Der Spiegel - ALE (2022-01-08)

(EriveltonMoraes) #1
DEUTSCHLAND

38 DER SPIEGELNr. 2 / 8.1.2022

Polizeiinspektion 11 in München Jürgen Dahlkamp, Gunther Latsch n

che Rolle dieser dritte Polizist spielte, ist un-
klar, die Ermittlungen laufen noch. Fest steht
allerdings: Der »Dritte« hatte nach einer
Durchsuchung einen positiven Haartest auf
Kokain und ein Handy mit rund 700 Chats,
2000 Kontakten. Für die Ermittler »der Jack-
pot«, wie Staatsanwalt Schmidkonz heute
sagt. Sie gingen durch die Dialoge, Jahr für
Jahr, immer weiter zurück. Sie stießen auf
Codewörter, »Miami« für Kokain, »Gonza-
les« für Speed, »Peps« für Amphetamine. Sie
entdeckten neue Namen. Und Anfragen, wer
»was« beschaffen könnte.
So wühlten sich die Ermittler zu fünf, sechs
weiteren Polizisten durch. Nur auf eines stie-
ßen sie nicht: auf einen Drogenhändlerring
in der Polizei, der ins Koksgeschäft eingestie-
gen wäre. Die Streifenpolizisten, die meisten
von der Inspektion 11, Altstadt, besorgten
offenbar Stoff für sich, für ihre Freunde; für
den Rausch in ihrer Freizeit. Ohne Sterne auf
der Schulter wären sie als Kleinkonsumenten
durchgegangen, man hätte die Ermittlungen
vermutlich zügig eingestellt.
Bei Polizisten nun mal nicht. Denn sie ma-
chen sich ja in der Tat erpressbar, wenn Kri-
minelle mitbekommen, dass sie nicht sauber
sind. Wer als Polizist Drogen nimmt, riskiert
seinen Job. Doch als diese mutmaßlich harten
Fälle identifiziert waren, gaben sich die Er-
mittler noch nicht zufrieden. Waren es zu
wenige Fälle, nach den markigen Worten aus
der Politik, nach der Riesenrazzia?

Die Härte des Gesetzes
Nur war bei den meisten verdächtigen Polizis-
ten nichts mit Rauschgift zu finden. Die Fahn-
der interessierten sich nun aber auch für ganz
andere Dinge in den Handynachrichten und
ermittelten hartnäckig – bis ins kleinste Karo.
Da gab es zum Beispiel den Kollegen S.,
über den es in einem WhatsApp-Chat hieß,
er habe auf der Straße einem Obdachlosen
die Wodkaflasche abgenommen und zerschla-
gen. Gegen den Polizisten wurde ein Verfah-
ren eröffnet, wegen Sachbeschädigung. Der
Schaden: um die zehn Euro. Die Angelegen-
heit ist inzwischen eingestellt. Verjährt.
Außerdem hatte der Obdachlose offenbar
randaliert. Der Polizist will die Flasche nur
weggeworfen haben, damit sie ihm nicht noch
an den Kopf flog.
Oder dieser Fall: Ein Polizist hatte in einem
größeren Gruppenchat ganz offen angeboten,
aus dem Ausland günstige »Peps« von einer
Reise mitzubringen. Verfahren eröffnet,
Hausdurchsuchung, Sicherstellung eines Pa-
kets Speisestärke, Verfahren eingestellt. Wie
sich ergab, stand das Wort »Peps« in seiner
Dienststelle nicht für Amphetamine, sondern
offenbar nur für Zigaretten. Trotzdem wurde
er auf eine andere Dienststelle versetzt.
Ein Beamter bekam ein Verfahren, weil
bei der Durchsuchung Dienstmunition ge-
funden wurde. Genau eine Kugel. Und dann
ist da noch der Polizeiobermeister S.: Ver-
dacht auf Besitz von Marihuana zum Eigen-
konsum in drei Fällen in den Jahren 2017 und


