Handelsblatt - 11.03.2020

(singke) #1
Hermann Simon

Gewinn-Warnung vom Professor


W


er Hermann Simon in
Bonn besucht, stößt so-
fort auf die Insignien ei-
ner akademischen Karriere. 40 Buch-
titel in mehr als 20 Sprachen domi-
nieren den Empfangsraum der Un-
ternehmensberatung Simon-Kucher
& Partners, in seinem Büro sind die
Wände mit Urkunden tapeziert.
Der 73-jährige emeritierte BWL-Pro-
fessor ist so etwas wie eine Instanz
der heimischen Wirtschaft. Er ist der
einzige Deutsche, der es in die „Thin-
kers 50 Hall of Fame“ der wichtigsten
Managementdenker schaffte. Einst
prägte er den Begriff „Hidden Cham-
pion“. Die von ihm 1985 mitgegründe-
te Firma wurde über Dienstleistungen
für Mittelständler selbst zum gestan-
denen Mittelständler, mit rund 1 400
Mitarbeitern in 25 Ländern.
Am Mittwoch will der umtriebige
Honorary Chairman mit einem neu-
en Buch die Republik aufrütteln. Er
preist darin den Gewinn als großen
Maßstab, weshalb deutsche Firmen
mit 3,24 Prozent Nettorendite im
Schnitt schlecht abschneiden. Simon


  • kein Zweifel – hat eine neue Missi-
    on, worauf schon der Titel („Am Ge-
    winn ist noch keine Firma kaputtge-
    gangen“) deutet: „Mein Ziel ist, deut-
    sche Unternehmer dahin zu bringen,
    gewinnorientierter zu arbeiten.“
    Diese Botschaft in Euro und Cent
    kontrastiert ein wenig mit der Debat-
    tenlage auf der Welt. So entsagten im
    vorigen Jahr 188 wichtige amerikani-
    sche CEOs dem stumpfen Gewinn-
    mantra des Shareholder-Kapitalis-
    mus. Sie halten es jetzt mit einem
    „bewussten Kapitalismus“, der auf
    Arbeitnehmer, Lieferanten, Kunden,
    Umwelt und Staat („Stakeholder“)
    besser eingeht. Und überall ertönt
    das Lied vom „Purpose“, vom höhe-


ren Zweck eines Unternehmens, das
zum sozialen Wohl beitragen soll.
Hermann Simon – ein freundlicher
Argumentierer, kein Thesen-Heiß-
sporn – sieht sich in einer Gegenposi-
tion. Da wende er sich gegen den
Zeitgeist, sagt er: „Für mich steht die
Frage nach dem Purpose nicht im
Widerspruch zum Gewinnstreben.“
Wenn es Unternehmen gut gehe, er-
hielten die Mitarbeiter nun mal gute
Löhne und die Lieferanten ihr Geld,
„Gewinn ist eine Überlebensvaria-
ble“. Dazu gehöre auch Langfrist -
denken und der gute Umgang mit
Stakeholdern: „Schon Henry Ford
zahlte höhere Löhne, damit sein Per-
sonal sich Autos kaufen konnte.“
Die Gewinnappelle des „Mister
Hidden Champion“ liegen insgesamt
nahe beim Monetaristen Milton
Friedman, dem Deregulierungspapst
der 1980er-Jahre. Der Ökonom aus
Chicago dekretierte, es gebe nur eine
soziale Verantwortung des Business –
die Gewinne im Rahmen der Spielre-
geln zu erhöhen. Den Einwand, das
völlige Ausreizen von Gewinnen ge-
fährde womöglich das wirtschaftliche

Überleben anderer, lässt Simon nicht
gelten. Er sieht Deutschland als „Ge-
winnwüste“, in der jede zweite Firma
nicht mal ihre Kapitalkosten verdie-
ne: „Zu vier von fünf deutschen Un-
ternehmen kann ich sagen: Gewinn-
orientierung muss für euch Gewinn-
maximierung heißen.“
Insgesamt müsste die Rendite bei
6,5 Prozent liegen, findet der Profes-
sor, der in einem Eifeldorf groß wur-
de und an Universitäten in Mainz
und Bielefeld sowie im Ausland ge-
lehrt hat. International gesehen stün-
den die hiesigen Firmen zwar bei der
Eigenkapitalrendite passabel da, das
liege aber an ihrer hohen Verschul-
dung: „Bisher ist alles gut gegangen.
In einer Krisensituation verstärken
sich die Gefahren.“

