyesus,
habe er erst verg angeneWochegesprochen.
Der hatteauf einer Pressekonferenz am 3. März
zu einer möglichenAbsageder Spielegesagt:
„Ichglaube, jetzt zu entscheiden,wäre zu früh.“
Zehn Tage –eine Ewigkeit inZeiten, in denen
schon morgendie Lagevollkommenverändert
sein kann.
Bachführte die „ernsthaftenProbleme mit
den Qualifikationswettbewerben“ in den„Ta-
gesthemen“weiter aus. Erst 55 Prozent der
Starterseien ermittelt.Man habe aber schon
Maßnahmen ergriffen. ZumBeispiel dafürge-
sorgt, dassein Großteilchinesischer Sportler
sichimAusland, zum Beispiel in Europa–ja,
Europa–auf Tokio vorbereitenkönnten.Für
Sportler,deren Qualifikationswettbewerbe aus-
fallen,könnteesSonderregelungengeben. Das
IOC und das OrganisationskomiteevonTokio
seien übereingekommen, für mögliche Härte-
fälle, etwaAthletenaus Italien, dasStarterfeld
zu erweitern. MehrTeilnehmer inTokio also.
MehrTeilnehmer? Obwohl auchimSommer
nochzuerwarten ist, dassMenschenansamm-
lungen zurweitere nAusbreitung des Coronavi-
rusführen? Einmal davonabgesehen, dassdie
Zahl der Sportler,derenTrainingsbedingungen
sichmassiv verschlechtern, täglichgrößer
wird. Am Donnerstagabend sagteBach in den
„Tagesthemen“:„Wir begrüßen dieVorsichts-
maßnahmen imKampfgegen dieses Virus,
weil si euns helfen, in diesenviereinhalb Mona-
tendie Angelegenheit nochweitervoranzutrei-
ben.“
Er klang einwenig so, als bekämpfedie Welt
eine Seuche, um dem IOC die Olympischen
Spiele inTokio zuretten. So als drehtesichdie-
se Erde nicht um die Sonne. Sondernumdie
fünf Ringe.

FotosAP, firo Sportpho

to,UEFA, dpa

Trottel

vonheute

SOLIDARIT


ÄT?


 Samstag
ARD UNDEUROSPORT1:13.35 Uhr,Biath-
lon, Weltcup, 12,5 kmVerfolgung der Män-
ner ausKontiolahti (Finnland), 15.10 Uhr,
Skispringen:Weltcupder Frauenaus Nisch-
nijTagil (Russland), 15.35 Uhr,Biathlon:
Weltcup, 10 kmVerfolgung derFrauen aus
Kontiolahti, 16.25 Uhr,Skifliegen,Weltcup,
Team, 1. Durchgang ausVikersund (Norwe-
gen), 17.35 Uhr,Skifliegen,Weltcup,Team,


  1. Durchgang.
    EUROSPORT1:20.00–21.30 Uhr,Snooker,
    WorldMain Tour,Gibraltar Open.
    Sonntag
    ARD UNDEUROSPORT1:13.15 Uhr Biath-
    lon, Weltcup, Single-Mixed-Staffel ausKon-
    tiolahti (Finnland), 14.10 Uhr,Skispringen,
    Weltcup derFrauen aus NischnijTagil
    (Russland), 15.05 Uhr,Biathlon,Weltcup,
    Mixed-Staffel aus Kontiolahti (Finnland),
    16.30 Uhr,Skifliegen,Weltcup, Einzelflie-
    gen, Herren, 1. und 2. Durchgang ausViker-
    sund (Norwegen).
    EUROSPORT1:19.55–22.00 Uhr,Snooker,
    WorldMain Tour,Gibraltar Open.


DORTMUND

PARIS

TOKIO

Wie konnte dieWelteszulassen, dass die

Sportverbände sogroß wurden,dasssie anfingen,

sich über alleszu erheben?

VonChris tophBecker

und Evi Simeoni

TOKIO

E


SportliveimFernsehen
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