Der Spiegel - ALE (2022-01-08)

(EriveltonMoraes) #1
WISSEN

122 DER SPIEGELNr. 2 / 8.1.2022

B


einahe wie ein zartes Meerestier wellt
sich das dünne Stück Rinde im Wasser
der Plastikkiste. Brendan Foley nimmt
den Fund vorsichtig in die Hand, der ihm zu-
sammen mit anderen Tauchern im vergange-
nen Sommer in der Ostsee vor Südschweden
geglückt ist: ein etwa 10 mal 40 Zentimeter
großes Stück Birkenrinde, verziert mit einer
feinen Dekoration von berührender Eleganz;
Pflanzen mit Blüten und Blättern winden sich
darauf, sie umschließen ein Tier, das anmutet
wie ein Einhorn.
Genauere Untersuchungen an dem fragilen
Rindenstück waren bislang unmöglich, dafür
muss es erst hier im Labor des Blekinge-Mu-
seums von Karlskrona in Schweden konser-
viert werden. Bliebe es zu lange an der Luft,
würde es zerbröseln. Sind es die Reste eines
Köchers für die Pfeile einer Armbrust? Oder
die Dekoration eines Möbels?
Fest steht: Das Kleinod stammt aus einem
Wrack, das bei der kleinen südschwedischen
Insel Stora Ekön in rund zehn Meter Tiefe
im trüben Wasser der Ostsee ruht. Es ist die
»Gribshunden«, ein vor mehr als 500 Jahren
gesunkenes Kriegsschiff, das seinen Namen
dem Greif, meist als Mischwesen aus Löwe

und Vogel dargestellt, und dem Hund ver-
dankt. Einst war es das Flaggschiff des Dänen-
königs Johann I., genannt Hans.
Der US-Amerikaner Brendan Foley ist
Unterwasserarchäologe. In seiner Ausbildung
hat er mit einer Koryphäe des Fachs, Robert
Ballard, gearbeitet, der die Wracks der
»Titanic« und des deutschen Schlachtschiffs
»Bismarck« aufspürte. Inzwischen forscht
Foley für die Universität im schwedischen
Lund und das Museum in Karlskrona.
»Die ›Gribshunden‹ ist das wichtigste
Wrack, an dem ich bisher gearbeitet habe«,
sagt er. Es ist der großartige Erhaltungs-
zustand der Fundstücke an Bord, der ihn
fasziniert, vor allem aber bietet das Schiff
einen Einblick in eine entscheidende Phase
Europas, in der das Mittelalter zu Ende ging
und die Neuzeit begann. In Mailand malte
damals Leonardo da Vinci an seinem monu-
mentalen »Abendmahl«, Nikolaus Koper-
nikus begann in Krakau und Bologna mit
seinen astronomischen Studien. Und auf der
Antilleninsel Hispaniola brach Christoph
Kolumbus bei seiner zweiten Amerikafahrt
zu einem Feldzug gegen die einheimische
Bevölkerung auf.

Es waren Schiffe wie die »Gribshunden«,
die Europas Dominanz über die Welt ermög-
lichten. Sie konnten Soldaten und Waffen
genauso über die Meere transportieren wie
Edelmetalle, Gewürze und Zucker. Gebaut
wurde das Schiff wohl in den Niederlanden
aus Eichen, die im Jahr 1482 am Flusslauf der
Maas gefällt wurden. Etwa zehn Jahre lang
fuhr es im Auftrag von König Hans, belegt
sind Reisen nach Norwegen, England und im
Ostseeraum. An Bord, so schätzt Foley, dürf-
ten neben einer Besatzung von etwa 30 Mann
rund 120 Soldaten sowie Bedienstete des Kö-
nigs gewesen sein – und der König selbst.
Erstmals hatten Sporttaucher in den Sieb-
zigerjahren die Überreste des Schiffs am Mee-
resgrund entdeckt. »Zum Glück sah es nur
wie ein Haufen Holz aus«, sagt Mikael Björk.
»Das hat es vor Plünderungen bewahrt.«
Björk gehört zu den Tauchern, mit denen Fo-
ley das Wrack erforscht.
Identifiziert wurde das ehemalige könig-
liche Flaggschiff erst vor rund zehn Jahren.
Dabei war neben der Größe des Wracks die
Bauart entscheidend: Das Schiff war teils in
der für Nordeuropa typischen Klinkerbau-
weise mit überlappenden Planken konstruiert,
teils in der in Südeuropa gepflegten Kraweel-
bauweise, bei der Brett an Brett liegt. So habe
man nur ein paar Jahrzehnte lang im 15. Jahr-
hundert Schiffe gebaut, sagt Foley. Dass es sich
dabei wirklich um die »Gribshunden« handelt,
leitet Foley aus dem Fundort ab. Es sei das
einzige Wrack an genau der Stelle, an der
Hans’ Vorzeigeschiff 1495 laut historischen
Quellen gesunken sei, sagt der Archäologe.
Sein Team steht erst am Beginn der For-
schung. Was geborgen und konserviert wer-
den konnte, lagert neben dem Labor im Ma-
gazin des Blekinge-Landesmuseums. Etwa
die mächtige Galionsfigur der »Gribshun-
den«: ein Tierkopf aus Eichenholz, in dessen
Maul ein schreiender Mann steckt.
Auch die hölzernen Gestelle von mehr als
einem Dutzend schwenkbarer Geschütze der
»Gribshunden«, die Foley und sein Team ber-
gen konnten, werden dort aufbewahrt. Wie
viele Kanonen insgesamt an Bord waren, ist
nicht klar. Eine zeitgenössische Quelle gebe
die Zahl mit 95 an, sagt Foley. Es sei aber
möglich, dass dabei auch die Handfeuer-
waffen der Soldaten mit eingerechnet seien.
Mit dem waffenstarrenden Pott und weite-
ren 17 Schiffen brach der Dänenkönig im Som-
mer 1495 zu einer heiklen Mission zur Stadt
Kalmar im Südosten Schwedens auf. Seit 1481
herrschte Hans über Dänemark und seit 1483
auch über Norwegen. Eigentlich sollte auch
Schweden zu seinem Reich gehören, so sah es
die sogenannte Kalmarer Union seit dem Jahr
1397 vor: Dänemark, Schweden und Norwe-
gen hatten in diesem Vertrag festgelegt, dass
der dänische König zum gemeinsamen Herr-
scher ernannt und eine gemeinsame Außen-
politik betrieben werden sollte – auch wenn
intern jedes Reich selbstständig bleiben würde.
Doch Teile des schwedischen Adels, an-
geführt vom Reichsverweser Sten Sture dem

Die Kampfmaschine


des Königs


ARCHÄOLOGIE Vor der schwedischen Küste untersuchen Wissenschaftler
das versunkene Flaggschiff eines Dänenherrschers. Im speziellen
Wasser der Ostsee haben Dinge ein halbes Jahrtausend überstanden,
die anderswo längst zerfallen wären.

Geborgene
»Gribshunden«-
Galionsfigur
Ingemar Lundgren / Blekinge Museum

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