Der Spiegel - ALE (2022-01-08)

(EriveltonMoraes) #1
WISSEN

Nr. 2 / 8.1.2022DER SPIEGEL 123

Älteren, wollten das nicht akzeptie-
ren. Sie begehrten gegen die Herr-
schaft aus dem fernen Kopenhagen
auf, führten von 1470 bis 1471 Krieg
gegen die Dänen und fügten den ver-
hassten Nachbarn schwere Verluste
zu. Im Juli 1472 schlossen beide Sei-
ten zwar Frieden, konnten die Kö-
nigsfrage aber noch immer nicht klä-
ren. Und so wollte Hans im Jahr 1495
das Blatt zu seinen Gunsten wenden.
Dabei sollte ihm das Gipfeltreffen
mit Sten in Kalmar helfen, bei dem
Hans seine militärische Kraft zur
Schau stellen wollte. Mit ihrer Be-
waffnung gilt die »Gribshunden« als
Schiff neuen Typs: Noch nie, sagt
Archäologe Foley, seien so viele Ge-
schütze auf einer schwimmenden
Plattform installiert worden.
Die Kanonen allerdings, mit denen
die »Gribshunden« ihre Gegner unter
Feuer nahm, haben die Jahrhunderte
nicht überdauert. Nur die verschie-
denen Formen der Lafetten lassen
erahnen, wie die einst in ihnen gela-
gerten eisernen Geschütze aussahen.
Die »Gribshunden« ist auch des-
halb ein besonderes Wrack, weil bei
ihr erhalten blieb, was sonst oft im
Laufe der Jahrhunderte verschwindet.
Wer heute etwa in der Karibik nach
den Resten eines Schiffs aus der
Zeit der großen Entdecker sucht,
findet mit Glück Teile der Ladung.
Oder die Kanonen. Das Holz dagegen
wurde unter anderem aufgefressen
von Schiffsbohrwürmern, in weiten
Teilen der Ozeane beheimateten Mu-
schelarten. Im extrem salzarmen Was-
ser der Ostsee fanden diese Tiere
über Hunderte von Jahren dagegen
keinen passenden Lebensraum, zu-
dem schütz te wohl teils auch der
Schlick vor Vernichtung.
So konnte das Holz der »Gribshun-
den« bestehen bleiben: Planken und
Spanten, Vorratsfässer und Feuerholz,
Armbrüste, Teller, Trinkgefäße. »Es
sind herausragende Funde, weil aus
dieser Zeit sonst so wenig unter Was-
ser erhalten geblieben ist«, sagt auch
Philipp Grassel vom Deutschen Schiff-
fahrtsmuseum in Bremerhaven, der
nicht an Foleys Projekt beteiligt ist.
Offenbar haben spezielle Mikro-
organismen dagegen alle Gegenstän-
de aus Eisen zersetzt, die sich an Bord
der »Gribshunden« befunden hatten


  • wie die Kanonen. Nur Objekte aus
    anderen Metallen konnten die For-
    scher bergen: verklumpte Haufen von
    Münzen, womöglich Sold für die
    Landsknechte an Bord.
    Darauf, dass der Dänenkönig
    einen Teil seiner Soldaten in Deutsch-
    land rekrutiert hat, deuten Kupfer-
    ringe hin, gefertigt aus dünnem Draht, Christoph Seidler n


die Foley und seine Kollegen im
Wrack gefunden haben. Diese stam-
men von der erhalten gebliebenen
Edelmetallverzierung eines von den
Bakterien ansonsten zerstörten eiser-
nen Kettenhemds.
Einer der Ringe ist besonders dick
ausgeführt – und offenbar ein Mar-
kenzeichen eines Waffenschmieds
aus Franken. »In den Kettenhemden
dieser Zeit waren solche Ringe als
Qualitätszeichen eingearbeitet«, sagt
der Geologe Jörg Ansorge, der für das
Landesamt für Kultur und Denkmal-
pflege in Mecklenburg-Vorpommern
gearbeitet hat. Er half den Forschern
bei der Identifikation des Rings.
Gefertigt wurde das Kettenhemd
nach Ansorges Ansicht vom Nürnber-
ger Waffenschmied Ulrich Feurer –
und zwar offenbar lange Zeit bevor
das Schiff in See stach. Feurers Name
findet sich mit dem Verweis auf seine
Schmiedekunst bereits 1416 in den
Einwohnerlisten der fränkischen
Handelsmetropole. »Er war sicher
kein billiger Anbieter, wenn man nach
500 Jahren noch weiß, dass es ihn
gegeben hat«, mutmaßt Ansorge.
Auch Bleikugeln der Kanonen ha-
ben die Zeit überstanden – weil die
Bakterien das giftige Schwermetall
nicht korrodieren konnten. Die Ge-
schosse ermöglichen den Forschern
Einblicke in diese Epoche. Die Iso-
topenanalysen zeigen, dass das Blei
ebenfalls aus Deutschland stammte.
Und die Geschosse waren nur etwa
so groß wie Tennisbälle, was auf eine
Besonderheit der Seekriegsführung
hindeutet: »Es ging nicht darum, mit
diesen Kugeln andere Schiffe zu ver-
senken«, erklärt Museumschef Mar-
cus Sandekjer. »Man wollte vor allem
andere Soldaten töten, in einer Art
Infanteriekrieg auf dem Meer.«
An Bug und Heck verfügten Schif-
fe wie die »Gribshunden« über Auf-
bauten, die wie Türme einer Festung
aussahen – und auch so genutzt wur-
den. »Schiffe zu versenken, das ist

