Der Stern (2022-02-24)

(EriveltonMoraes) #1
helfen Sie uns!“ Es war ein bisschen wie
früher, als Karlheinz Böhm zu Spenden für
Äthiopien aufrief. Melnyk hatte sogar Zah-
len parat, wonach die deutsche Entwick-
lungshilfe für die Ukraine auf einem Level
sei, das sich zwischen Tunesien und dem
Kongo bewege. Nur dass Melnyk kein Geld
wollte, sondern Defensivwaffen für die
Ukraine: „Das zu verweigern bedeutet, uns
in der Ukraine im Stich zu lassen.“
Starker Tobak. Gab’s Resonanz auf seinen
Auftritt?
Melnyk nickt. Und wie. „Anrufe und E-
Mails.“
Der Botschafter springt jetzt von seinem
Sessel auf. Läuft zu seinem Schreibtisch
und ruft kurz ein Stockwerk tiefer in
der Pressestelle an. Ein paar Sätze auf
Ukrainisch. Dann legt er den Hörer auf.
„80 Prozent negativ.“

Aufgeben ist keine Option
Er ist nicht verdrossen. Er kennt die Stim-
mungsbilder – daheim und in Deutsch-
land. Sie könnten konträrer nicht sein. In
der Ukraine hat der Druck Putins gerade-
zu eine Sehnsucht nach dem Westen aus-
gelöst, 62 Prozent der Bevölkerung wollen
in die Nato, 68 in die EU. In der Bundes-
republik herrscht eher nüchternes Des-
interesse. Nur 15 Prozent der Deutschen
sind laut einer Ipsos-Umfrage aus der ers-
ten Februarwoche für deutsche Waffen-
lieferungen an die Ukraine. Ein Schwenk
der Ampel wäre eine Positionsverände-
rung gegen den deutlichen Mehrheits-
willen der Bevölkerung. Sieht er das nicht?
Doch, sagt Andrij Melnyk, sieht er. Er
kann aber nicht aufgeben. Will weiter-
machen. Will aufklären. Fakten liefern. Er
weiß, dass sich sein Standing nicht gerade
verbessert hat. In Moskau hat Olaf Scholz
klargemacht, dass eine Nato-Mitglied-
schaft der Ukraine in seiner Amtszeit nicht
mehr auf der Tagesordnung stehe. „Und er
will doch acht Jahre im Amt bleiben.“
Vielleicht, so hofft er, ist ja ein Paradig-
menwechsel doch noch möglich. Im Prin-
zip hofft er das, seit er seinen Botschafter-
posten in Berlin angetreten hat. Vor ziem-
lich genau sieben Jahren, drei Tage nach
Abschluss des Minsker Abkommens, hat
man ihn zum ersten Mal ins deutsche
Fernsehen eingeladen. Ein Sonntagabend.
Damals noch bei Günther Jauch.
Jauch hat ihm später eine DVD von der
Sendung geschickt. Sie muss noch irgend-
wo bei Melnyk zu Hause liegen. Er weiß
noch, was er gesagt hat. Er muss sie sich
nicht mehr anschauen. Bei eigenen TV-Aufnicht mehr anschauen. Bei eigenen TV-Aufnicht mehr anschauen. Bei eigenen TV-Auf--
tritten, sagt Melnyk, mache er das nie. 2
Axel Vornbäumen

„DEFENSIV-


WAFFEN ZU


VERWEIGERN


BEDEUTET,


UNS IM STICH UNS IM STICH


ZU LASSEN“


Andrij Melnyk, 46,
ist seit sieben Jahren
Botschafter
der Ukraine in Berlin

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