Der Spiegel - ALE (2022-01-08)

(EriveltonMoraes) #1
Nr. 2 / 8.1.2022DER SPIEGEL 11

Kühnert greift
Unionsspitze an
RECHTSPOPULISMUS SPD-
Generalsekretär Kevin Kühnert
kritisiert den Umgang der CDU-
Führung mit dem umstrittenen
Ex-Verfassungsschutzchef
Hans-Georg Maaßen (CDU).
Die Debatte über dessen »fort-
währende politische Grenzüber-
schreitungen und Hetze« sei
mehr als eine interne Auseinan-
dersetzung über das Meinungs-
spektrum einer konservativen
Partei. Die CDU trage eine ge-
sellschaftliche Verantwortung
dafür, sich Menschenfeindlich-
keit und Verschwörungsmythen
unmissverständlich entgegenzu-
stellen, so Kühnert. »Dieser
Verantwortung wird die CDU

seit Monaten aus Bequemlich-
keit und Überforderung nicht
gerecht«. Aus den Beteuerun-
gen von Armin Laschet und
Friedrich Merz, man werde sich
konsequent gegen Rechtsaußen
abgrenzen, folge bislang nichts,
kritisiert Kühnert. Dabei gehe
es nicht nur um ein mögliches
Parteiausschlussverfahren gegen
Maaßen, sondern um die
Durchsetzung einer Überzeu-
gung in den eigenen Reihen.
»Stattdessen lässt man sächsi-
sche CDU-Kommunalpolitiker
ungestraft die Klaviatur der
selbst ernannten Querdenker
spielen, und die CDU Thürin-
gen lädt Maaßen zu einem päd-
agogischen Kaffeekränzchen
vor, das ihn wenig beeindrucken
wird«, so Kühnert. CTE

Christoph Ploß
wittert SPD-Filz
BUNDESTAGSWAHL Der Ham-
burger CDU-Landeschef Chris-
toph Ploß wirft der SPD in der
Hansestadt Vetternwirtschaft im
Wahlkampf vor. Hintergrund ist
ein neun Millionen Euro schwe-
rer Auftrag der Stadt an eine
Firma, die zu 50 Prozent dem
Unternehmer Nico Lumma ge-
hört. »Wer wie Herr Lumma ak-
tiv Wahlkampf für die SPD
macht, wird offenbar mit Ham-
burger Steuergeldern in Millio-
nenhöhe belohnt«, sagt Ploß.
»Die SPD macht sich die Stadt
zur Beute.« Im Hamburger Rat-
haus führt die SPD eine Koali-
tion mit den Grünen. Die Fi-
nanzbehörde unter SPD-Sena-

tor Andreas Dressel hatte Lum-
mas Firma damit beauftragt, ein
Programm zu entwerfen, um
Finanzmarkt-Start-ups an die
Elbe zu locken. Der Auftrag er-
folgte im Sommer ohne Aus-
schreibung. Die Finanzbehörde
erklärte, es handele sich um
zeitlich befristete Corona-Mit-
tel, die schnell verteilt werden
müssten. Lumma, der der Me-
dien- und netzpolitischen Kom-
mission des SPD-Parteivor-
stands angehört, hatte vor der
Bundestagswahl im Internet für
die SPD geworben. Die Ham-
burger Finanzbehörde und die
SPD in der Stadt wiesen die
Vorwürfe von Ploß entschieden
zurück. Der Auftrag habe nichts
mit dem Engagement Lummas
für die SPD zu tun gehabt. SMS

