SEITE 4·SAMSTAG, 14.MÄRZ2020·NR.63 Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
Deutsche
Spaltungsversuche
Die Kriegslageist verheerend. Dies
lässt die deutscheRegierung oderTei-
le vonihr nachletztenStrohhalmen
greifen. Alles läuftdarauf hinaus, die
„unnatürliche“Koalitionaus Westal-
liiertenund Sowjetunion zu spalten.
Entsprechende Hinweise enthält
auchdie öffentliche Propaganda.
NunversuchtAußenministervonRib-
bentrop über MittelsmännerKontakt
zu denWestmächten aufzunehmen.
Er zeichnetdas Szenario einer sowje-
tischen Übermacht und empfiehlt
Deutschland als adäquates Gegenge-
wicht,wenn die Alliiertenzueinem
separatenFriedensschlussbereit sei-
en. Damit erschöpftsichfreilichdas
„Angebot“. Der Grund,warumdie
„unnatürliche“Koalition überhaupt
zusammengefunden hat, wirdnicht
angesprochen. Der Charakter des na-
tionalsozialistischen Regimes steht
für Ribbentrop nicht zur Disposition.
Vielmehr empfiehlt er den Alliier-
ten, diePerson Hitlerauf jedenFall
zu „retten“. Deutschlandkönne hel-
fen, die„Welt-Judenfrage“ zu lösen.
Die Westalliiertengehen auf das
deutsche„Angebot“ nicht ein. Es gilt
–unabhängigvontatsächlichbeste-
henen Meinungsverschiedenheiten
innerhalb derKoalition–die Forde-
rung nachbedingungsloserKapitula-
tion Deutschlands.
Gegen
Grenzveränderungen
Der britische PremierministerWins-
tonChurchill berichtet im Unterhaus
überVerhandlungen mit führenden
griechischenPolitikern. Dabei seien
Pläne Griechenlands, einigealbani-
sche Gebiete dem eigenenStaatsge-
bieteinzuverleiben, nicht zur Spra-
chegekommen. Die Haltung der briti-
schenRegierung in dieserFragestellt
Churchill klar.Gebietsfragen sollten
grundsätzlichauf derFriedenskonfe-
renz behandeltwerden. Damit drückt
Churchillaber nicht etwa grundsätzli-
cheAblehnunggegenAnnexionen al-
ler Artaus. DerPolitiker,der in einer
Zeit sozialisiertwurde, als derlei
durchaus gängigePraxiswar, begrün-
detseine Haltung vielmehr damit,
dassnur auf einerFriedenskonferenz
alle Gebietsveränderungen im Zu-
sammenhang behandelt werden
könnten.
Vollmachtengewährt
Das belgischeParlamentstimmt über
die zweiTage zuvorvonder Regie-
rung gefordertenSondervollmachten
ab. DieseFragehatteMinisterpräsi-
dentvanAcker mit derVertrauensfra-
ge verbindenwollen. DieKammer bil-
ligt dasVorhaben derRegierung mit
117 zu einerStimme.Acht Parlamen-
tarier enthalten sich. pes.
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In einerRegierungserklärung hat der spa-
nische MinisterpräsidentPedroSánchez
am Freitag den„Alarmzustand“ für das
ganze Land erklärt. In den nächstenzwei
Wochen wirddamit die ersteStufedes
Ausnahmezustands gelten, der sichlaut
der Verfassung nochausweiten lässt.Das
Kabinett mussden Alarmzustand auf sei-
ner Sondersitzung an diesem Samstagbil-
ligen, damit er in Krafttretenkann.„Alle
staatlichen Ressourcenwerden mobili-
siert, um die Gesundheit aller Spanier zu
schützen“, sagte Sánchez, ohneEinzelhei-
tenzunennen. Der Alarmzustand erlaubt
es, die Armee einzusetzen, die Bewe-
gungsfreiheit einzuschränken sowieWa-
renzubeschlagnahmen und zurationie-
ren, um dieVersorgung sicherzustellen.
