Handelsblatt - 11.03.2020

(singke) #1
Giuseppe Conte

Im Zeichen der Seuche


Regina Krieger Rom

E


s hat ein paar Tage gedauert – und es
gab mehr als eine Kommunikations-
panne. Doch jetzt hat er den richti-
gen Ton getroffen. Beruhigend, ernsthaft
und ohne falsches Pathos eröffnete Italiens
Premier Giuseppe Conte am Montagabend
seinen Landsleuten, dass ihr Alltag für die
kommenden vier Wochen ganz anders aus-
sehen wird als bisher.
Der 55-Jährige wählte die richtigen Worte.
„Es bleibt keine Zeit mehr, um das Coronavi-
rus zu bekämpfen“, sagte er. „Jeder muss
auf etwas verzichten zum Wohl Italiens.“
Und das müsse sofort geschehen. „Heute
geht es um Verantwortung, wir dürfen nicht
nachlässig werden.“
Der Jurist, den sie in Italien „den Advoka-
ten“ nennen, weiß genau, wie wenig Bürger-
sinn und Staatsempfinden in dem Land ver-
ankert sind. Der Individualismus ist stärker.
Schon als der Norden abgeriegelt wurde,
gab es zahllose Berichte in den sozialen Me-
dien, in denen sich Menschen damit brüste-
ten, den Anweisungen nicht zu folgen – und
fröhlich Massenpartys feierten. Die Gefahr
des Coronavirus wurde nicht ernst genom-
men. Doch dann stiegen die Zahlen der Infi-
zierten und der Toten dramatisch an.

Ökonomische Folgen
In Rom heißt es, Conte habe die Entschei-
dung getroffen, die Bewegungsfreiheit der
Menschen einzuschränken, weil ihm Ge-
sundheitsexperten dringend dazu geraten
hätten. Die Betten auf den Intensivstationen
würden knapp, und das Gesundheitssystem
sei im Süden bei Weitem nicht so effizient
aufgestellt wie in der Lombardei. Doch Con-
te habe mit Blick auf die schwerwiegenden
ökonomischen Folgen für das verschuldete
Land noch gezögert.
Ein Grund für sein hartes Dekret, das vor-
erst bis zum 3. April gilt und das italienische
Medien die „drastischsten Maßnahme, die je
eine Demokratie ergriffen hat“, getauft ha-
ben: Die politischen Gegner sitzen ihm im
Nacken. Allen voran Lega-Chef Matteo Salvi-
ni, der seit Tagen lauthals in bester populis-
tischer Manier ein noch drastischeres Vorge-

hen und Milliardenhilfen im zweistelligen
Bereich fordert. Aber auch Contes Amtsvor-
gänger Matteo Renzi bedrängt den Premier
und stellt täglich neue Forderungen. Dazu
kommen die eigenmächtigen Landesfürs-
ten, viele sind in der Lega engagiert.

Innenpolitischer Streit
Der seit Monaten andauernde innenpoliti-
sche Streit ist auch in den Krisentagen nicht
verstummt. Contes Problem ist, dass er an
der Spitze einer schwachen Regierung steht.
Erst seit September 2019 regieren die ehe-
mals verfeindeten Sozialdemokraten der PD
und die Bewegung Fünf Sterne, die in den
Umfragen komplett eingebrochen ist. Sie al-
le eint nur, Neuwahlen vermeiden zu wol-
len, denn die würden der fremdenfeindli-
chen Lega den Sieg bringen. Viel hat die
neue Koalition seit Amtsantritt nicht ge-
schafft, weil jede Vereinbarung am internen
Streit und dem Oppositionsfeuer scheiterte.
Die Liste der Probleme ist lang, vor allem in
der Industriepolitik. Die Zukunft der Flugge-
sellschaft Alitalia und die Rückkehr der ver-
staatlichten Bank Monte dei Paschi an den
Markt sind nur zwei Beispiele von vielen.
Die Coronakrise kommt Conte nun zugu-
te. Der Wahlkampf für die anstehenden Re-
gionalwahlen im Frühling ist gestoppt, ein
Referendum über die Verkleinerung des
Parlaments verschoben. Der ewige Streit ist
nicht mehr so beherrschend wie bisher.
Schon lange ist der parteilose Premier in
den Umfragen der beliebteste Politiker in
Italien. Und das, obwohl er erst seit Juni
2018 Chef der Populistenregierung von Lega
und Fünf Sternen war und jetzt einer zwei-
ten, ganz anderen Koalition vorsteht. Die
Menschen mögen den stets elegant gekleide-
ten Anwalt aus Apulien, der seine Profile im
Internet mit schönen Bildern seiner Besu-
che im Land füllen lässt.
Doch Kommunikationsfehler wie zu Be-
ginn der Coronakrise zeigen, dass er seine
Regierung nicht vollständig unter Kontrolle
hat. So wurden zweimal Dekrete geleakt,
bevor sie in geänderter Form umgesetzt
wurden. Einmal ging es um die Schließung
der Schulen, dann um die ersten drasti-
schen Maßnahmen in der Lombardei und
den anderen Provinzen im Norden. In bei-
den Fällen kam es zu Panikreaktionen.
Es sieht so aus, als ob es jetzt besser läuft.
Gelingt es Italien, die Seuche zu beherr-
schen, kann die Regierung Conte länger hal-
ten als viele andere bisher.

Giuseppe Conte:
In Umfragen der
beliebteste
Politiker Italiens.

laif/CAMERA PRESS/Attili/HO Chig


Es bleibt


keine Zeit


mehr, um das


Virus zu


bekämpfen,


jeder muss auf


etwas ver -


zichten zum


Wohl Italiens.


Giuseppe Conte
Italiens Premier

BusinessLounge


Leere Ränge: Stella
Kyriakides, EU-Koor-
dinatorin im Kampf ge-
gen das Coronavirus, be-
tritt einen leeren Plenarsaal
in Brüssel. Der nächste EU-Gipfel am 26. März
soll allerdings wie geplant stattfinden.

Richtig reinigen:
Bayerns Ministerprä-
sident Markus Söder
(CSU) desinfiziert
sich vor Beginn einer
Sitzung des bayeri-
schen Kabinetts die
Hände. Thema des
Treffens ist unter
anderem der Kampf
gegen die Ausbrei-
tung des Corona -
virus im Freistaat.

R B s ( s S s H T a g t v

Beziehungspflege: Beim „Deutsch-Griechischen
Wirtschaftsforum“ in Berlin trifft Bundeswirt -
schafts minister Peter Altmaier (CDU, M.) seinen
griechischen Kollegen Adonis Georgiadis (r.)
und DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansle-
ben.

Beziehungspflege:Beim Deutsch Griechischen

Eine Branche prägen: Die Geschäftsführerin des
französischen Spieleentwickler-Studios Spiders,
Jehanne Rousseau, erhält im „Theatre de la
Madeleine“ in Paris die Auszeichnung „Video
Game Personality of the Year“.

Eine Branche prägen:Die Geschäftsführerin des

AFP, AFP/Getty Images, dpa, AFP/Getty Images

Italiens Premier regiert ein Land im
Ausnahmezustand. Die
Bevölkerung steht hinter ihm –
doch die Opposition sucht Streit.

a
or-
ge-
s, be-
enarsaal
hste EU-Gipfel am 26. März

Namen des Tages


MITTWOCH, 11. MÄRZ 2020, NR. 50
47
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