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Gegenwart der Besucherin gesagt haben, und ich muss dabei gestottert haben,
denn die Freundin drückte beim Verabschieden gegenüber meiner Mutter
ihre Sorge über den Umstand aus, dass ich offenbar stotterte.
Vielleicht auch aufgrund dieser Stigmatisierung versuchte ich in der Folge,
mein Stottern so gut es ging zu vertuschen. Im Unterricht auf dem Gymnasi-
um etwa hatte ich irgendwann ein gutes Gespür dafür entwickelt, wann ich
ins Stottern kommen würde und wann nicht. Es war eine Art siebter Sinn, so
etwas wie eine prophetische Gabe, die sich zu fast hundert Prozent als zuver-
lässig erwies. War die Luft rein, musste ich nichts weiter tun als meine Beiträ-
ge wie geplant abzuliefern. Witterte ich hingegen das Stottern, stellte ich
meine ursprünglichen Sätze so um, dass ich nicht in Blockaden geriet oder
fügte alternative Begriffe für diejenigen Wörter ein, die Stottern signalisier-
ten.
Um mein Taschengeld aufzubessern nahm ich als Jugendlicher die ersten Jobs
an. In einem Winter hatte ich eine Arbeit zu erledigen, die darin bestand, in
Wohnhäusern den Stand der Wasserzähler abzulesen und aufzuschreiben. Es
hatte geschneit, ich stapfte durch den matschigen Schnee und auf den Weg-
strecken zwischen den Häusern überlegte ich, wie ich den Anwohnern den
Grund meines Kommens verständlich machen konnte, ohne dabei ins Stot-
tern zu geraten. „Ich möchte gerne ihren Wasserzähler ablesen.“ Das wäre der
gewöhnliche Wortlaut gewesen, funktionierte bei mir aber nicht, da ich bei
Wörtern auf „W“ meistens stecken blieb. So entschied ich mich für eine ande-
re Variante. „Ich möchte gerne ihren Zähler ablesen.“ Welchen Zähler ich
meinte, konnten die Leute ja dann immer noch erfragen, so dass ich nur mit
„Ja“ oder „Nein“ zu antworten brauchte. Ein Bewohner fand sich allerdings
besonders lustig, als er auf mein Sprüchlein hin entgegnete, nein, das gehe
nicht, er habe gar keinen Zähler, da könne man nichts ablesen. Heute könnte
ich über den Witz wahrscheinlich lachen. So, als ob ich von der Krankenkasse
käme oder vom Gesundheitsamt und alle Anwohner über einen Schrittzähler
auf deren Fitness hin überprüfen würde. Damals fand ich das aber überhaupt
nicht komisch. Ich wollte doch nur meinen Job erledigen und dabei möglichst
wenig stottern.
Meine Vertuschungsversuche waren nichts Besonderes, ganz und gar nicht.
Wer bei sich selbst und durch die Mitmenschen gespiegelt Abweichungen