AUSLAND
Nr. 2 / 8.1.2022DER SPIEGEL 103
arbeitern Papiere für Meetings zusammen
stellen lassen und diese dann nur oberflächlich
durchgelesen. Eigene Fehler habe sie anschlie
ßend auf die mangelnde Vorbereitung durch
ihr Team geschoben.
»Wie soll sie ein Land zusammenführen,
wenn sie nicht einmal ihr eigenes Büro zu
sammenhalten kann?«, fragt Duran. Noch
drastischer formuliert es ein demokratischer
Stratege, der sich nicht namentlich zitieren
lassen will: »Ihr Vizepräsidentenbüro ist eine
Shitshow. Und ihre Präsidentschaftskam
pagne war eine Shitshow.«
Als Harris im Januar 2019 ankündigte, in
das Rennen um die demokratische Präsident
schaftskandidatur einzusteigen, galt sie für
ein paar Monate als aussichtsreiche Bewer
berin – eine charismatische und energische
Juristin, die bei Anhörungen im Senat mit
ihren Fragen die Republikaner das Fürchten
gelehrt hatte.
Aber bald stellten sich viele Demokraten
die Frage, wofür Harris eigentlich steht. Ber
nie Sanders war der Mann des linken Lagers,
Biden wollte nach Trump wieder mit Anstand
und Umsicht regieren; von Harris wusste
man im Grunde nur, dass sie ins Weiße Haus
will.
Dazu kam, dass die Organisation ihrer
Kampagne mit dem Wort dilettantisch noch
schmeichelhaft umschrieben war. Sie wurde
geführt von Harris’ jüngerer Schwester Maya.
Mitte November 2019 verschickte Kelly
Mehlenbacher, Harris’ Kampagnendirektorin
für die Bundesstaaten, einen bitterbösen Ab
schiedsbrief. »Dies ist meine dritte Präsident
schaftskampagne, und ich habe noch nie er
lebt, dass Mitarbeiter so schlecht behandelt
worden sind. Es sind noch 90 Tage bis zum
Iowa Caucus, und wir haben immer noch kei
nen echten Plan, wie wir gewinnen wollen.«
Den brauchte Harris dann nicht mehr. An
fang Dezember 2019 schied sie aus dem Ren
nen aus, was wohl auch daran lag, dass sie
selbst in ihrem Heimatstaat Kalifornien in den
Umfragen weit abgeschlagen hinter Sanders
und Elizabeth Warren lag, der Senatorin aus
Massachusetts.
Biden entschied sich dennoch für Harris,
aber die Kronprinzessin ist sie längst nicht
mehr. »Ich kenne niemanden bei den Demo
kraten, der glaubt, Harris hätte noch Chan
cen«, sagt ein demokratischer Parteistratege.
Der Job des Vizepräsidenten war schon
immer schwierig. Harris sitzt in der Zentrale
der Macht, aber wie all ihre Vorgänger hängt
sie ganz von der Gunst des Chefs ab. Jeder
Vizepräsident hat nur so viel Einfluss, wie die
Nummer eins abgibt, weshalb schon viele
Politiker dankend abgelehnt haben.
»Ich habe nicht vor, mich in einen Sarg zu
legen, bevor ich tot bin«, sagte angeblich der
Kongressabgeordnete Daniel Webster, als ihm
Mitte des 19. Jahrhunderts der Job angeboten
wurde.
Man kann Harris nicht vorwerfen, dass sie
sich um schwierige Aufgaben gedrückt hätte.
Im Auftrag Bidens kümmert sie sich um das
Thema Migration und die Krise an der mexi
kanischen Grenze.
Außerdem soll sie dafür sorgen, dass der
Kongress neue Gesetze auf den Weg bringt,
die verhindern sollen, dass die Republikaner
in den Bundesstaaten den Wahlprozess zu
ihren Gunsten manipulieren. Es sind poli
tische Himmelfahrtskommandos.
Jeden Monat versuchen Zehntausende Mi
granten aus Lateinamerika, irregulär in die
USA zu gelangen, und wie es die Regierung
in Washington auch macht, ist es falsch. Das
Dilemma zeigte sich zuletzt im Herbst, als
sich Tausende Flüchtlinge aus Haiti an einer
Brücke am texanischen Grenzort Del Rio
drängten.
Menschenrechtsaktivisten kritisierten die
Regierung, weil sie allein reisende Männer in
Flugzeuge der U. S. Coast Guard steckte und
gegen ihren Willen zurück in die Heimat flog.
Auf der anderen Seite tobten die Republi
kaner, weil Familien mit Kindern häufig der
Stellvertreterin Harris: Ihre Wahl wirkte wie eine Selbstverständlichkeit
Shawn Thew / epa-EFE
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