Das reizt auch Anne Ebersbach, 38, und
Katrin Weickmann, 36, aus Leipzig, die wir
am ersten Tag unserer Tour beim Früh-
stück treffen. Vier Tage wohnen die beiden
Freundinnen und ihre Kinder in einer
Holzhütte auf dem Hof von Nadin Halser.
Tagsüber fahren sie Planwagen oder Kut-
sche oder gehen mit ihrem Pferd Gucio
spazieren, die Kinder auf seinem Rücken.
Als sie ankamen, stürmte es, der erste Aus-
flug musste ausfallen. Langweilig wird es
trotzdem nicht. „Die Kinder können im
Stall spielen und Eier aus dem Hühner-
gehege holen“, sagt Weickmann. „Und
ich kann die Pferde anschauen.“ Dass der
Handyempfang schlecht ist, stört die Leh-
rerin nicht, im Gegenteil, das tue allen gut.
Der Liedermacher Bastian Bandt aus
Angermünde hat die Freundinnen zu die-
sem Urlaub inspiriert. Bandt singt über die
Uckermark: „Hier geht es nicht höher und
nicht schneller und nicht weiter. Nur mit
Kopf und mit Herz und mit Hand. Wer hat
die Sprossen zersägt, die Karriereleitern
stehen eh schlecht im Märkischen Sand.“
Anne Ebersbach sagt: „Ich wollte raus aus
dem Alltagsstress. In meinem Beruf als
Logopädin ist alles durchgetaktet. Hier
verliert man das Gefühl für die Zeit.“ Und
ihre Tochter Flora, 5, sagt: „Man braucht
eigentlich von allem nur ein bisschen.
Ein bisschen Wasser, ein bisschen Strom.“
Und ein bisschen Abenteuer.
Entdeckung der Langsamkeit
Mit einer Planwagentour erfüllen sich
viele einen Kindheitstraum. Gemütlich
zuckelt man mit einem PS durch die Na-
tur. Abends wird am Lagerfeuer gegrillt,
nachts im Planwagen geschlafen. Dafür
eignet sich die Uckermark besonders gut.
Auf den Feldwegen begegnet man kaum
Autos, dazu die Schönheit der seenreichen
Landschaft, die Ruhe, die Weite, manche
sagen Leere. Rehe, Kraniche, Wildgänse.
Auf dem Planwagen im Wilden Osten kann
man all das erleben. Wir sind Cowboys auf
Zeit, ohne Luxus, aber mit Gasherd, saube-
rem Bettzeug und trockenen Matratzen.
Die erste Etappe fahren wir im Konvoi.
Wir vorweg, Familie Matuszewski aus Er-
furt hinterher. Neben mir liegt eine Land-
karte, auf der die Route eingetragen ist.
Heute steuern wir den Stiernsee an, wo wir
übernachten wollen. Etwa drei Stunden
braucht man für die Strecke, hatte Nadin
Halser gesagt. Es kommt mir länger vor.
Weil alles neu für mich ist, muss ich mich
konzentrieren. Geht es bergab, trete ich auf
die Bremse. Um zu lenken, ziehe ich am Zü-
gel, sodass der Planwagen die Kurve kriegt.
Am Ortsrand von Gerswalde klackern die
Hufe von Ernst auf dem Asphalt, Einfami-
lienhäuser reihen sich an Plattenbauten.
Links abbiegen, dann geht es über einen
langen, geraden Feldweg zum Stiernsee.
Hin und wieder bleibt Ernst noch stehen,
wenn es mal wieder bergauf geht. Aber sei-
ne Pausen werden kürzer. Und seltener.
„Jetzt, am Ende der Saison, haben sich klei-
ne Eigenheiten bei den Pferden eingeschli-
chen“, hatte Nadin Halser bei der Einwei-
sung gesagt. „Viele Gäste geben dem Pferd
eine Möhre, um es zum Weitergehen zu
bewegen, doch damit belohnen sie seine
schlechte Angewohnheit.“ Oder sie steigen
aus Mitleid ab und schieben den Plan-
wagen. „So lernt das Pferd: Wenn ich trau-
rig gucke und anhalte, habe ich ein leichte-
res Leben. Das testet es bei jedem Gast aus.“
Nadin Halser ist in Berlin aufgewachsen.
„Schon als Kind wollte ich raus aus der
Großstadt und mit Pferden arbeiten“, sagt
sie. Nach einem Urlaub in Irland machte
sich eine Freundin 2005 in Suckow mit
zwei selbst gebauten Planwagen selbst-
ständig, Halser begann für sie zu arbeiten.
Das Unternehmen wuchs und zog 2014
nach Friedenfelde, in eine ehemalige Land-
wirtschaftliche Produktionsgenossen-
schaft. Ein Jahr später übernahm es Halser.
Sie benannte es nach ihrem ersten eigenen
Pferd: Liesje. Ein Fehlkauf, weil Liesje vor
allem Angst hat und keinen Planwagen
ziehen kann. Dennoch behielt sie das Tier.
Halser ließ das Dach des Stalls decken,
Holzhütten, Bauwagen und Wohnwagen
für ihre Gäste aufstellen. Die Pferdewirt-
schaftsmeisterin baute eine Küche und eine
Sitzecke aus Paletten, dazu Trenntoilette,
Waschbecken, Dusche mit Blick aufs Feld,
alles draußen, alles einfach und rustikal. 4
Bevor es losgeht, striegelt Autor Gunnar Herbst den
Kaltblüter Ernst (o.). Nach einer eisigen Nacht
am Stiernsee gibt es Hafer für die Pferde (u.), danach
frühstücken die Matuszewskis im Planwagen (M.)
24.2.2022 103