eine relativ neue Taktik«, so der Bre-
merhavener Forscher Grassel. »Es
ging darum, die Besatzung auszudün-
nen und das wertvolle Schiff als Prise
zu nehmen.« Dafür mussten sich
Kämpfer an Tauen hinüberschwingen
und im Kampf Mann gegen Mann die
Oberhand behalten.
Viele fundamentale Fragen zur
»Gribshunden« sind bis heute offen:
Warum etwa genau sank es vor Stora
Ekön? Die Archäologen gehen davon
aus, dass vielleicht Schwarzpulver an
Bord in die Luft ging – in zeitgenös-
sischen Quellen ist von einer Explo-
sion und einem Feuer die Rede. »Wir
haben bisher noch keine Spuren da-
von gefunden«, sagt Taucher Björk.
In den kommenden Sommern wird
das Team bei seinen Tauchgängen am
Wrack auch danach suchen. »Wir ha-
ben bisher nur ein Prozent ausgegra-
ben«, sagt Foley. Irgendwann soll ein
Museum für die Funde entstehen.
So konnte etwa der Inhalt des Ge-
würzregals der Kombüse geborgen
werden, mit Pfefferkörnern und Sa-
fran. Und in einem der Fässer aus dem
Laderaum fanden sich die Überreste
eines etwa zwei Meter langen Störs,
rund 120 Fragmente von Schädel und
Knochenplatten. Damals war das ein
absoluter Luxusartikel, dessen Ver-
zehr einzig dem König zustand.
Auch Überreste zahlreicher ande-
rer Tierarten haben die Taucher aus
dem Wrack der »Gribshunden« ge-
borgen, Schafe, Schweine und Rinder
zum Beispiel. In einem einzigen Ku-
bikmeter Sediment fanden sie 600
Knochenstücke. »So können wir se-
hen, was es damals zu essen gab«,
sagt Sammlungsleiter Sandahl.
Menschliche Knochen hat das
Team noch nicht gefunden, rechnet
aber damit. »Wir wissen, dass Hans
nicht an Bord war, als sein Schiff
sank«, sagt Foley. Der Herrscher war
offenbar kurz zuvor an Land gegan-
gen, womöglich für ein Treffen mit
lokalen Unterstützern, so schildern
es zeitgenössische Quellen. Ihm blieb
das Schicksal seiner Soldaten und
Edelleute erspart, die vor Stora Ekön
den Tod gefunden haben sollen. »Ihre
Überreste müssten noch vor Ort sein,
wenn die historischen Aufzeichnun-
gen korrekt sind«, so der Forscher.
Nach dem Untergang der »Gribs-
hunden« geriet auch das geplante
Treffen mit den schwedischen Rebel-
len zur Pleite für den Dänenkönig.
Der renitente Edelmann Sten Sture
tauchte gar nicht erst in Kalmar auf.
Seines symbolträchtigen Flaggschiffs
beraubt, fuhr Hans ohne die Schwe-
denkrone wieder heim.

Zeichnung der
»Gribshunden«:
Infanteriekrieg auf
dem Meer

Fundstelle der
»Gribshunden« vor
der Küste der Insel
Stora Ekön

DÄNE-
MARK

300 km

SKarte: OpenStreetMap

Skager-
rak

Ostsee

SCHWEDEN

Kalmar
Karlskrona

Stockholm

Mats Vänehem

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