Der Spiegel - ALE (2022-01-08)

(EriveltonMoraes) #1
Nr. 2 / 8.1.2022DER SPIEGEL 13

»Wie ein kleiner Dschungel«


DER AUGENZEUGE Christoph Müller, 38, Reptilien­
experte bei der Feuerwehr Düsseldorf, holt illegal
gehaltene Giftschlangen aus Wohnungen.

»Seit fast zehn Jahren bin ich
mit der Reptilienfachgruppe
der Feuerwehr Düsseldorf
im Einsatz. Wir werden ge­
rufen, wenn jemand ein –
vermeintliches oder tatsäch­
liches – exotisches Reptil
entdeckt oder von einer Gift­
schlange gebissen wurde.
Meist beraten wir telefonisch,
geben behandelnden Ärzten
Informationen oder beruhigen
Gartenbesitzer, die eine harm­
lose Ringelnatter vor sich
haben. Manchmal müssen wir
aber auch Anakondas ein­
fangen oder illegal gehaltene
Tiere in Auffangstationen
umsiedeln.
Reptilienspezialisten gibt
es bei einigen Feuerwehren,
wir sind aber die einzige in
Deutschland, die eine Fach­
gruppe mit sechs Experten
hat. Voraussetzung für den
Job ist, bereits bei der Feuer­
wehr zu sein, ein Großteil
meiner Arbeit als Leitstellen­
disponent hat nichts mit
Schlangen und Co. zu tun. Für
die Zusatzqualifikation musste
ich eine theoretische Prüfung
ablegen und praktische Übun­
gen absolvieren. Ich habe
gelernt, Arten zu bestimmen,
einen Raum abzusichern und
einen Schlangen haken zu ver­
wenden. Bei großen Würge­
schlangen braucht man meh­
rere Personen, um ein Tier
hochzuheben. So verhindern

wir, dass sie sich um uns herum­
wickeln.
Ich war schon als Kind von
Reptilien fasziniert. Inzwischen
habe ich auch welche als Haus­
tiere, allerdings Geckos und
Chamäleons, keine Schlangen.
Ende November hatte uns
die Stadt Hagen um Unter­
stützung gebeten, dort hielt
ein Mann sehr viele Reptilien,
illegal. In Nordrhein­Westfa­
len darf man sich seit Anfang
2021 keine Giftschlangen
mehr anschaffen – wer sie
aber schon zuvor besessen hat,
kann sie unter bestimmten
Voraussetzungen behalten.
In der Wohnung wucherten
Pflanzen, an den Wänden
standen unzählige Terrarien
mit Schlangen. Es war wie
ein kleiner Dschungel.
14 Stunden waren wir im Ein­
satz, holten rund 50 Tiere aus
den Terrarien. Manche Tiere
waren in Gefäßen ohne Scheibe
untergebracht – beim Öffnen
weiß man nicht, was man
bekommt. Uns war bekannt,
dass der Mann Speikobras
besaß. Diese Tiere hätten uns
ihr Gift in die Augen spritzen
können, deshalb trugen man­
che von uns Schutzvisiere. Ein
Rettungshubschrauber stand
bereit. Trotzdem hatte ich
keine Angst, die habe ich nie
bei Einsätzen. Dafür sind wir
zu gut ausgebildet.«

»Euch müsste
man jagen«
Lokalreporter Sebastian Schiller,
32, der für den Rundfunk Berlin-
Brandenburg aus Cottbus be-
richtet, über Anfeindungen auf
Corona-Demonstrationen