„Mister Hidden Champion“
Wer will, kann hier eine Gewinn-War-
nung entdecken. Selbst bei seinen
„Hidden Champions“, also Familien-
unternehmen als Weltmarktführern,
fürchtet er um die starke Stellung.
Acht Prozent Nettorendite hat Simon
hier errechnet. Auch sein persönli-
cher Gewinnstar kommt aus diesem
Sektor: die bayerische Firma Ratio-
nal. Sie erreicht mit Automaten für
Großküchen 25 Prozent Nettoumsatz-
rendite. Dass hier 250 gelernte Köche
die Wünsche der Kunden antizipie-
ren, imponiert dem Autor.
Was ihn stört: dass in der Republik
nicht über Gewinne geredet wird.
Man vermeide dieses Thema, „ent-
weder weil der Gewinn hoch oder
weil er niedrig ist“, so Simon: „Im
ersten Fall entsteht Neid, im zweiten
Spott.“ Angesprochen auf die Schwä-
chen des Kapitalismus thematisiert
der Gewinnprediger die Rolle des
Staates: der habe eben den Rahmen
falsch gesetzt. Und deutet aus dem
Fenster des Restaurants auf die Last-
schiffe, die den Rhein mit Schweröl
befahren. Der Staat habe solche Um-
weltkosten nicht umgelegt: „Das ist
Versagen der Politik, nicht der Markt-
wirtschaft.“ Hans-Jürgen Jakobs

Massimo Renon

Neuer Chef für Benetton


M


itte April tritt er sein neues
Amt in Ponzano Veneto im
Hauptquartier von Benet-
ton in Venetien an. Der 50-jährige
Manager Massimo Renon wird CEO
des angeschlagenen Modeimperiums
Benetton. Mit seiner Berufung soll
der Neustart der Gruppe vorangetrie-
ben werden, den Verwaltungsrats-
chef Luciano Benetton 2018 angesto-
ßen hatte, lautet eine Mitteilung.
Der Manager mit Studium an der
Mailänder Wirtschaftsuni Bocconi
und an der Columbia University in
New York kommt vom Optikkonzern

Marcolin, wo er seit 2017 Chef war.
Zuvor hatte er beim Brillenkonzern
Luxottica und beim Autobauer Ferra-
ri gearbeitet. Später war er beim Bril-
lenhersteller Safilo und dem französi-
schen Luxuskonzern Kering tätig.
Zwei weitere Spitzenmanager sollen
Renon zur Seite stehen.
Luciano Benetton, der 84-jährige
Patron des Familienunternehmens,
war vor zwei Jahren an die Spitze des
Textilunternehmens zurückgekehrt,
das er 1965 mit seiner Schwester Giu-
liana gegründet hatte. Er wollte den
Niedergang der Marke Benetton, die
für ihre bunten Pullover bekannt ist,
stoppen. Nach Jahren der Verluste
plant der Patron mit neuen Konzep-
ten für die Läden und die Marke den
Weg zurück in die Gewinnzone. Da-
bei soll nun Renon helfen.
Im Benetton-Führungsteam sitzt

seit 2018 auch der französische Desig-
ner Jean-Charles de Castelbajac als
Kreativdirektor. Nicht mehr dabei ist
der berühmte Fotograf Oliviero Tos-
cani. Der Patriarch entließ ihn im
Februar fristlos nach einer despek-
tierlichen Äußerung über die Opfer
des Brückeneinsturzes in Genua, bei
dem 43 Menschen starben.
Der Hintergrund: Die Familie Be-
netton ist über ihre Holding Edizione
Hauptaktionär von Atlantia, dem In-
frastrukturkonzern, der den Auto-
bahnbetreiber Autostrade per l’Italia
kontrolliert. Der war für das kolla-
bierte Brückenstück zuständig. Die
Regierungspartei Bewegung Fünf
Sterne wirft Autostrade vor, schuld
am Unglück zu sein, und will dem
Konzern die Konzession entziehen.
Bis heute ist die Schuldfrage nicht ge-
klärt. Regina Krieger

Massimo Renon:
Er soll Benetton
wieder profitabel
machen.

