WIRTSCHAFT
80 DER SPIEGELNr. 2 / 8.1.2022
ve ganem Käse machen«. Aber ist ein
Produkt, das zumindest mittelbar
durch tierische DNA hergestellt wur-
de, überhaupt vegan? Ja, meint Wohl-
gensinger, der sich selbst pflanzlich
ernährt. Und fügt hinzu: »Wenn wir
nur Produkte für Veganer machen,
können wir gar keine Emissionen re-
duzieren. Die essen ja sowieso keinen
Käse.« Viel größere Chancen sieht er
bei Menschen, die Fleisch und Käse
mögen und ihren CO 2 -Verbrauch re-
duzieren wollen.
Im September hat seine Firma
42 Millionen Euro bei Investoren ein-
gesammelt, die bislang größte Summe
für ein europäisches Foodtech-Start-
up. Auf Videos sind bereits Käse-
prototypen zu sehen – Ricotta oder
auf Pizza schmelzender Mozzarella.
Probieren dürfen Besucher allerdings
noch nicht.
Wann wird aus all diesen Labor-
erfolgen auch ein profitables Ge-
schäft? Wann wird der Kunstkäse
schmackhaft, das Kunstfleisch saftig,
der Kunstfisch delikat sein – und
günstig dazu?
Diese Hürde hat noch kein Projekt
genommen, kein Präzisionsfermen-
terkäse, kein In-vitro-Fleisch. Und
auch Sebastian Rakers steht in Lü-
beck vor Problemen. Der Meeresbio-
loge und sein Team experimentieren
mit Zellen, die sie Lachsen entnom-
men haben, um daraus Fischfilets zu
formen. Hat seine Firma Bluu Bio-
sciences Erfolg, könnte das einmal die
Überfischung der Ozeane und die
Umweltbelastung durch marine
Aquakulturen mildern. Sieben Mil-
lionen Euro Investorengeld steckt in
seinem Start-up: Der Oetker-Konzern
ist ebenso dabei wie der Bringdienst
Delivery Hero.
Noch sitzt Rakers an Petrischalen,
frickelt an der Rührgeschwindigkeit
für die Nährlösungen, ist weit davon
entfernt, eine Novel-Food-Zulassung
zu bekommen. Zehn Jahre hat er zu-
vor am Fraunhofer-Institut gearbeitet
und die Massentierhaltung in Aqua-
kulturen untersucht, an Parasiten und
Viren geforscht, die die Fische befal-
len. »Was man bei der Arbeit mit
Fischzellen lernt, ist Geduld«, sagt er.
Für die rötliche Nährlösung in den
Petrischalen braucht Rakers Serum
aus dem Blut ungeborener Kälber.
Die Flüssigkeit gilt als Wachstums-
booster für die Zellen, aber auch als
Marketingproblem für Laborfleisch
und Laborfisch: Als »Clean Meat«,
als ethisch saubere Alternative, wer-
den Kälberserumprodukte kaum zu
verkaufen sein. Rakers arbeitet des-
halb an pflanzlichen Lösungen, etwa
aus Gerste, die ähnlich kostspielig
sind. Einen Bioreaktor mit 20 000
Liter Nährmedium zu füllen, koste
heute theoretisch sechs Millionen
Euro, sagt Thomas Herget, Leiter des
Innovation-Hubs der Merck-Gruppe
im Silicon Valley. Das habe eine Stu-
die des Good Food Institute ergeben.
»Daraus gewinnt man, wenn es gut
läuft, etwa 2000 Kilogramm Fleisch.«
Bislang seien die Reaktoren maximal
1000 Liter groß, die Produktions-
kosten dementsprechend hoch. Her-
get hofft, dass sie durch steigende
Nachfrage demnächst sinken.
