AUSLAND
104 DER SPIEGELNr. 2 / 8.1.2022
des »New York«-Magazins auf Twit-
ter, wie unglücklich Harris’ Team über
das Bild sei. Aus dem Weißen Haus
kam kein Dementi. Deshalb erschien
dann eine ganze Serie von Artikeln
darüber, dass es respektlos sei, eine
angehende Vizepräsidentin in Frei-
zeitschuhen zu zeigen. »Vogue«-Che-
fin Wintour sah sich genötigt, öffent-
lich zu erklären, es sei niemals ihre
Absicht gewesen, »die Bedeutung des
unglaublichen Sieges der kommenden
Vizepräsidentin zu schmälern«.
Wenn es die Absicht von Harris
war, ihren Ruf als abgehobene Politi-
kerin zu festigen, dann ist ihr das
zweifellos gelungen. Nur können die
Demokraten derzeit nichts weniger
gebrauchen als das Image, ein elitärer
Klub zu sein.
Die Wählerschaft der Parteien in
den USA hat sich in den vergangenen
Jahren dramatisch verändert. Weiße
Männer und Frauen ohne Hochschul-
abschluss, über Jahrzehnte die Basis
der Demokraten, sind 2016 in Massen
zu den Republikanern übergelaufen.
Es war Trumps Leistung, die Repu-
blikaner endgültig zur neuen Arbei-
terpartei der USA geformt zu haben.
Biden wollte dies rückgängig ma-
chen. Zugleich sollte Harris dabei hel-
fen, schwarze und hispanische Wähler
anzusprechen. Das ging spektakulär
schief. Laut einer ausführlichen Wahl-
analyse des Pew Instituts aus dem
Sommer 2021 konnte Trump bei Ame-
rikanern ohne Hochschulabschluss
sogar noch zulegen, ebenso bei Frauen
sowie schwarzen und hispanischen
Wählern. Biden siegte nur deshalb,
weil sich gebildete Männer in den Vor-
städten von Trump abwendeten.
Die Wahl 2020 setzte also einen
Trend fort, der sich schon 2016 ab-
gezeichnet hatte: Die Demokraten
werden mehr und mehr die Partei
des gebildeten Amerikas, während
die Republikaner jene Wähler an-
sprechen, die nur einen Highschool-
Abschluss haben – und zwar un-
abhängig von der Hautfarbe. Das
Problem dabei ist, dass nur rund
40 Prozent der Amerikaner ein Col-
lege oder eine Universität besucht
haben – weshalb die Macht der
Demokraten am seidenen Faden
hängt.
Wenn die Partei weitermache wie
bisher, werde sie bei den Kongress-
wahlen im November eine vernich-
tende Niederlage einstecken, sagt Da-
vid Shor, einer der bekanntesten de-
mokratischen Datenanalysten. »Ich
denke, unsere größte Herausforde-
rung ist, die Partei so zu positionieren,
dass sie Arbeiter nicht abschreckt«,
sagt Shor. »Wenn Harris sich wirklich
profilieren will, dann sollte sie diese
Gelegenheit er greifen.«
Allerdings gibt es bei den Demo-
kraten große Zweifel, ob Harris die
Wende noch schaffen kann. Seit sie
am 20. Januar vergangenen Jahres ihr
Amt übernommen hat, sind ihre
Popularitätswerte drastisch abge-
stürzt. Nun, nach einem Jahr, sind sie
schlechter als die ihrer republikani-
schen Vorgänger Mike Pence und
Dick Cheney.
Weil die Demokraten die Schwä-
che der Vizepräsidentin sehen, hat
jetzt schon ein internes Schaulaufen
begonnen. Verkehrsminister Pete
Buttigieg bringt sich ebenso in Stel-
lung wie die Senatorinnen aus Mas-
sachusetts und Wisconsin, Elizabeth
Warren und Amy Klobuchar. Beide
Frauen haben schon durchblicken las-
sen, dass sie im Jahr 2024 noch ein-
mal antreten könnten.
