Handelsblatt - 11.03.2020

(singke) #1

W


ährend die Unternehmen mit
den Folgen des Coronavirus
kämpfen, baut sich in Brüssel
und Berlin eine weitere Ver-
änderung der ökonomischen
Rahmenbedingungen auf. Es drohen Strafzahlun-
gen für nicht eingehaltene Klimaziele, und die
deutsche Wirtschaft wird von diesen Strafen be-
sonders betroffen sein.
Ein vor wenigen Tagen veröffentlichtes Gutach-
ten der Bundesregierung stellt fest, dass das eigene
Klimaschutzprogramm 2030 bei Weitem nicht aus-
reichen wird, um die zugesagten Emissionsminde-
rungsziele zu erreichen. Schlimmer noch: Der
Rückstand wird im Laufe der nächsten zehn Jahre
weiter anwachsen, vor allem bei Verkehr und Im-
mobilien verfehlt Deutschland die gesteckten Ziele
deutlich. Die Bundesregierung steht unter Druck,
da erhebliche Strafzahlungen drohen, wenn die
Klimaziele nicht eingehalten werden. Und dieser
Druck wird an die Wirtschaft weitergegeben.
Daraus ergeben sich für die Unternehmen zum
Teil deutliche Konsequenzen. Sie haben die Wahl
zwischen Umbau und Anpassung des Geschäfts-
modells oder immensen Strafen und noch mehr
Regulierung. Bereits 2018 hat die EU vorgegeben,
dass Deutschland bis 2030 die Emissionen um 38
Prozent im Vergleich zum Basisjahr 2005 reduzie-
ren muss. Bis 2050 soll Europa „dekarbonisiert“
sein. Das neue EU-Klimagesetz wird diese Anfor-
derungen des beeindruckenden Green Deal ver-
schärfen und die Ziele mit entsprechenden Sank-
tionen unterlegen.
Wie hart das werden kann, spürt die Autoin-
dustrie schon heute. Die EU wird ab diesem Jahr


für jedes Gramm CO 2 -Ausstoß über dem Grenz-
wert für die Flotten der einzelnen Hersteller ei-
nen Strafzettel in Höhe von 95 Euro ausstellen.
Ratingagenturen und Industrieanalysten gehen
von Strafzahlungen bis zu insgesamt 14 Milliarden
Euro pro Jahr aus. Das entspricht etwa einem
Zehntel des operativen Gewinns der Automobilin-
dustrie. Aber diese Härten sind vermeidbar,
wenn jetzt richtig gehandelt wird. Der European
Green Deal kann zur Jahrhundertchance für den
Kontinent und die Unternehmen in Deutschland
werden. Mit einem ambitionierten Umbaupro-
gramm würde vor allem Deutschland zum Leit-
markt für Zukunftstechnologien werden – und
zwar in allen Sektoren: Automobil, Energie, Ge-
bäude, Logistik, Chemie, Handel.
Die Wirtschaft ist schon weiter, als die Öffent-
lichkeit wahrnimmt. Europa ist im Automobilbe-
reich mit einer großen Modelloffensive auf dem
Weg zum Weltmarktführer für Elektromobilität.
Wesentliche Patente in diesem Bereich werden
von deutschen Unternehmen gehalten. Im Be-
reich autonomes Fahren sind 58 Prozent aller
weltweiten Patente in deutscher Hand. Deutsche
Unternehmen haben Lösungen für den gefahrlo-
sen Transport von hochexplosivem Wasserstoff,
dem wichtigsten Speichermedium für erneuerba-
re Energien und Transmissionsriemen der Sek-
torkopplung weltweit, oder die effiziente Um-
wandlung von grünem Strom in Wärme für Ge-
bäude durch den Einsatz von Infrarotmatten.
Jetzt kommt es darauf an, die richtigen Unterneh-
mensstrategien zu finden und die passenden Ak-
teure zu vernetzen, um die neuen Märkte zu er-
obern. Damit ergeben sich insbesondere für die eu-

ropäischen Unternehmen große Chancen aus dem
Green Deal. In Brüssel werden derzeit diverse Richt-
linien zu erneuerbaren Energien, Energieeffizienz,
Autos und Lkws, Gebäude, Kreislaufwirtschaft und
Öko-Design von Produkten aktualisiert. Neben die-
sen regulatorischen Maßnahmen schlägt die Kom-
mission aber auch vor, Milliarden in den kohlen-
stoffarmen Umbau der Wirtschaft zu investieren.
Beides gehört zusammen und kann für eine Neu-
ausrichtung in den Unternehmen genutzt werden.
Der Green Deal ist das größte europäische Wirt-
schaftsprogramm seit dem Marshallplan. Die EU-
Kommission unter Führung von Ursula von der
Leyen hat das gesellschaftliche Großthema Klima-
wandel in ein Wirtschaftsprogramm verwandelt
und wird die Mitgliedstaaten und die Unterneh-
men vor sich hertreiben. Man mag diese Kompe-
tenzerweiterung und die damit verbundenen Fi-
nanzierungsinstrumente kritisieren.
Aber Brüssel setzt eine klare Agenda und er-
zeugt damit Planungssicherheit für die Wirtschaft,
während die Mitgliedstaaten mit halbherzigen
Programmen eher für Verwirrung sorgen. Der
Kurs steht fest: Bis 2050 muss Europa dekarboni-
siert sein. Klimastrafen sind wirtschaftliche Kos-
tenfaktoren ganz neuer Art. Immer mehr Unter-
nehmen erkennen die neue Wachstumsformel:
Strafrisiken vermeiden, bei Investitionen die För-
derungen berücksichtigen, Marktanteile der Zu-
kunft sichern.

Aktiv beim


Klimaschutz


Unternehmen können mit einer klaren


Strategie Strafzahlungen vermeiden, sagt


Bernhard Lorentz.


Der Autor ist Managing Partner Markets
Germany, Switzerland & Austria bei EY und
Leiter EYCarbon – Beratung für
klimainduzierte Transformation.

EY [M]

Der


European


Green Deal


kann zur


Jahrhundert -


chance für


den Kontinent


und die


Unternehmen


in Deutschland


werden.



 
 

  
 


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Gastkommentar
MITTWOCH, 11. MÄRZ 2020, NR. 50
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