Schon Henry


Ford zahlte


höhere


Löhne, damit


sein Personal


sich Autos


kaufen konnte.


Hermann Simon
Managementberater

Benetton


Hermann Simon: Der 73-jährige
emeritierte BWL-Professor prägte
einst den Begriff „Hidden Champi-
on“.

Simon Kucher und Partner

Bogner (2)

Deutschlands bekanntester
Managementberater schreckt
mit einem Buch das Land auf.
Seine einfache Botschaft: Die
Rendite kommt viel zu kurz.

Patriarch Luciano Benetton
beruft den Luxus-Manager
zum CEO. Das italienische
Modeunternehmen ist in
einer schwierigen Phase.

H. Hackl, G. Schneider

Ein Duo für


Bogner


B


ogner kommt nicht zur Ru-
he. Nach zweieinhalb Jahren
gibt Vorstandschef Andreas
Baumgärtner Ende des Monats sein
Amt auf, teilte das Familienunter-
nehmen am Montag mit. Das habe
persönliche Gründe. Der Manager
stehe aber als Berater weiter zur
Verfügung und werde sich „maß-
geblich in die Ausrichtung und Kon-
zeption der Kollektionen einbrin-
gen“.
Baumgärtners Nachfolger stehen
schon bereit: Finanzchefin Gerrit
Schneider sowie der bisher für den
Vertrieb verantwortliche Heinz
Hackl würden Co-CEOs. Das Duo
werde die strategische Neuausrich-
tung und Weiterentwicklung des
Sportmode-Labels fortsetzen.
„Ich bedauere die Entscheidung
von Andreas Baumgärtner, als CEO
auszuscheiden“, sagte Arndt Gei-
witz, der als Treuhänder die Gesell-
schafterrolle von Willy Bogner, 78,
wahrnimmt. Der Eigentümer hat
sich im Herbst aus dem Tagesge-
schäft zurückgezogen. Bogner hatte
vor ein paar Jahren versucht, das
Unternehmen mithilfe von Gold-
man Sachs zu verkaufen. Doch die
Interessenten passten Bogner nicht.
Außerdem lag der angebotene Kauf-
preis unter seinen Erwartungen.
Auch bei Personalien hatte Bog-
ner nicht immer eine glückliche
Hand. So entschloss er sich nach
vielen Jahren an der Firmenspitze,
für einen externen Vorstandschef
Platz zu machen. Doch nach nicht
einmal einem Jahr musste Alexan-
der Wirth wieder gehen. Daraufhin
verpflichtete er den ehemaligen
Marc-O‘Polo-Vorstand Baumgärtner.
Der stoppte den sinkenden Umsatz
und begann, das Image und die Kol-
lektion der Traditionsmarke zu ver-
jüngen. Nun ist auch diese Ära wie-
der vorbei. Der Turnaround sei al-
lerdings geschafft und die
Geschäftsentwicklung weiter posi-
tiv, sagte Baumgärtner. „Für mich
ist daher jetzt der richtige Zeit-
punkt, Verantwortung abzugeben,
um mehr Zeit für meine Familie zu
haben“, erklärte der Manager.
Den letzten veröffentlichten Zah-
len zufolge erzielte Bogner 157 Mil-
lionen Euro Umsatz und einen be-
scheidenen Gewinn. Die Entwick-
lung im Geschäftsjahr 2019/20
bestätigte die Neuausrichtung und
die Attraktivität der neuen Kollek-
tionen, teilte die Firma nun mit.
Umsatz und operatives Ergebnis sei-
en gewachsen. Bogner werde die
Zahlen bald kommunizieren.
Wie auch immer die ausfallen:
Auf die neuen Co-CEOs wartet viel
Arbeit. Reihenweise sind in den ver-
gangenen Jahren deutsche Modela-
bels pleitegegangen. Joachim Hofer

Familienunternehmen des Tages


MITTWOCH, 11. MÄRZ 2020, NR. 50
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