Seit 1975warder Alarmzustand bisher
nur einmalvorzehn Jahrenwährend ei-
nes großen Fluglotsenstreiksausgerufen
worden.
DerRegierungschefstimmtedie Spa-
nier auf „sehr harte Wochen“ ein, in de-
nen es zu nochhärterenMaßnahmen
kommenkönne. Es sei nicht auszuschlie-
ßen, dass„in der kommenden Woche
mehr als 10 000 Menschen betroffen
sind“. BisFreitagnachmittag warenin
Spanien mehr als 4200 Infektionen mit
dem Coronavirus diagnostiziertworden.
Insgesamtstarben 120 Menschen. Am
stärkstenbetroffen is tdie RegionvonMa-
drid mit mehr als 2000 Infektionen und
64 Todesfällen. Darauffolgen das Basken-
land (417) undKatalonien (14).
Der Alarmzustand isteine Folgeda-
von, dassSpanien das Coronavirus trotz
der jüngstendrasti schen Maßnahmen
nicht in den Griffbekommt.Laut einer
Studie der „London School of Hygiene &
Tropical Medicine“ breitet sichdas Virus
dortmittlerweile schneller aus als in Ita-
lien. Ähnlichhochist demnachdie Infekti-
onsratenur nochinden VereinigtenStaa-
ten. Einem mathematischen Modell zufol-
ge,das aufZahlen der WHO aus 24 Län-
dernberuht,stecktjeder Infizierte weite-
re dreiPersonen mit demVirusan. In
Staaten wie Italien und Iran seien es in-
zwischen nur zwei.
Offenbar wirdinSpanien im internatio-
nalenVergleichimmer nochsehr wenig
getestet,wie dieZeitung „LaVanguardia“
am Freitag ebenfalls berichtete. Deshalb
fehltenverlässliche Angaben über dietat-
sächlicheAusbreitung desVirus. In Süd-
koreawürden schon seitWochen viervon
tausend Einwohnerngetestet, in Italien
wareneszuletzt zwei. In Spanien haben
die Behörden bisherkeine Zahlenvorge-
legt.Laut derZeitung „FinancialTimes“
liegt der Anteil in Spanien bei maximal
0,4.Vier spanische Medizinorganisatio-
nen appelliertenandie Regierung, mehr
Testsvorzunehmen. Bis Dienstagwaren
nachoffiziellen Angaben insgesamt nur
17 000 Menschen auf dasVirusgetestet
worden, vorallem diejenigen, dieKon-
takt zu Infiziertenhatten oder in einem
Risikogebietwaren.
Besonders in derRegionvonMadrid
sind die Kliniken überfordertund warnen
voreinemKollaps. „In Krankenhäusern
mit einemgroßenPatientenaufkommen
sind wir einem Versorgungsnotstand
nahe“, sagteein leitender Mitarbeiterei-
ner großen Klinik derZeitung „ElPaís“.
Etwavierzig Prozent derPatienten müs-
sen schon im Krankenhaus behandeltwer-
den, zehn Prozent in der Intensivstation.
Inzwischenwerden in Madrid leerstehen-
de Hotels dafürvorbereitet,Infizierte mit
leichtenKrankheitssymptomenaufzuneh-
men. BürgermeisterJosé Luis Martínez-
Almeida schließt eineAbriegelung derRe-
gion um die Hauptstadt, in der mehr als
6,5 Millionen Menschen leben, nicht
mehr aus. In Madrid und inKatalonien
ordnetendie Regionalregierungen an,
all eBars, Restaurants und Cafészuschlie-
ßen. In der Hauptstadt dürfennur noch
Lebensmittelgeschäfte,Apotheken und
Zeitungskioskeöffnen. Praktisch inganz
Spanien findetkein Unterricht mehr
statt. Etwazehn Millionen Schüler und
Studenten wurden nachHausegeschickt.