  1. Im Juni 2021 sollte die Sache mit einem
    Strafbefehl abgeschlossen werden. Das lehn-
    te S. ab. Daraufhin bekam er in einer weiteren,
    schon lange bekannten Sache eine Anklage –
    weil er 2017 auf der Wache ein Foto von
    einem Randalierer gemacht hatte, der nackt
    und gefesselt in der Arrestzelle lag. Laut S.
    zur Beweissicherung. Laut Anklage dagegen
    eine »Verletzung des höchstpersönlichen Le-
    bensbereichs durch Bildaufnahme«. S. habe
    absolut nichts mit der Sicherung des Zellen-
    trakts zu tun gehabt. Merkwürdig: Im Straf-
    befehl gegen den Randalierer stand, er habe
    »nicht auf Ansprache reagiert«, sodass vier
    Beamte in die Zelle gelaufen seien, um ihn zu
    bändigen. Einer dieser vier: S. Verschickt hat-
    te er das Foto nicht.
    Auch Verwandte und Freunde von beschul-
    digten Polizisten gerieten ins Visier – wenn
    Chats darauf hindeuteten, dass sie schon mal
    Joints geraucht hatten. Oder zum Beispiel mit
    Ritalin zu tun hatten, einem an Unis vor Prü-
    fungen beliebten Mittel, allerdings verschrei-
    bungspflichtig. Eine Frau hatte das Pech, dass
    der Chat ihres Freundes durchsucht wurde und
    der seine Polizeikollegen für sie nach den Ta-
    bletten gefragt hatte. Zack, Strafbefehl.
    Besonders viel Mühe geben sich die Fahn-
    der mit Beleidigungen, und da finden sich in
    sieben Millionen Chatnachrichten so einige.
    Bei Clemens Ertl etwa, dem in Sachen Drogen
    nichts nachgewiesen wurde. In privaten Chats
    mit Kollegen entdeckten die Ermittler, dass
    Ertl im September 2018 mal zwei Beamte
    beschimpft hatte, die nicht zur Chatgruppe
    gehörten. »Drecksau« und »ehrlose Dreck-
    sau«. Doch keiner der Polizisten, die Ertl so
    genannt hatte, wollte einen Strafantrag stel-
    len. Und weil Beleidigung nun mal ein reines
    Antragsdelikt ist, wäre die Sache damit erle-
    digt gewesen.
    Nicht aber für die Staatsanwaltschaft: Sie
    legte die Fälle den Dienstvorgesetzten der
    beiden Beamten vor, auch die dürfen nämlich
    anzeigen. Und taten das auch.


Warum, wenn es doch um schwere Straf-
taten gehen soll, nicht um Petitessen? »Weil
es nach dem Legalitätsprinzip unsere Pflicht
ist«, so Staatsanwalt Schmidkonz. Sie müss-
ten alles untersuchen, was auf eine Straftat
hindeuten könnte. Beleidigungen genauso
wie verbotene Fotos und auch eine kaputte
Wodkaflasche für zehn Euro. Ob und wie man
das ahnde, müsse man am Ende entscheiden,
nicht am Anfang.
Mag sein. Aber als der Kronzeuge Petrou
im November 2018 über eine Staatsanwältin
wütete, die sei doch psychisch gestört, ver-
zichtete die Beamtin auf einen Strafantrag
wegen Beleidigung; auch kein Dienstvorge-
setzter schritt ein und stellte einen.
Man kann sich noch über so einiges wun-
dern: dass ein SEK die Wohnung eines Zeu-
gen stürmte, was sonst äußerst selten vor-
kommt. Oder dass bei einer Beschuldigten –
keine Polizistin – der Arbeitgeber angerufen
wurde: Sie könne gerade nicht kommen, we-
gen einer Wohnungsdurchsuchung im Rah-
men einer Drogenfahndung.
Auch der renommierte Hamburger Straf-
verteidiger Gerhard Strate, der kein Mandat
in dem Fall hat, aber viel Erfahrung mit
Staatsanwälten, staunt über den Eifer der Er-
mittler: »Es ist höchst ungewöhnlich, in Be-
weismitteln wie Handys sogar jenseits der
gesetzlichen Verjährungsfristen zu suchen.
Das ist sinnlos, weil man es vor Gericht ohne-
hin nicht verwerten kann. Es geht ja nicht um
Mord.«

Aus der Traum
Im Oktober 2021 sitzt Clemens Ertl im Garten
seiner Eltern; er ist seit einem Jahr suspen-
diert, eine Menge Zeit, sich zu überlegen, was
noch kommen soll im Leben. Fast alle seine
Freunde sind Polizisten. »Polizist, das war
immer mein Traumberuf«, sagt er. Und die
Gegend um die In spektion 14 seine Heimat.
Dahin wäre er gern zurückgegangen. Aber
daraus wird wohl nichts.
Das Präsidium schrieb ihm, die Suspendie-
rung gehe zu Ende, schließlich sei das Drogen-
verfahren gegen Auflagen eingestellt worden.
Auflagen? Vom Drogenvorwurf blieb nichts,
Auflagen gab es nur wegen der Beleidigung
»Drecksau«. So aufgedröselt stand das da aber
nicht; etwas bleibt halt immer hängen. Nun
soll Ertl erst mal zur Verkehrspolizei. »Da
wollte ich auf keinen Fall hin«, sagt er, »das
ist der Sargnagel meiner Karriere.«
Aber hat es ihn noch überrascht? »Bei uns
einfachen Streifenbeamten wird, völlig zu
Recht, penibel darauf geachtet, dass unsere
Maßnahmen verhältnismäßig sind. Bei Maß-
nahmen gegen uns wird das Prinzip der Ver-
hältnismäßigkeit regelmäßig ausgehebelt.«
Er habe in dem Jahr, suspendiert vom Dienst,
geschnitten von Kollegen, den Glauben daran
verloren, dass die Unschuldsvermutung noch
etwas zählt. Nichts wird nun mehr, wie es war,
dazu ist zu viel zerbrochen.
Peter Schinzler / DER SPIEGELAuf beiden Seiten.

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