Immer vorausgesetzt freilich, dass
Biden nicht will. Er wäre im Jahr 2024
82 Jahre alt. Viele lässt die Vorstel-
lung gruseln, das Schicksal Amerikas
und der Welt noch einmal in die Hän-
de eines Mannes zu legen, dem man
das Alter bei jedem Schritt ansieht.
Andererseits war Biden 2020 die rich-
tige Mischung, um Trump zu schla-
gen: nicht zu schrill, nicht zu links,
nicht zu rechts.
Der Präsident habe es immerhin
geschafft, die Konjunktur wieder an-
zukurbeln und die Amerikaner
schnell mit Covid-Impfstoff zu ver-
sorgen, sagt der demokratische Par-
teimanager Roshan Patel. »Natürlich
ist es noch lange hin bis 2024, aber
ich denke, Joe Biden zeigt gerade,
dass er noch einmal wiedergewählt
werden will.«
Eintritt in die USA gewährt wurde.
Es war eine Lage, bei der es für Har-
ris nichts zu gewinnen gab.
Ähnlich vertrackt sieht es bei der
Reform der Wahlgesetze aus. Der lin-
ke Flügel der Demokraten und viele
Bürgerrechtsgruppen warnen zu
Recht davor, dass den USA bei der
nächsten Präsidentschaftswahl ein
Coup bevorstehen könnte. Die Re-
gierung müsse jetzt aktiv werden und
verhindern, dass republikanisch do-
minierte Parlamente in den Bundes-
staaten die Wahlkreise so zuschnei-
den, dass die Republikaner fast nur
gewinnen können.
Aber um neue Gesetze zu verab-
schieden, müsste der Senat zunächst
einmal den sogenannten Filibuster
abschaffen, jenen formalen Trick, der
den Republikanern eine faktische
Sperrminorität sichert. Das aber
scheitert am Veto des demokrati-
schen Senators Joe Manchin, der
auch Bidens billionenschweres So-
zial- und Klimapaket blockiert.
Es sei für Vizepräsidenten schon
immer schwer gewesen, ihre Rolle zu
finden, sagt Roshan Patel, der die Ver-
einigung der demokratischen Vize-
gouverneure leitet und seit Jahren
Kampagnen für die Demokraten or-
ganisiert. Biden habe eine Partnerin
gesucht, mit der er intern Ideen testen
kann und die öffentlich seine Projek-
te unterstützt. »Diese Partnerin hat
er in Harris gefunden«, glaubt Patel.
Als Harris vor ein paar Wochen
wieder einmal wegen prominenter Ab-
gänge aus ihrem Büro in einem Sturm
negativer Schlagzeilen stand, stellte
sich Bidens Sprecherin Jen Psaki
demonstrativ vor Harris. Sie erklärte,
die Vizepräsidentin müsse auch des-
halb so heftige Anwürfe aushalten,
weil sie als erste Frau im Amt kriti-
scher betrachtet werde als ein Mann
- was auch stimmt. Schon im Wahl-
kampf malte Donald Trump an dem
Klischee von Harris als verbissen ehr-
geiziger Frau und nannte sie ein
»Monster« und »total unliebens-
würdig«.
Andererseits hat Harris das Talent,
die schönsten Geschichten in ein Dra-
ma zu verwandeln. Noch bevor sie
vereidigt worden war, heuerte die
amerikanische »Vogue« den schwar-
zen Starfotografen Tyler Mitchell an,
der die künftige Vizepräsidentin für
das Modemagazin ablichten sollte.
Harris ließ sich darauf ein, und
»Vogue«-Chefin Anna Wintour ent-
schied sich dafür, Harris leger in Con-
verse-Schuhen auf dem Titelblatt zu
zeigen.
Doch noch bevor das Magazin am
Kiosk lag, berichtete ein Journalist René Pfister n
Es gibt bei den
Demokraten
große Zweifel,
ob die Vize-
präsidentin
die Wende
noch schaffen
kann.
Beraterin Sanders:
Erst verteidigte sie
die Vizepräsidentin,
dann kündigte sie
selbst
M. Scott Mahaskey / Politico / AP
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