Die katalanischeRegierung hattesich
schon in derNachtzum Freitag dazu ent-
schlossen,vier Orte nordwestlichvon Bar-
celona abzuriegeln, in denen dieZahl der
Infektionen am Donnerstag innerhalbwe-
nigerStundenvon20auf 58gestiegen
war. Davonwaren mehr als 70 000 Men-
schen in Igualada und drei benachbarten
Ortenbetroffen. Sie dürfenzweiWochen
lang das Sperrgebietnicht mehrverlas-
sen. Das Baskenlandrief den Gesund-
heitsnotstand aus, um sichfür ähnliche
Maßnahmenzurüsten.
Laut Presseberichtenflüchten immer
mehr Bewohner der spanischen Haupt-
stadt an dieKüste, besondersinRichtung
Valencia, dasvonMadrid aus inweniger
als zweiStunden zu erreichen ist. Die Re-
gionalregierungvonMurcia sperrteihre
Küst enorte ab. Manwerdedas entschie-
den durchsetzen, da diese Menschen of-
fenbar „die Quarantäne als eine ArtUr-
laubander KüsteMurciasverstehen“.We-
gender Ausbreitung des Virushaben
mehr als sechzig Länder die Einreisevon
Spanierneingeschränkt oderganz verbo-
ten. TausendekehrtenamFreitag über-
stürzt aus Marokkozurück, das seine
Grenzen für Spanier schließensowie
Flug- und Fährverbindungeneinstellen
will.Ausnahmsweise wurden amFreitag
nocheinmal fürkurzeZeit die Grenzen
zu den spanischen Nordafrika-Exklaven
Ceuta und Melilla geöffnet. Auchdas
NachbarlandPortugal erklärte am Freitag
den „Alarmzustand“. In dem Land wur-
den bisher112 Infektionen, aberkeineTo-
desfälleregistriert. VonMontag an blei-
ben alle Schulen bis zu den Osterferienge-
schlossen.Ausländer dürfenKreuzfahrt-
schiffe nicht mehrverlassen.
W
ie ein Landesvater müsse er
reden,riet der rechtsbürger-
liche Senatspräsident Gé-
rald Larcher dem jungen
französischenStaatschef. So trat Emma-
nuel Macron nachden Klängen der Mar-
seillaise dann auchinleicht paternalisti-
schem, fürsorglichemTonfall im Elysée-
Palastvor seine Landsleute. „Gesundheit
kenntkeinen Preis“,sagteeramDonners-
taga bend undversprach, alles zu tun, um
die Franzosen zu schützen, „egal,wases
kostet“. Angesichts der „schwersten Ge-
sundheitskrise seiteinemJahrhundert“ er-
lebtMacroneinenpolitischen„Whatever
it takes“-Moment.Schulen undUniversi-
täte n, Kindertagesstätten und Krippen
schließenvonMontag an „bis aufweite-
res“, um dieAusbreitung des Coronavirus
zu verlangsamen.
Alle Franzosen,die älter als siebzig Jah-
re sind, sowie jene mitchronischen Er-
krankungen sind aufgefordert, zu Hause
zu bleiben. NirgendwoimLandwerden
mehrVersammlungenvonmehr als hun-
dertLeutengeduldet–es gilt, die Anste-
ckungsgefahr,sogut esgeht, zu bannen.
Fürdie Unternehmen, die durch diese
Einschränkungen in Schwierigkeitenge-
rate n, will der Präsident alles in seiner
Machtstehende an Hilfen leisten. „Wir
werden alles tun, um unsereBeschäftig-
tenund unsereUnternehmen zu schüt-
zen“, sagteer. Zugleichappellierte Ma-
cron an dasVerantwortungsbewusstsein
jedes einzelnen Bürgers.„Wirmüssen in
dieserPeriode neueFormen der Solidari-
tätentwickeln.“
Der Präsident, dem seine Kritiker so
oft„antidemokratisches“, autoritäres
Durchregieren vorgehalten haben, will
trotzder weitreichenden Präventionsmaß-
nahmen an denKommunalwahlenandie-
semund am nächstenSonntagfesthalten.
