WISSEN
Nr. 2 / 8.1.2022DER SPIEGEL 125
rung zu ernähren«, sagt Kück. Sein Großvater
habe ihm noch von Ehrungen erzählt, »für
jeden Liter Milch mehr und jedes zusätzliche
Schnitzel«. Erst in den vergangenen 25 Jahren
haben Wissenschaftler die Prozesse im ent-
wässerten Moor verstanden und wie sie das
Klima schädigen. Und erst 2013 erfuhr Kück
auf einer Veranstaltung des Bauernverbands
von den Emissionen. Gerade ältere Landwir-
te hätten es kaum glauben wollen, manche
glauben es wohl bis heute nicht. »Man kann
sich entweder damit auseinandersetzen, oder
man ignoriert es«, sagt Knick. »Und da bin
ich eher für die Auseinandersetzung.« Also
fingen sie im Gnarrenburger Moor an, nach
Lösungen zu suchen, um Landwirtschaft und
Klimaschutz zu vereinbaren. 39 Betriebe sind
Teil einer Kooperation, das Land Niedersach-
sen finanzierte ein Pilotprojekt.
Ende 2021 steigt Bernd Kück aus dem
Auto, um eine der Versuchsflächen zu zeigen.
Mit großen Schritten geht er über die Wiese
bis zu dem Punkt, wo eine rostige Metall-
platte einen der vielen Gräben blockiert. So
staut sich das Wasser fast bis zur Grabenkan-
te. Eine Solarpumpe fördert Grundwasser,
sollte es nicht genug regnen. Unterirdisch sind
Rohre verlegt, um den Wasserstand bis in die
Feldmitte anzuheben. Ein wiedervernässtes
Moor ist das noch nicht. Aber das Versuchs-
feld ist nicht mehr 60 Zentimeter tief entwäs-
sert, sondern nur noch rund 25 Zentimeter.
Selbst Bernd Kück hat nicht geglaubt, dass
man bei so hohen Wasserständen noch mit
einem Traktor über die Wiesen fahren kann.
»Doch es funktioniert«, sagt der Landwirt.
»Nicht immer gut, aber es funktioniert.«
Es ist ein Erfolg. Die Frage ist nur: Was ist
dieser Erfolg wert? Auch fast sechs Jahre nach
dem Start des Projekts ist unklar, wie sich der
höhere Wasserstand auf die Emissionen aus-
wirkt. Theoretisch sollten sie sich knapp hal-
bieren, doch Messungen konnten das bisher
nicht bestätigen. Bei ähnlichen Versuchen an
anderen Orten wurden sogar gestiegene Emis-
sionen registriert. Gespannt warten sie nun,
ob die nächsten Ergebnisse mehr Klarheit
bringen. Und hoffen weiter, ihr altes Ge-
schäftsmodell und ihre Heimat doch noch er-
halten zu können.
- Die Wissenschaft
Dass in deutschen Mooren alles so bleibt, wie
es ist, scheint ausgeschlossen. Forscher der
Universitäten Greifswald, Rostock und der
Ludwig-Maximilians-Universität München
haben 2021 Szenarien vorgelegt, die mit dem
1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzabkom-
mens kompatibel wären. Demnach müssten
bis 2050 alle deutschen Moore komplett wie-
dervernässt werden, schon bis 2040 über die
Hälfte. Es wäre das Ende von Milchwirtschaft
und Gemüseanbau in diesen Regionen.
Doch Forscherinnen und Forscher arbeiten
an Alternativen, etwa auf einem Versuchsfeld
bei Neukalen in Mecklenburg-Vorpommern.
Die Landschaftsökologin Franziska Tanne-
berger vom Greifswald Moor Centrum hat
Gummistiefel mitgebracht, die bis zur Hüfte
reichen. 20 Zentimeter hoch steht das Wasser,
manchmal gibt der Untergrund so stark nach,
dass man bis über das Knie im Wasser steht.
Schon nach wenigen Metern ist man von zwei
Meter hohen Pflanzen umgeben, doch Tanne-
berger, die für ihre Diplomarbeit Moore
in Sibirien untersucht hat, läuft unbeirrt wei-
ursprüngliches Moor
- 4 bis 8 0 bis 8 30 bis 40
*Durchschnitt
Moor mit Paludikultur entwässertes Moor
Durch den permanent hohen Wasser-
stand im ursprünglichen Moor werden
abgestorbene Pflanzenreste abgelagert
und verwesen nicht. So bleibt Kohlen-
stoff als Torf gebunden – das Moor ist
weitgehend klimaneutral.
Paludikultur ist eine klimaschonende
landwirtschaftliche Nutzung
auf nassem Moorboden. Spezielle
Maschinen ermöglichen eine Ernte auf
dem feuchten Untergrund. Torf bleibt
erhalten und bindet weiterhin Kohlenstoff.
Werden Moore für die landwirtschaft-
liche Nutzung entwässert, trocknet
der Toroden aus. Der darin enthaltene
Kohlenstoff wird oxidiert und entweicht
als klimaschädliches Kohlendioxid in
die Atmosphäre.
Emissionen*
pro Jahr und
Hektar, in
Tonnen CO-
Äquivalent
Sensibler Lebensraum
Wie sich die Nutzung von Mooren auf das Klima auswirkt
SQuelle: Greifswald Moor Centrum Jochen Tack / dpa / picture alliance
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