130 DER SPIEGELNr. 2 / 8.1.2022
KULTUR
S
ie kämpfen und schießen wild durch die Gegend, bis nur
noch tote Männer auf dem Boden liegen: Im Film »The 355«
haben die Darstellerinnen Jessica Chastain, Penélope Cruz,
Diane Kruger, Lupita Nyong’o und Fan Bingbing viele Kerle
mit fi nsterem Aussehen vor der Flinte. Dass man die Bösen sofort
erkennt, hat Vorteile – weil man als Zuschauer in den chaotisch
choreografi erten und geschnittenen Actionszenen sonst rasch den
Überblick verlieren könnte. Das Drehbuch von Regisseur Simon
Kinberg und Co-Autorin Theresa Rebeck legt den Heldinnen unbe-
darfte Dialogsätze in den Mund. »Ladehemmung«, ruft Chastain
aus, nachdem der Zuschauer gesehen hat, dass ihre Pistole eine
Ladehemmung hat. Dass die fünf Stars diesen Murks trotzdem zum
Leuchten bringen, zeugt von ihrer Strahlkraft und ihrer Kunst,
aus fast nichts ziemlich viel zu machen. Ein echtes Fest ist dieser
Film wohl für den Bundesnachrichtendienst: Eine majestätische
Kranfahrt feiert das neue Gebäude in Berlin. Sylvester Groth spielt
einen Chefbeamten der Behörde, der offenbar bereit ist, sich
für das Wohl der Menschheit zu opfern. Und die tolle Diane Kruger
ballert als toughe Agentin Marie Schmidt das Schlapphutimage des
BND kurz und klein. LOB
Wer ballet, sündigt niht
ACTIONKINO Was für eine großartige Idee, fünf weibliche Stars ein Agentinnenteam spielen zu lassen, das die
Welt rettet – in »The 355« bringen fünf tolle Frauen eine ziemlich vermurkste Story zum Leuchten.
Manifest einer
Ausgegrenzten
SACHBÜCHER Ihre Freundin-
nen nennt sie eine »riesige
Bande von im kommerziellen
Sinne unattraktiven, wunder-
schönen Außenseiterinnen«.
Die Britin Michaela Coel, auf-
gewachsen als Tochter ghanai-
scher Eltern in einem Londoner
Sozialbauviertel, ist als Schau-
spielerin und Fernsehmacherin
dank der Serien »Chewing
Gum« und »I May Destroy
You« ein Star der angloameri-
kanischen TV-Welt. Im Jahr
2018 sprach Coel, auch im rea-
len Leben für ihre Intensität
berühmt, am Rednerpult eines
Fernsehfestivals in Edinburgh
über Diskriminierungs- und Ge-
walterfahrungen. Etwa darüber,
dass ihr vor einiger Zeit ein
Mann Betäubungsmittel in den
Drink geschüttet und sie miss-
braucht habe. Auf Basis dieser
Rede hat sie ein »Manifest«
namens »Misfi ts« verfasst. In
der deutschen Fassung heißt es:
»Ich spüre meinen Schmerz,
meine Brüche, meine Zerbrech-
lichkeit. Es ist, als hätte ich im-
mer gewusst, dass mein Haus
brennt, aber plötzlich rieche ich
auch den Rauch.« Zornig und
pointiert schildert Coel Ras-
sismus, Frauenhass und die Aus-
grenzung von Schwulen und
Transmenschen. Ihrem Lese-
publikum will Coel helfen, »zu
verstehen, wer ihr wirklich
seid, wie es euch wirklich geht –
und zu sehen, ob irgendein
Teil eures inneren Systems re-
pariert werden muss«. HÖB
Cruz, Nyong’o, Kruger,
Chastain in »The 355«
Michaela Coel: »Misfits«. Ullstein;
128 Seiten; 16,99 Euro.
Robert Viglasky / Universal Pictures
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