Angesichts der schweren Gesundheitskri-
se sei es wichtig, „das demokratische Le-
ben aufrechtzuerhalten“, sagteer. Der
EntscheidungwarenBeratungen mit den
wichtigstenStimmender Opposition und
dem Präsidenten des Verfassungsrates,
Laurent Fabius, vorangegangen. Zu-
nächsthatteMacron erwogen, dieKom-
munalwahlen imNamen des Seuchen-
schutzes zuverschieben. Dochdann si-
chertenihm die zuRate gezogenenWis-
senschaftler zu, dassder Gang insWahllo-
kalbei Einhaltungstrikter Hygieneregeln
nichtgefährlicher als der Einkauf im Su-
permarkt sei.
Auch soll ihn der heftigeWiderstand
des Senatspräsidenten sowie desPartei-
vorsitzenden der Republikaner (LR),
Christian Jacob, beeinflusst haben. LR-
Chef Jacob sagte, eswerdeals Demokra-
tieverweigerungverstandenwerden, soll-
te Macron dieWahlenvertagen. Larcher
drohte, erwerdedie Entscheidung nicht
mittragen, nochnie seien dieKommunal-
wahlen seit Kriegsende ausgefallen, auch
während des Algerienkriegs nicht.Den
Ausschlag gabletztlichder Präsident des
Verfassungsrates, der zu bedenkengab,
dasseine Verschiebungverfassungsrecht-
lichwomöglichnicht gedeckt sei.
Deshalb wirdandiesem Sonntag in den
35 000 französischen Kommunen ge-
wählt.Die Wahlberechtigten sollen ihren
eigenen Kugelschreiber mitbringen, um
ihr Kreuz auf demWahlzettel zu machen.
Im EingangsbereichjedesWahllokals sol-
len Desinfektionsmittelfür die Händevor-
rätiggehaltenwerden. Es gilt,Abstand zu
halten. ÄltereLeutehabenVorrang. Ma-
cron betonte, dasserauf das Organisati-
onstalent und das Verantwortungsbe-
wusstseinder Bürgermeistersetze. DieRe-
publikaner protestierten auchdeshalbso
heftiggegeneine möglicheVerschiebung
des Wahltermins,weil sie in den meisten
Städten in denUmfragenvorn liegen. Ma-
crons Partei LaRépublique en marche
(LREM)muss hingegen damitrechnen, ab-
gestraftzuwerden. Das warauchder
Grund,warumMacron unterstellt wurde,
die Wahlen absagen zuwollen.
Seine mitgroßer Ernsthaftigkeitgetra-
gene Ansprache hat seine Kritikervorerst
verstummen lassen. Der LR-Fraktionsvor-
sitzende DamienAbad, der ihnwegender
Rentenreformscharfkritisierthatte, äu-
ßerte sich positiv:„Der Präsidentwar heu-
te Abend auf der Höhe seines Amtes. Er
hat klargezeigt, dassersichdes gesund-
heitlichen und wirtschaftlichen Not-
stands im Land bewusst ist.“SeinePartei
werdeim„Geistder nationalen Einheit“
die vonMacron angekündigten Maßnah-
men mittragen. Kritik an den Schulschlie-
ßungen wurde nicht laut. Bildungsminis-
terJean-Michel Blanquer sagte, es hande-
le sichnicht um „Coronavirus-Ferien“,
der Unterricht gehe in virtuellen Klassen-
zimmernweiter.