DER GESUNDE MENSCHENVERSTAND


Der Wendler der CDU


Von Markus Feldenkirchen

H


ans-Georg Maaßen ist
wieder mal einer ganz
heißen Sache auf der
Spur. Der Mann hat, das muss
man ihm lassen, einfach ein
Näschen für die ganz großen
Verschwörungen gegen unser
schönes Vaterland. In einem
Interview auf hallo-meinung.
de (das heißt wirklich so) äu-
ßerte Spürnase Maaßen nun
»den Anfangsverdacht«, dass
die Coronapandemie von
»Politikern« genutzt werde,
um den Staat autoritärer zu
machen und den Bürgern die
Freiheit zu rauben. Das wär
natürlich weniger schön.
Man muss nun wissen, dass
sich Maaßen seinen Verdacht
nicht einfach so aus den Fin-
gern gesogen hat. Nein, er
verweist – wie viele seiner auf
Raunen spezialisierten Kum-
pel – auf ein Buch des Grün-
ders des Weltwirtschafts-
forums, Klaus Schwab. Titel:
»COVID-19: Der große Um-
bruch«. Gerade in rechtsex-
tremen Kreisen wird das Buch
gern als Beweis herangezogen,
dass eine internationale Fi-
nanzelite im Verbund mit der
Politik eine neue Weltordnung
zu ihrem Vorteil einführen
wolle – und die Pandemie da-
für als Vorwand nehme. Attila
Hildmann und Michael Wend-
ler dürfte das gefallen.
Maaßen verbreitete auch
den »bewegenden Appell
von Prof. Bhakdi«, in dem
Sucharit Bhakdi einen Stopp
der Coronaimpfungen fordert,
weil diese unzählige Men-
schenleben kosten würden
und mit Hinrichtungen gleich-
zusetzen seien. Dass die Ge-
neralstaatsanwaltschaft von
Schleswig-Holstein gegen
Prof. Bhakdi wegen des Vor-
wurfs der Volksverhetzung er-
mittelt, juckt den Hinrich-
tungsexperten der CDU nicht.
Mittlerweile habe ich, was
Maaßen betrifft, selbst den

einen oder anderen Anfangs-
verdacht. Bevor er zum Chef
des Bundesamts für Verfas-
sungsschutz befördert wurde,
war es so, dass der Dienst die
Gesellschaft unter anderem
vor Verschwörungstheoreti-
kern schützen sollte. Mit Maa-
ßen saß ein solches Exemplar
dann plötzlich selbst an der
Spitze und raunte eifrig rum.
Im Sommer 2018 sah der
oberste Verfassungsschützer
beispielsweise »gute Gründe«,
dass das Video eines Angriffs
auf Migranten in Chemnitz
»eine gezielte Falschinforma-
tion« sei, »um die Öffentlich-
keit von dem Mord in Chem-
nitz abzulenken«. Stattdessen

witterte er eine linke Verschwö-
rung. Man fragt sich heute
noch, wie jene Politiker, die ihn
damals beriefen, derart dane-
bengreifen konnten. Oder folg-
te alles einem perfiden Plan
des damaligen Innenministers
Hans-Peter Friedrich (CSU),
der mit Maaßens Berufung
testen wollte, ob der Verfas-
sungsschutz in der Lage ist,
Schwurbler in den eigenen
Reihen zu identifizieren?
Der andere Anfangsver-
dacht lautet, Maaßen sei ein
von SPD und Grünen finan-
zierter Agent mit dem Auf-
trag, dem politischen Konkur-
renten größtmöglichen Scha-
den zuzufügen. Demnach, so
die Theorie, soll Maaßen von
Monat zu Monat immer grö-
ßeren Stuss verzapfen, um
öffentlich vorzuführen, wie
sehr die CDU-Führung sich
zu winden und zu blamieren
bereit ist, um jenen Mann bei
Laune zu halten, von dem sie
sich einst die Zustimmung
der AfD-Wähler erhoffte.

Man fragt sich, wie
jene Politiker,
die Maaßen damals
beriefen, so daneben-
greifen konnten.

An dieser Stelle schreiben Markus Feldenkirchen und Alexander Neubacher
im Wechsel.

Nachgezählt


Digitale Sprechstunden
in deutschen Arztpraxen

S Quelle: McKinsey & Company

Weniger als 3000
Arzt-Patienten-Gespräche
fanden 2019 digital statt.

2, 7


Millionen
Gespräche waren
es 2020.

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