Der Stern (2022-02-24)

(EriveltonMoraes) #1
Mein Kollege Bernhard Albrecht geht den Din-
gen gern auf den Grund, auch wenn der noch
so tief liegt. So war es, als er vor einem Jahr die
stern-Petition für eine bessere Pflege initiierte.
350 000 Unterschriften kamen zusammen, am
Ende trat Albrecht vor dem Petitionsausschuss
des Bundestags und dem damaligen Gesundheits-
minister Jens Spahn auf, dem er in aller Klarheit
erklärte, warum das System so nicht funktioniert.
Albrecht, promovierter Mediziner, hatte sich da-
für durch die Sozialgesetzbücher gewühlt, mit
vielen namhaften Experten gesprochen und in
mehreren großen stern-Geschichten darüber ge-
schrieben. Es wird nicht viele Journalisten in
Deutschland geben, die beim Thema „Pflege“ bes-
ser Bescheid wissen als er.
Jetzt hat sich Bernhard Albrecht ein anderes
Thema vorgenommen. Als eine Kollegin über
ein taubes Gefühl in den Fingerkuppen und im
linken Fuß berichtete, nachdem sie mit einem
mRNA-Impfstoff geimpft worden war, war seine
Neugier geweckt: Im Aufklärungsbogen fehlte
der Hinweis auf solche Nebenwirkungen. Gibt es
also blinde Flecken?
Das Thema ist heikel. Deutschland liegt bei den
Impfquoten weit zurück. Dass im Verhältnis zu
anderen Staaten bei uns so viele Menschen nicht
geimpft sind, hat das Pandemie-Management im
ablaufenden Winter massiv erschwert. Die Impf-
Frage spaltet das Land, und auch wenn die ImpfFrage spaltet das Land, und auch wenn die ImpfFrage spaltet das Land, und auch wenn die Impf--
gegner eine Minderheit sind, so sorgen sie immer
wieder für lautstarke Wahrnehmung, auch mit
fragwürdigen politischen Untertönen.
Jede Berichterstattung, die sich kritisch mit
dem Impfen auseinandersetzt, droht, den Impfdem Impfen auseinandersetzt, droht, den Impfdem Impfen auseinandersetzt, droht, den Impf--
gegnern, aber vor allem auch den Querdenkern,
Material zu liefern für ihre zum Großteil absur-

M


den Argumentationen. Dieses Risiko sah auch
Bernhard Albrecht, als er in die Recherche einstieg.
Und dennoch, so der Journalist in ihm, müsste
doch auch über die eventuellen Schattenseiten
der Immunisierung gesprochen werden. Seine
ersten Gesprächspartner – Ärzte, Immunologen,
Kollegen – warnten: Sicher, das Thema sei wich-
tig und noch nicht ausreichend ausgeleuchtet,
aber wem würde eine womögliche negative Be-
richterstattung nützen?
Die Recherche dauerte am Ende mehr als
drei Monate. Albrecht verschaffte sich einen Über-
blick über die maßgeblichen internationalen
Studien, sprach mit Impfexperten im In- und Aus-
land, befasste sich mit Impfregistern und der Not-
wendigkeit einer zügigen Datenerfassung. An
vielen Stellen stieß er auf Widerstand und Vor-
sicht, auch ihn selbst überkamen immer wieder
Zweifel, ob die Arbeit sich lohne. Das Ergebnis
lesen Sie nun in unserer Titelgeschichte. Es ist eine
der längsten, die der stern je gedruckt hat. Aber
auch eine der spannendsten.
Corona ist und bleibt eines der beherrschenden
Themen der Zeit. Ihm zur Seite stellt sich der
drohende Angriff Russlands auf die Ukraine. Bei
Redaktionsschluss war die Situation noch immer
unklar. Kaum lockert die Pandemie ein klein we-
nig ihren Griff, belastet eine neue schwere Krise
die Menschheit. Der stern berichtet direkt aus
der Region, aber auch aus Washington und Berlin.
Danke, dass Sie den stern lesen.

24.2.2022 3


Florian Gless, Chefredakteur


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