Macron blickteinseiner Rede aber
auchüber diePandemie hinaus undwag-
te einen ersten Ausblickauf die Lehren,
die aus der Krisegezogenwerden müss-
ten. „Wir müssen unser Entwicklungsmo-
dell hinterfragen, dem wir seit Jahrzehn-
tenanhingen und das seine Schwächen
jetzt offenbart“, sagteer. Die Pandemie
zeigejetzt schon, dassdas Gesundheitswe-
sen ein zu hohes Gut sei, als dassesden
Gesetzen des freien Marktes unterworfen
werden dürfe.„Es istWahnsinn, unsere
Ernährung, unseren Schutz und unsere
Fähigkeit zur Gesundheitsvorsorge an an-
derezudelegieren.“ Erforderte:„Wir
müssen wieder die Kontrolle erlangen
und die Souveränität Europasstärken.“ In
den nächstenWochen und Monaten seien
in dieser Hinsicht bahnbrechende Ent-
scheidungen notwendig.
Dem Präsidenten waranzumerken,
dassersicheng mit der Bundeskanzlerin
abgestimmt hatte.Trotzaller Unterschie-
de imStaatsaufbau sind sichAngela Mer-
kelund Macron einig, dasssie nicht zulas-
sen wollen, mit derPandemie dieAbschot-
tungsthesen derRechtspopulistenzustär-
ken. Macronwarnte:„Das Virushat kei-
nen Pass.“ Grenzkontrollen oder -schlie-
ßungen seien nur sinnvoll, wenn sie in
der EUkoordinierterfolgten.Weder der
„Rückzug insNationale“ nochder „indivi-
duelleRückzug“ seien die passenden Ant-
worten auf diePandemie. Die Krise sei
nur mit Gemeinschaftsgeistund Solidari-
tätzumeistern –unter den Europäern.
1945
Mitgroßer Ernsthaftigkeit:Macron bei seiner Ansprache am Donnerstag FotoEPA
Spanien im „Alarmzustand“
Kliniken in Madridwarnen voreinemKollaps /VonHans-ChristianRößler, Madrid
pca. BERLIN.Der Bundestag hat
die Afghanistan-Mission der Bundes-
wehr nocheinmal um ein Jahrverlän-
gert.Die Bundeswehr istdortseit
2002 engagiert, seit einigen Jahren
mit einerAusbildungsmission mit ma-
ximal 1300 Soldaten. Die Debatte
stand unter dem Eindruckdes bereits
angelaufenen Abzugs amerikani-
scher Streitkräfte aus Afghanistan.
Die Abstimmung warvorgezogen
worden, weil nicht sicher ist, ob der
Bundestagvor dem Ende des bisheri-
genMandats am 30. Märznochein-
mal zusammentreten kann. Verlän-
gert wurden auchdie Missionen „Sea
Guardian“ im Mittelmeersowie Betei-
ligungen an Missionen derVereinten
Nationen in derRegion Darfur und in
Südsudan.
Aufder Höhe seines Amtes
reb. DÜSSELDORF.ImLandkreis
Heinsbergwurden imFebruar die ers-
tenCorona-InfizierteninNordrhein-
Westfalenregistriert. Mit mittlerweile
mehr als 550 bestätigtenFällen inner-
halbvongut dreiWochen istHeins-
bergbis heute der amstärkstenbetrof-
fene Landkreis in Deutschland.Nach
EinschätzungvonLandratSte phan
Pusch(CDU) istHeinsbergder bun-
desweiten Entwicklungetwa neun bis
zehnTage voraus. Deshalb und dank
der offensiven Öffentlichkeitsarbeit
des Landrats lassen sichwichtige
Rückschlüsse aus den Erfahrungen
im Umgang mit der Corona-Krise im
äußersten Westen derRepublik zie-
hen.UnermüdlichberichtetPuschin
Interviews mit Zeitungen undFern-
sehsendernsowie in täglichenVideo-
Ansprachen über die neuesten Er-
kenntnisse aus demvonihm geleite-
tenHeinsbergerKrisenstab. Der Ju-
rist ordnetdie Informationen anschau-
lichund unaufgeregt ein, gibt Hinwei-
se undRatschläge–und versucht den
Leuten Mut zu machen.