SPIEGEL: Herr Schiller, wegen
Ihrer Berichterstattung von Co­
rona­Demonstrationen werden
Sie beleidigt und bedroht. Was
ist los in Cottbus?
Schiller: Die Tage nach den De­
mos sind besonders schwierig.
Normales Arbeiten ist nur ein­
geschränkt möglich. Cottbus ist
keine große Stadt, und durch
die wenigen Leute, die hier
wirklich aktiv sind, merken sich
die Menschen Gesichter relativ
schnell. Ja, es gibt die positiven
Stimmen. Aber Leute pöbeln
mich auch auf offener Straße
an: »Das ist doch hier der Se­
bastian Schiller, das Arsch­
loch.« Oder lehnen ein Telefo­
nat mit mir ab, sobald sie mei­
nen Namen hören. Oder be­
strafen mich mit bösen Blicken.
Das klingt vielleicht banal –
aber wenn man sein Gesicht
in die Kamera hält, ist das
schon was.
SPIEGEL: Wie wirken sich die
Anfeindungen auf Ihr Privatle­
ben aus?
Schiller: Vor Weih­
nachten ging ich
nach Feierabend zu
einem bekannten
Lokal in der Innen­
stadt, das im Hinter­
hof einen Glühwein­
stand hat. Zwei Kol­
legen waren schon
dort. Doch der Inha­
ber wollte mir an
dem Stand keinen

Glühwein ausschenken. Er sag­
te, ich würde hier nichts bekom­
men. Das hielt ich erst für einen
Scherz. Und dann wiederholte
er das. Da war ich erst mal baff.
Schließlich stellte sich heraus,
dass der Grund meine Bericht­
erstattung von der Demo am


  1. Dezember war. Da hätte ich
    so viel Unsinn erzählt. Darüber
    diskutieren wollte er mit mir
    nicht. Mit den Kollegen bin ich
    schließlich gegangen. Wir woll­
    ten das nicht noch weiter auf
    die Spitze treiben.
    SPIEGEL: Wie haben Sie diese
    Demonstration am 18. Dezem­
    ber erlebt?
    Schiller: Wir – das waren neben
    mir noch ein Kameramann plus
    drei Security­Leute – wollten
    in die hintere Ecke des einge­
    zäunten Platzes mit den De­
    mons tranten, nachdem wir in
    der Menge waren. Auf dem Weg
    dorthin riefen uns Leute zu:
    »Euch müsste man auf die Fres­
    se hauen! Euch da hinten müsste
    man jagen!« Später am Abend –
    die Leute waren auf einem soge­
    nannten Spaziergang durch die
    Stadt – fanden wir uns zwischen
    der Spitze des Demonstrations­
    zugs und einer dünnen Polizei­
    kette wieder. Die Polizei hatte
    einen Kessel aufgebaut. Wir wa­
    ren dann plötzlich zum Teil von
    Neonazis umringt. Unsere drei
    Security­Leute ha­
    ben versucht, einen
    Ring um uns zu bil­
    den. Ich bin einiges
    gewohnt. Aber das
    war das erste Mal,
    dass mir wirklich
    anders wurde, ich
    dort stand und
    dachte: »Oh mein
    Gott, was passiert
    hier gerade?« KHO


Gefährdeter General


PANDEMIE Der Chef des Coro­
na­Krisenstabes im Kanzleramt,
Generalmajor Carsten Breuer,
steht seit Amtsantritt unter Per­
sonenschutz. Der Soldat, der
für Kanzler Olaf Scholz (SPD)
neue Strategien im Kampf
gegen das Virus entwickeln und
koordinieren soll, gilt offenbar
als besonders gefährdet für
Übergriffe durch Coronaleug­
ner. Wie sein Sprecher bestätigt,
wird der General bei seinen öf­
fentlichen Auftritten von Feld­

jägern der Bundeswehr beglei­
tet. Zur konkreten Gefährdungs­
lage wurden keine Angaben ge­
macht. Breuer selbst sagte zu
Gesprächspartnern, er habe nie
mit einer derartigen Bewachung
und Bedrohung gerechnet. Zu­
letzt hatte es wiederholt Dro­
hungen gegen Politiker wegen
der Coronamaßnahmen gege­
ben. So gab es Mordaufrufe
gegen die Regierungschefs von
Sachsen und Mecklenburg­Vor­
pommern, Michael Kretschmer
(CDU) und Manuela Schwesig
(SPD). STW, HAM

Aufgezeichnet von Birte Bredow
Privat

Dominik Asbach / DER SPIEGEL

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