Den ungebremsten Optimismus
der In-vitro-Branche teilt Stephanie
Wunder vom Ecologic Institut in Ber-
lin nicht. Das Investoreninteresse dür-
fe nicht darüber hinwegtäuschen, dass
»die Technologie noch vor immensen
Herausforderungen steht«. Wer den
Klimawandel, die Umweltbelastung
oder Fehlernährung bekämpfen wol-
le, lande erst mal nicht bei In-vitro-
Fleisch, sagt die Ingenieurin. Die we-
nigen verfügbaren Studien zeigten,
dass Laborfleisch bei der Ökobilanz
mit pflanzenbasierten Fleischersatz-
produkten »in keinem Fall mithalten«
könne. Dazu komme: Auch pflanz-
liche Grundprodukte für die Nähr-
medien seien »nicht flächenfrei zu
haben«, die Gefahr weiterer Mono-
kulturen steige.
Wunder fordert, mehr öffentliche
Gelder in den Sektor zu stecken, um
zu erforschen, wie realistisch die Pro-
gnosen für die Ökobilanzen sind –
»sonst bleibt vieles intransparentes
Firmenwissen«.
Es wird also noch dauern, bis Fisch
und Fleisch aus dem Labor in den
Supermärkten landen. Da haben
pflanzliche Alternativprodukte der-
zeit deutlich bessere Karten. Das
Wiener Start-up Revo Foods jeden-
falls ist mit seinem Fischersatz schon
im Einzelhandel vertreten: ein pflanz-
liches Lachsimitat aus dem 3-D-Dru-
cker. Aussehen und Textur kommen
dem Original erstaunlich nah, den
Laborköchen scheint nur etwas viel
Raucharoma in die Erbsenprotein-
mischung geraten zu sein.
Und im kommenden Jahr soll ein
Produkt in den Handel kommen, das
die Frage, ob es zuerst das Huhn gab
oder das Ei, ganz neu beantwortet: das
Kunstei des Münchner Start-ups VEgg.
Erfunden hat es Veronica Garcia-
Arteaga. Die aus Mexiko stammende
Lebensmittelingenieurin tüftelte fast
zwei Jahre lang mit allerhand Zutaten
und Stabilisatoren am optimalen Re-
zept: Aus Erbsenprotein schuf sie das
Eiweiß, dazu kam ein Eigelb mithilfe
von Süßkartoffeln und Rapsöl für die
gesunden Omega-3-Fettsäuren. Ge-
badet wurde das alles in einer gelatine-
ähnlichen Algenlösung, fein abge-
trennt vom weißen Glibber, wie beim
Hühnerei. Der Markt für Ei-Ersatz-
stoffe, schätzen Experten, werde in
den kommenden vier Jahren auf
1,5 Milliarden Euro anwachsen. Vor
allem die Backindustrie sucht nach
Alternativen für vegane Kuchen.
Ein Problem bleibt die Schale. Da
scheint die Natur schwer kopierbar
zu sein. Kalkhaltiges Material ähnlich
wie das von Schneckenhäusern
schwebt Garcia-Arteaga vor. Doch
wie das Ganze befüllen, ohne dass
die Schalen zerbrechen? Bis das funk-
tioniere, sagt sie, »ver suchen wir es
vielleicht erst mal in einem kleinen
Joghurtbecher«.
Formo-Gründer
Wohlgensinger,
Winterberg:
Tesla als Vorbild
Investitionen in alter-
native Proteinquellen
weltweit, in Mrd.
Dollar
SQuellen: GFI, Kearney-Studie
Geschätzter Konsum von Fleisch
und Fleischersatz weltweit,
in Mrd. Dollar
Essen aus dem Labor
Gesamtjahr 2020
Jan. bis Sept. 2021
Fleischersatz
kultiviertes Fleisch
konventionelles Fleisch
pflanzenbasiert
,
fermentiert (u.a. Pilze)
,
kultiviert (Tierzellen)
,
,
,
,
Simon Book, Kristina Gnirke,
Nils Klawitter, Janne Knödler,
Maria Marquart n
Jens Gyarmaty / DER SPIEGEL
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