Immer wiederweistder Landrat
darauf hin, dassdie meisten Corona-
Krankheitsverläufeeiner leichten Er-
kältung ähnelten, viele der Erkrank-
tenmittlerweile wiederals geheiltgel-
ten, aber eben doch zwanzig Prozent
der Betroffenen intensivmedizinisch
behandeltwerden müssten. Seine Sor-
ge sei, dasswegen derwachsenden
Zahl dieserPatienten bald nicht mehr
genügend Beatmungsplätze vorhan-
den seinkönnten. Dasgelteesunbe-
dingt zuverhindern–inseinem Kreis,
aber auchinganz Deutschland. Des-
halb hat der Landrat schonvorTagen
darauf hingewiesen,wie wichtig harte
Einschnittewie die nun allenthalben
verfügten Schulschließungen seien.
Noch schlimmer sei aberetwasan-
deres, mahntePuschnun in einerVi-
deo-Botschaft. „Das Coronavirus ist
aus meiner Sicht ein medizinisches
Problem, klar–aber viel schlimmer
istdas Vertrauensproblem, das es in
den Köpfenverursacht.“ Angst, Miss-
trauen,Ausgrenz ung und dasssich
nun sogarStaatengegenseitigwegen
des Coronavirus beschuldigten, seien
einegroße Gefahr,sagtePuschmit
Blickauf den amerikanischen Präsi-
dentenTrump, dervoneinem „auslän-
dischenVirus“ gesprochen und Euro-
pa die Schuld an derAusbreitung des
Virusgegeben hatte.
Auch für die gravierenden wirt-
schaftlichenFolgen der Corona-Ver-
trauenskrise gibt es in PuschsRegion
schon Beispiele. Ihm berichteten
Heinsberger, dasssie vonihrem Ar-
beitgeber imUmland nurwegenihrer
HerkunftnachHausegeschickt oder
garnicht mehr aufs Firmengeländege-
lassen würden,Aufträge für Unterneh-
men aus dem Kreis Heinsbergblieben
aus. Schuldzuweisungen, ob auf inter-
nationaler Ebene vonLeuten wie
Trumpoder vonLeuteninseinereige-
nen Region, hält der Landrat für
brandgefährlich.„Wir müssen aufpas-
sen,wasdas Virusmit unserenKöp-
fenmacht“, sagtePuschamFreitag in
einem Interviewmit der Zeitung
„Welt“. DiePandemie habe dasPoten-
tial, unsereWelt negativ zuverän-
dern,wenn die Menschen Angstvor-
einander bekämen. Schuldzuweisun-
genseien vollkommener Blödsinn.
„Das Medikament heißt Solidarität,
Mitgefühl und nicht Ausgrenzung.“
Anfang derWochehabe ihn eineDele-
gation vonAuslandschinesen be-
sucht. Die Chinesen hätten Schutzma-
terial mitgebracht, „palettenweise“,
wie Puschformulierte. „Daschinesi-
scheVolk is tjanun wirklichgebeutelt
durch die Corona-Krise, diese Solida-
ritäthat mir sehr imponiert.“
Am Freitag berichtete Landrat
PuschinseinerVideo-Botschaftvon
einerNeuerung, mit der Heinsberg
wieder einmal derZeit voraus ist.We-
gender vielen mittlerweile alsgeheilt
geltendenPersonen baut der Kreis
nun mitNothilfedurch die Bundes-
wehr ein Quarantäne-Entlassungs-
Management auf, bei dem die Betrof-
fenen abermals auf dasVirusgetestet
werden. Sicher istsicher.
DIE LETZTEN
KRIEGSWOCHEN
- MÄRZ
Mandate
verlängert
Macron erntet auch von
politischen GegnernLob
für seinenUmgangmit
demCoronavi rus. Die
Kommunalwahlensollen
in jedemFall stattfinden.
VonMichaelaWiegel,
Paris
Avantgarde
im Westen
Der Kreis Heinsberg
und die Corona-Krise
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