WIRTSCHAFT
84 DER SPIEGELNr. 2 / 8.1.2022
schnitt ihres Hauses als Klimaressort
erfordert es – auf die umweltbelas
tenden Aspekte des Wirtschaftens.
Für die vergangenen Jahre vermelden
sie dabei durchaus Fortschritte.
So produziert die deutsche Wirt
schaft immer energieeffizienter und
schadstoffärmer. Die sogenannte End
energieproduktivität – sie gibt an, wie
viel BIP je Energieeinheit hergestellt
wird – stieg stetig. Der Wert des In
dikators lag »2019 etwa 15 Prozent
punkte über dem Wert von 2008«.
Parallel dazu verbrauchen deut
sche Unternehmen für die Herstel
lung ihrer Produkte immer weniger
Ressourcen. Das messen die Fachleu
te im Wirtschaftsministerium anhand
der Gesamtrohstoffproduktivität.
Deren Wert stieg von 2010 bis 2018,
dem letzten Jahr, für das Angaben
vorliegen, um neun Prozentpunkte.
Gleichzeitig stößt die deutsche
Wirtschaft immer weniger klima
schädliche Stoffe wie Kohlendioxid
oder Methan aus. »So lag die Treib
hausgasintensität des BIP im Jahr
2019 um gut ein Viertel unter der im
Jahr 2010«, vermelden Habecks
Experten. »Diese Entwicklung doku
mentiert die staatlichen und unter
nehmerischen Erfolge bei der Trans
formation zu einer klimaneutralen
Wirtschaft und Gesellschaft.«
Weniger zufrieden sind die Beam
ten mit dem Flächenverbrauch. Zwar
sank der von 86,6 Hektar pro Tag im
Jahr 2010 bis 2019 auf 52 Hektar.
»Der politische Zielwert von 30 Hek
tar je Tag für das Jahr 2030 ist jedoch
nicht in Reichweite.« Bis im Saldo
keine neuen Flächen mehr verbraucht
würden (vorgesehen ist dieses Ziel für
2050) sei es »noch ein langer Weg«.
In dem Bericht schwört Habeck
die Deutschen auf Belastungen und
Verzicht zugunsten des Klimas ein.
Würde die bestehende Form des Wirt
schaftens fortgeführt, käme es »mit
tel und langfristig zu strukturellen
ökonomischen Folgeschäden allein
aufgrund des Klimawandels im zwei
stelligen Prozentbereich des BIP«.
Die Transformation zur klimaneu
tralen Wirtschaft werde »ein fordern
der Weg sein, auf den Deutschland
sich nun begibt«. Manches Geschäfts
modell werde sich künftig nicht mehr
rechnen, »ganze Wirtschaftsbereiche
können merklich schrumpfen«.
Die Umgestaltung führe zwar zu
einem »größeren Kapital und Ar
beitseinsatz und mitunter steigenden
Preisen, nicht aber per se zu einer
generellen Ausdehnung des materiel
len Wohlstands«. Im Klartext: Die
Deutschen müssen künftig mehr
arbeiten, bekommen dafür allerdings
nicht unbedingt mehr Geld. Und sie
müssen höhere Preise einkalkulieren.
Getrieben werden die durch höhe
re Abgaben auf den Ausstoß von Koh
lendioxid, was den Transformations
prozess beschleunige. »Dieser wird
künftig nicht mehr automatisch mit
einer Wirtschaftspolitik kompatibel
sein, die zuvorderst auf die Ausdeh
nung der Wertschöpfung und ambi
tionierte Wachstumsziele ausgerich
tet ist«, schreiben Habecks Experten.
Es sei notwendig, »in der Zukunft
noch stärker als bislang die Qualität
unserer wirtschaftlichen Entwicklung
in den Fokus zu nehmen, nicht nur
die insbesondere am Bruttoinlands
produkt gemessene Quantität«.
Zudem sei in der Mitte der Gesell
schaft eine »Sättigung mit grund
legenden Konsumgütern« erreicht.
Deshalb sei »ein politisches Verspre
chen weiter und generell ansteigender
Konsumniveaus nicht zu geben«.
Die deutsche Gesellschaft steht
nach Habecks Einschätzung vor ent
scheidenden Fragen: Wollen Teile der
Bevölkerung ein Weiterso mit stetig
steigendem materiellen ProKopf
Konsum? Oder werden »im Zweifel
andere Ziele von Nachhaltigkeit und
Gerechtigkeit von einer Mehrzahl als
wichtiger eingeschätzt«?
Nach Lektüre des Entwurfs für den
Jahreswirtschaftsbericht besteht kein
Zweifel, auf welche Seite sich Habeck
schlägt.
D
er Jahreswirtschaftsbericht gilt
als so etwas wie die frohe Bot
schaft der Bundesregierung.
Alljährlich gegen Ende Januar stimmt
sie darin das Hohelied von Wirt
schaftswachstum und Wohlstands
mehrung an. Seit Jahrzehnten besteht
die Tradition.
Doch für 2022 gelobt Wirtschafts
minister Robert Habeck, der erste
Grüne im Amt, Umkehr. Unter seiner
Federführung schlägt der Bericht
andere Töne an: Noch nie gab er sich
so wachstumskritisch, noch nie ging
er derart deutlich auf Distanz zu her
kömmlichen Wohlstandsindikatoren.
Sprachlich bleibt er im gewohnten
Behördenduktus – inhaltlich kommt
er einer Revolution gleich.
»Gesamtwirtschaftliches Wachs
tum, gemessen am Zuwachs des
Bruttoinlandsprodukts, ist eine
notwendige, aber längst noch keine
hinreichende Voraussetzung für nach
haltigen Wohlstand, Beschäftigung,
Teilhabe und soziale Sicherheit«,
heißt es im Entwurf des Berichts.
Erstmals werde die Bundesregierung
jenseits des Bruttoinlandsprodukts
(BIP) »ergänzende Dimensionen des
materiellen und immateriellen Wohl
stands sowie generationenübergrei
fender Nachhaltigkeit« beleuchten.
Aber anhand welcher alternativen
Kennziffern soll der Wohlstand
künftig besser vermessen werden?
Habecks Fachleute widmen der Frage
ein Sonderkapitel mit der Überschrift
»Nachhaltiges und inklusives Wachs
tum«. Es gehe darum zu zeigen, »auf
welche Weise die Wertschöpfung in
Deutschland entsteht und welche
Ressourcen dabei beansprucht wer
den«, schreiben sie und kommen auf
rund drei Dutzend Indikatoren: von
A wie »Ausgaben für Bildung« bis Z
wie »Zentrale Einrichtungen der Da
seinsvorsorge«. Besonderes Augen
merk legen sie dabei – der neue Zu
Lob des
Verzichts
KLIMAPOLITIK Wirtschaftsminister Robert
Habeck färbt den Jahreswirtschafts -
bericht grün. Noch nie fiel der so wachstums-
kritisch und wohlstandsskeptisch aus.
Grünenpolitiker Habeck
Marlena WaldthausenChristian Reiermann n
Grün genug?
Tonnen CO 2 -Äquiva-
lente, um eine Mio.
Euro BIP in Deutsch-
land zu erzeugen
Siedlungs- und
Verkehrsfläche in
Deutschland, Zunah-
me in Hektar pro Tag
SQuellen: EEA, Destatis
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